Zum Inhalt springen

Eindrücke aus dem Workshop Rassismuskritische Lehre

Am 11. September 2023 nahmen die ZLLF-Mitarbeiterinnen Cinzia Gabellini und Valeria Iaconis am Workshop zum Thema rassismuskritische Lehre mit Tzegha Kibrom teil. Der eintägige Workshop wurde von der Diversity Abteilung des Departements Soziale Arbeit der HSLU organisiert. Dazu ein Selbst-Interview:

Warum haben wir den WS besucht?

Valeria: Das ZLLF wurde eingeladen, am Workshop teilzunehmen, mit der Grundidee, dass das ZLLF zusammen mit dem Didaktik-Team SA erste Ideen sondiert hätte, welche didaktischen Weiterbildungen im Themenbereich «rassismuskritische Lehre» in Zukunft sinnvoll wären. Ich habe mich auf den Workshop sehr gefreut, weil ich mich in meiner Forschungstätigkeit mit postkolonialen Themen und Literaturen befasst hatte und es spannend fand, die Verknüpfung zwischen den Theorien und der Lehregestaltung zu sehen.

Cinzia: Die UNECSO setzt sich mit der Bildungsagenda 2030 für «inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung für alle» ein. Ein Teil meiner Arbeit am ZLLF dreht sich um die Frage, wie Lehrmaterialien so gestaltet und eingesetzt werden können, dass sie diesen Ansprüchen gerecht werden. Unter Chancengleichheit im Kontext der Bildung verstehen wir in erster Linie die Berücksichtigung bzw. Integration von Studierenden mit körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen. Dazu gehört auch rassismussensible Lehre. Der Workshop hat mir die Gelegenheit gegeben, mich mit dem Thema Rassismus im Kontext von Chancengleichheit zu befassen.

Was hat uns zum Denken angeregt?

Valeria: Ich fand interessant und wichtig, Rassismus als Struktur sozialer Ungleichheit wahrzunehmen und als ein Phänomen, welches uns alle angeht, auch denjenigen, die nicht negativ davon betroffen sind. Wird Rassismus als eine soziale und historische Konstruktion verstanden, die aus klaren Machtverhältnissen stammt, kann er auch kritisch hinterfragt werden und als System betrachtet werden. Schlussendlich ist unsere Wahrnehmung unserer Rolle in der Gesellschaft stark davon beeinflusst, wie wir die Rolle von anderen Personen(-kategorien) verstehen und in welchem Verhältnis wir uns ihnen gegenübersehen.

Cinzia: Im Workshop wurden verschiedene Formen und Beispiele von Diskriminierungen, welche Menschen erfahren, aufgezeigt. Sie dienen vor allem dazu, Privilegien der Weissen aufrechtzuerhalten. Diese Form von Machtstruktur erinnert mich sehr an Paolo Freires Grundannahme in seiner Schrift Pedagogy of the Oppressed. Auch wenn sich seine Positionen auf einen anderen Kontext mit Oberschicht und der mehrheitlich analphabetisch geprägten ländlichen Bevölkerung beziehen, so gibt es Parallelen. Bildung dient dazu, Menschen so zu bilden, wie es die privilegierte Schicht möchte. Zugang und Lehrmethoden sind entsprechend eingeschränkt oder angepasst.

Was nehmen wir mit?

Valeria: Wie Institutionen eine rassismuskritische Lehre gestalten und fördern können, bleibt auch für die Workshopsleiterin eine schwierige Frage, die keine fertige Lösung hat. Was dafür aber sicher nötig ist, ist eine hohe Fehlertoleranz und auch die Bereitschaft, die eigenen Denkweisen und Beurteilungskriterien in Frage zu stellen, da sie eben nicht neutral sind.

Als persönliche Take-home-Message nehme ich dazu noch die Macht der Bilder und Geschichten, die unsere Weltanschauung – meistens unbewusst – prägen: Als Menschen verstehen wir die grosse Komplexität der Welt durch Stereotypen – das ist normal, denn sonst könnten wir nicht alle Informationen «speichern» und bearbeiten. Nicht alle Stereotypen entsprechen aber der Realität und einige – auch solche, die harmlos und lustig klingen, z.B. dass Blondinen nicht einmal ein Auto parkieren können – können verletzend sein. Man kann dem entgegenwirken, indem man ein offenes Ohr für andere Geschichten hat – etwas worüber die Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem TedTalk The danger of a single story kraftvoll berichtet.

Cinzia: AI ist derzeit ein vieldiskutiertes Thema. Kürzlich habe ich dazu den Beitrag These Women Tried to Warn Us About AI gelesen und mich gefragt, weshalb ich, bis auf eine, die Autorinnen nicht kenne oder nie von ihnen gelesen habe. Wen man den Link öffnet, fällt es auf: Schwarzen Wissenschaftlerinnen wird nicht die gleich hohe Sichtbarkeit gegeben wie ihren weissen Kolleginnen. So hat der Workshop es geschafft, den Blick zu öffnen und nach Literatur und Lehrmittel ausserhalb der «eigenen Bubble» zu recherchieren. In diesem Zusammenhang hat Hochschulbildung bei der Förderung von sozialer Gerechtigkeit eine wesentliche Rolle, indem sie neue, vielfältige Perspektiven an Studierende weitergibt und sie anregt, kritisch zu denken.

 

Quelle: Freire, Paulo. Pedagogy of the Oppressed. London: Sheed & Ward, 1972. Print.

Lesetipp: Patricia Purtschert / Barbara Lüthi / Francesca Falk (Hg.), Postkoloniale Schweiz. Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien, 2012, ISBN: 978-3-8376-1799-3

Bildquelle: Dietmar RabichSpielfiguren — 2021 — 4726CC BY-SA 4.0

Beitrag teilen in