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Vorwärts direkt in die Vergangenheit: das Konzept der 21st Century Skills

Das erste Viertel des 21. Jahrhundert ist gleich um. Und noch immer dient das Schlagwort 21st Century Skills – wahlweise auch Future Skills – als Wegweiser für Bildungsreformen, Curriculumsentwicklungen oder als Pauschalkritik an vermeintlich überholten Bildungsidealen. Dabei führt dieser Wegweiser für die Bildung der Zukunft auf direktem Weg zurück in die Vergangenheit.

Abgestanden und verstaubt

Will man verstehen, woher die Idee der 21st Century Skills kommt, muss man zurückblättern. Weit zurückblättern. 1983 – das Ende des Kalten Kriegs war noch nirgends absehbar – veröffentlichte die National Commission on Excellence in Education einen Bericht zum Zustand der Bildung in den USA. «A Nation at Risk» (Gardner u. a. 1983) konstatiert in alarmistischem Ton und Kalter-Krieg-Rhetorik ein sinkendes Bildungsniveau und warnte eindringlich davor, dass die USA mittelfristig technologisch zurückfallen werde hinter andere entwickelte Nationen. Eine der zentralen Forderungen: ein Paradigmenwechsel hin zu einer Learning Society. «At the heart of such a society is the commitment to a set of values and to a system of education that affords all members the opportunity to stretch their minds to full capacity, from early childhood through adulthood, learning more as the world itself changes.», halten die Autor:innen fest (Gardner u. a. 1983, 13). Der Bericht löste in der Folge viel Aktionismus und führte zu den verschiedensten Ideen, Konzepten und Initiativen, um das Bildungswesen zu reformieren und fit zu machen für die Zukunft.

Eine der einflussreichsten Initiativen war das Framework for 21st Century Learning der P21 Partnership for 21st Century Learning. Diese Organisation vereinte so gewichtige Unternehmen wie Intel, Ford, Fisher-Price, Lego oder Walt Disney – hingegen keine Bildungswissenschaftler:innen.

Folie einer Präsentation der Partnership for 21st Century Skills, gehalten vor der OECD von Charles Fadel (Global Lead Education, Cisco Corporation). Paris, Mai 2008

Via die OECD verbreitete sich die Idee jenseits der USA – unter anderem auch in Europa. Dabei verselbständigte sich die Idee und es entstanden eine Reihe von weiteren Initiativen und neuen, teilweise inkommensurablen Konzepten.[i]

Weitgehend bedeutungsleer

Woher rührt also die Faszination für ein Konzept, dessen Ursprünge mitten in den Kalten Krieg zurückführen und anschliessend im Wesentlichen von Organisationen und Exponent:innen aufgenommen und weiterentwickelt wurde, deren Kerngeschäft alles mögliche ist, bestimmt aber nicht Bildung, Lehren und Lernen?

Erstens. «Kritisches Denken», «Problemlösen», «Kreativität»; die Kompetenzen, welche unter den 21st Century Skills gefasst werden, sind so generisch, dass sie bedeutungsleer sind. Wer will schon dagegen Einspruch erheben, dass die Fähigkeit, Probleme zu lösen eine zentrale Kompetenz ist in der heutigen Gesellschaft? Exakt weil die Begriffe weitgehend bedeutungsleer sind, können sich alle darauf einigen, dass genau diese Kompetenzen für die Welt von Morgen entscheidend sind für die Lerner:innen von heute. Nur versteht jeder etwas anderes darunter. Und eine ernsthafte Debatte kommt gar nicht erst auf.

Zweitens. Kritik an «überholten» Bildungsidealen und -methoden geht immer. In der Kritik am Bildungswesen finden sich alle wieder. Das 21st Century Skills Konzept eignet sich für eine solche Kritik besonders gut, weil es den Paradigmenwechsel zwischen «alter» und «neuer» Bildung in aller Schärfe herausstreicht. (Dass dies selbst nicht viel mehr ist als das sattsam bekannte Muster der Bildungskritik, zeigt etwas Audrey Watters (2021) in ihrem Buch «Teaching Machines».

Die Debatte richtig lancieren

Doch warum ist das überhaupt problematisch?

Die fehlende Begriffsdefinition? Geschenkt.
Ein überfrachtetes Konzept, das sich in Bedeutungsleere verkehrt? Geschenkt.
Fehlende empirische Fundierung, wie viele Kritiker:innen der 21st Century Skills monieren? Auch geschenkt.

Nein, das eigentliche Problem liegt darin, dass im deskriptiven Kleid der 21st Century Skills normative Gesellschaftsvorstellungen stecken. Dieser Befund ist jedoch keineswegs ein Plädoyer, den normativen Ballast abzuwerfen, um das Konzept der 21st Century Skills auf eine empirische Basis zu stellen, wie das etwa Ehlers (2020) versucht. Vielmehr sollten wir anerkennen, dass die Frage, welche Kompetenzen die Lerner:innen für die Gesellschaft der Zukunft brauchen, notwendigerweise eine normative – und damit auch eine genuin politische – Frage ist.

Hat sich die Debatte um die 21st Century Skills damit erledigt? Nein, im Gegenteil. Es ist einzig der Hinweis, dass die Frage, welche Kompetenzen in Zukunft gefordert sein werden, eng verknüpft ist mit der Frage, welche Gesellschaft der Zukunft wir wollen.

Somit ist die Auseinandersetzung erst richtig lanciert.

 

Literatur

Dede, Chris. 2009. «Comparing Frameworks for ‹21st Century Skills›». Unpublished Manuscript. https://sttechnology.pbworks.com/f/Dede_(2010)_Comparing%20Frameworks%20for%2021st%20Century%20Skills.pdf.

Ehlers, Ulf-Daniel. 2020. Future Skills : Lernen der Zukunft – Hochschule der Zukunft. Herausgegeben von Ulf-Daniel Ehlers. Zukunft der Hochschulbildung – Future Higher Education. Wiesbaden: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_5.

Gardner, David P., Yvonne W. Larsen, William O. Baker, Anne Campbell, Emeral A. Crosby, Charles A. Foster Jr., C. Francis, u. a. 1983. «A Nation At Risk: The Imperative For Educational Reform». Washingotn: National Commisison on Excellence in Education. https://eric.ed.gov/?id=ED226006.

Watters, Audrey. 2021. Teaching machines. Cambridge, Massachusetts: The MIT Press.

[i] Für eine Übersicht der verschiedenen «Frameworks» von 21st Century Skills, vgl. Dede (2009).

 

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