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Segelschiff

Segeln und Lehren

Die Sommerpause steht bevor, auch viele Lehrende werden Laptop und Lehrbücher für einige Wochen zur Seite legen und sich wohlverdienten Urlaub gönnen. Ein guter Moment also für die Frage, welche Inspirationen man aus den eigenen Freizeitaktivitäten für die Gestaltung der Hochschullehre gewinnen kann. Der ZLLF-Leiter, der neben der Arbeit gerne auf dem Wasser unterwegs ist, hat sich diese Frage fürs Segeln gestellt. Hier drei Antworten, die er besonders hervorheben möchte:

«Planning is everything, a plan is nothing»

Das Bonmot stammt von einem erfahrenen Skipper und betont einerseits, wie wichtig eine akribische Vorbereitung fürs Segeln ist: Welche Route wähle ich? Was treffe ich unterwegs an? Mit welchem Wetter muss ich rechnen? Wo kann ich in meinem Zielhafen überhaupt anlegen? Welche Ausweich-Destinationen kann ich notfalls anlaufen? Mit solchen Fragen verbringen Skipperinnen mitunter Stunden, bevor sie in See stechen. Andererseits ruft das Bonmot in Erinnerung, dass sich die Fahrt dann auch ganz anders gestalten kann. Es gilt also, die aktuellen Gegebenheiten ständig im Auge zu behalten und, wenn nötig, die Segel anders als geplant zu setzen. Die Planung ist deshalb aber keineswegs nutzlos: Sie bietet Sicherheit, solange alles nach Plan läuft, und bietet dem Skipper eine kognitive Entlastung, dank der er sich auf seine Crew konzentrieren kann. Wenn die aktuelle Situation eine Planänderung erfordert, bietet der Plan eine Referenz und ermöglicht eine klares Verständnis dafür, in welcher Hinsicht das Vorgehen spontan angepasst wird, welche Elemente dennoch plangemäss umgesetzt werden und in welchen Bereichen man keinesfalls vom Plan abweichen sollte. Dieses Handlungsmuster kann direkt auch auf die Hochschullehre übertragen werden: Auch hier garantiert eine sorgfältige Unterrichtsplanung im Normalfall ein erfolgreiches Lehren und Lernen, kann aber unterwegs auch angepasst werden.

Praxis braucht Theorie

Wer in der Schweiz die Ausbildung zur Hochsee-Skipperin durchläuft, befasst sich zunächst einmal mit sehr viel Theorie: Es geht dabei zum Beispiel um die Einflussfaktoren, die bei der Navigation zu berücksichtigen sind: Neben Windstärke und -richtung gehören dazu Gezeiten, Strömung, Kursabweichungen durch seitliche Winde oder ungewollte Ablenkungen des Kompasses. In den theoretischen Aufgaben soll etwa berechnet werden, ob man zwei Tage nach Vollmond drei Stunden vor der Flut mit einem Tiefgang von 2,2 m noch sicher in den Hafen von Saint-Malo einlaufen kann. Lange Berechnungen bestätigen dann, dass dies möglich sei: Beim Einlaufen hätte das Schiff als Reserve noch 70 cm Wasser unter dem Kiel.

In der Praxis läuft dies freilich anders ab: Kaum ein Skipper würde sich in einem fremden Hafen auf eine Reserve von 70 cm verlassen, und die Wassertiefe lässt sich in den entsprechenden Apps für beinahe jede Stelle der Weltmeere zu jedem beliebigen Zeitpunkt mit einem einfachen Klick ablesen. Gleichwohl ist der beschwerliche Weg über die theoretische Ausbildung für ein sicheres Segeln wichtig: Nur, wer all die Einflussfaktoren einzeln kennengelernt hat, versteht, wie sie zusammenhängen, welchen Einfluss sie auf die Navigation haben und wie sie von den Navigations-Apps berücksichtigt werden. So lassen sich unter anderem die – durchaus fehleranfälligen – elektronischen Angaben der Navigationsgeräte kritisch überprüfen.

