Mitte September fanden sich Dozierende von Hochschulen und anderer Bildungsinstitutionen zur Kurztagung Resonanz mit dem Soziologen Hartmut Rosa zusammen. Er ist vielen als Entwickler und Kopf der Resonanzpädagogik bekannt. Über das Verständnis von Resonanz hinaus, wurden Fragen diskutiert, wie z.B. in welcher Weise physische und digitale Räume Resonanzachsen der Beteiligten im Lernprozess begünstigen oder verhindern? Wie entsteht im Hörsaal Resonanz und kann sie in gleicher Wiese auch im digitalen Raum entstehen? Und schliesslich, wie sich diese unterschiedlichen Lernräume mit einem Blended Learning Konzept resonanzkritisch sinnvoll aufeinander beziehen und verbinden lassen? Leider konnte Hartmut Rosa wegen einer Corona Erkrankung nicht vor Ort sein und musste sich online auf den Austausch mit den Teilnehmenden einlassen. Damit widersprach er in gewisser Weise seinem eigenen Resonanzkonzept, wie sich später bei der Diskussion um Resonanz in der digitalen Lehre zeigen sollte.
Die Tagung startete mit Workshops, um Resonanz selbst wahrzunehmen und zu erleben. Verschiedene Anregungen zeigten, wie man in Resonanz mit sich selbst, dem umgebenden Raum und den anwesenden Personen kommt und daraus neben Wirkung oder auch Geschichten wie von alleine entstehen. Wenn drei Personen sich mit wenigen vereinbarten Gesten aufeinander einlassen, aufeinander reagieren, entsteht eine Geschichte, ohne dass man sich zuvor abgesprochen hätte. Neben einem spontanen Lachen bleibt einem das einen Moment später fast im Hals stecken. Das Verhalten der anderen Person macht also etwas mit mir! Thesen und Fragen aus diesen Resonanzerkundungen wie, ob Resonanz eine bewusste Entscheidung ist und wo sie beginnt, griff Hartmut Rosa in seinen Ausführungen auf.
Im Zentrum von Hartmut Rosas Resonanzüberlegungen steht anstelle eines Subjektes oder eines Objektes die Beziehung; Beziehung als soziale, als materielle oder auch als übergeordnete, existentielle Komponente. Resonanz entsteht, indem man sich berühren lässt, etwas damit macht und dadurch transformiert wird. Auch wenn der organische Prozess des «in Beziehung treten», des «sich von etwas ergreifen lassen» und sich dadurch zu verändern in verschiedene Elemente gliedert, ist der damit suggerierte Prozess keineswegs vorprogrammiert, sondern unplanbar oder unverfügbar. Resonanz basiert auf Beziehung, braucht Beziehung, was man gleichermassen auch auf Unterricht übertragen kann. Auch dort braucht es Beziehung zu sich selbst, den Studierenden, dem Thema und auch der räumlichen, materiellen Umgebung und Situation.
Auf Nachfrage setzte Hartmut Rosa das Resonanzkonzept in Bezug zum an Hochschulen propagierten Flipped oder Inverted Classroom Konzept. Seine Überlegungen entwickelt er auf der Metapher eines Konzertes, welches man auch nicht zuhause als Aufnahme ansehen oder anhören würde, um sich dann im Konzertsaal darüber auszutauschen und zu diskutieren. Was bewirkt dieses Vorgehen bei den Zuhörenden im Vergleich zur üblichen Form, bei der man vor Ort mit den Musikern im Konzertsaal sitzt und das, was aus deren Spiel im Moment entsteht, mit einem passieren lässt. Diese Bild würde gut zeigen, dass bei Flipped Classroom zu wenig Resonanz entstehen würde. Das wirft als weiterführenden Gedanken auf, ob einen eine Vorlesung in Resonanz bringt oder diese gerade verhindert? Ebenso ist kritisch anzumerken, dass Resonanz nicht von einem gemeinsamen Erleben abhängt, sondern man auch alleine mit einem Gegenstand, dem Musikstück in Beziehung treten und sich dadurch berühren lassen kann. So wie einige von uns gerne zu Hause für sich alleine Musik hören.
«[…] will ich nicht sagen, Bildschirme sind per se schädlich, aber es ist wichtig, Interaktionsformen und Weltbegegnungen auch jenseits von Bildschirmen zu ermöglichen.» (Rosa & Endres, 2016, S. 103)
Gleiches würde auch für digitale synchrone Lehre gelten, wie wir sie in den Corona-Semestern umsetzen mussten. Auch hier sei laut Rosa Resonanz nur begrenzt möglich, weil sich unsere Wahrnehmung auf das reduziert, was durch Mikro und Kamera übertragen wird. Viel «Atmosphärisches», was im Raum während der Diskussion entsteht, kann technisch nicht eingefangen und übertragen werden und bleibt damit aussen vor. Man erlebt in der Online-Präsenz-Lehrveranstaltung nicht das Gleiche im gleichen Moment, wie wenn man gemeinsam am gleichen Ort wäre. Aber auch bei Präsenzveranstaltungen kann Resonanz verhindert werden, indem sich die Teilnehmenden nicht aufeinander einlassen, untereinander und mit dem Thema in Beziehung treten.
Auch die räumliche oder organisatorische Gestaltung einer Lehrveranstaltung kann Resonanz unterbinden, indem fixiertes Mobiliar das Aufnehmen von Blickkontakt einschränkt oder kurz getaktete 45minütige Lektionen den Aufbau einer Beziehung nicht wirklich erlauben. Rahmenbedingungen können also Resonanz einschränken. Gleichwohl bleibt es aber in der Verantwortung der beteiligten Personen, trotz allem oder gerade deswegen in die Entstehung von Beziehung, Resonanz zu den Personen, dem Thema zu investieren. Wie im Blogbeitrag zur Resonanzpädagogik beschrieben, ist Resonanzarbeit grundsätzlich eine Haltungsfrage; was mache ich aus dem Thema, um mit mir, dem Thema und den Teilnehmenden in eine resonante Beziehung zu kommen. Genau dann sollte trotz einschränkender Rahmenbedingungen und vorgegebene Lehrformate Resonanz entstehen. Die Rolle als Dozent:in über Beziehung und nicht Hierarchie umzusetzen, ist Teil davon.
Zum Weiterlesen: https://phzh.ch/resonanz
Image drop by Arek Socha at pixabay.com