Gerade in einer modernen Welt, in der elektronische Hilfsmittel einfach abrufbare Angaben ermitteln, deren Zustandekommen aber immer schwerer nachvollziehbar ist, ist ein solides Verständnis der Grundlagen nach wie vor wichtig. Dies gilt nicht nur für das Segeln, sondern auch für die anspruchsvollen Berufsfelder, für die Studierende an Fachhochschulen vorbereitet werden:  Es geht darum, die genutzte Technik überwachen zu können, die Plausibilität von Ergebnissen zu überprüfen und zu verstehen, welche Parameter angepasst werden müssen, um die Ergebnisse der technischen Hilfsmittel zu verbessern. Und es geht letztlich aber auch darum, die Faszination zu erleben, die hinter unseren zivilisatorischen Errungenschaften steckt: Eine Wassertiefe ist dann nicht nur eine Zahl am Display, sondern Ergebnis von zahllosen Messungen, die über Jahrzehnte zusammengetragen, in Büchern notiert und erst in einem letzten Schritt digitalisiert wurden. Auch im Studium geht es unter anderem darum, Studierenden aufzuzeigen, welche Konzepte und Theorien hinter den Anwendungen stecken, die sie für ihre spätere berufliche Tätigkeit kennenlernen.

«Know your crew»

Am Anfang vieler Hochseetörns steht das Kennenlernen im zwanglosen Rahmen bei einem Glas Wein. Die Vorfreude ist gross, alle berichten von ihren bisherigen Segelerfahrungen und geben ihre Abenteuer zum Besten. Für die Skipperin ist dies meist mehr als Small-Talk. Die Gespräche geben ihr ein Bild von den Personen, für die sie während des Törns die Verantwortung trägt: Wer hat schon Erfahrungen mit Nachtfahrten (und könnte allenfalls die Verantwortung übernehmen, während die Skipperin selbst schläft)? Wer bringt erst wenig Erfahrung auf hoher See mit (und verdient deshalb unterwegs ein besonderes Augenmerk, damit die Skipperin rechtzeitig reagieren kann, wenn sich Crewmitglieder unwohl fühlen)? Wer spricht gutes Spanisch (und könnte darum in abgelegenen Küstengebieten Südamerikas vor dem Einlaufen die Häfen anfunken)?

All diese Infos helfen dem Skipper, die gemeinsamen Tage auf See so zu gestalten, dass sich alle wohl fühlen und sicher ans Ziel kommen, die Segeltage aber auch für alle zu einem Erlebnis werden, das sie in angemessenem Ausmass herausfordert. «Know your crew» ist daher ebenfalls ein Merksatz für Skipperinnen, und auch er lässt sich direkt auf die Hochschullehre übertragen: Je besser Lehrende über den fachlichen Hintergrund, die Motivation und die persönlichen Zielsetzungen, aber ggf. auch über weitere Kompetenzen oder individuelle Befürchtungen der Lernenden Bescheid wissen, desto besser können sie ihre eigene Lehrtätigkeit darauf ausrichten und den Lernenden gegenüber transparent darlegen, wie gut sich deren individuelle Situationen ins Setting der Lehrveranstaltung einfügen. Die zwanglose Vorstellungsrunde mit einem Glas Wein dürfte dabei die Ausnahme bleiben, aber ein entsprechender Austausch lässt sich auch mit kurzen, gezielten Fragen an alle, mit soziometrischen Aufstellungen oder einer kurzen digitalen Umfrage arrangieren – Letzteres ist auch in grossen Gruppen möglich. Der Austausch ist dabei nicht nur für die Lehrenden hilfreich. Den Studierenden signalisiert er, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen wird – und signalisiert damit auch die Erwartung, dass sich die Studierenden im gesetzten Rahmen einbringen.

Das Beispiel «Segeln» zeigt: Es gibt durchaus spannende Parallelen zwischen eigenen Hobbys und der Hochschullehre. Wer im Sommerurlaub eigenen Freizeitbeschäftigungen nachgeht und dabei – allen guten Vorsätzen zum Trotz – dennoch ab und zu an die Arbeit denkt, kann sich also selbst die Frage stellen, welche Aspekte seiner Aktivitäten sich auf die eigene Lehrtätigkeit übertragen lassen. Was lässt sich etwa von sommerlichen Radtouren entlang der Donau, von langen Streifzügen durch römische Museen, von der Gartenarbeit zu Hause, von Weindegustationen in Navarra, von der Lektüre auf dem heimischen Balkon oder der Yoga-Woche im Atlasgebirge lernen? Wir sind gespannt auf viele entsprechende Hinweise und wünschen allen einen wunderbaren, erholsamen Sommerurlaub!

Foto: Alix Greenman, Unsplash. Maskuline und feminine Personenbezeichnungen im vorliegenden Text sind generisch gemeint.

 

 

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