Illustration der Luhmann-Scharpf-Debatte am Beispiel des Gesundheitswesens

Wieviel kann der Staat steuern? Das Beispiel Pflegeinitiative

Die Pflegeinitiative forderte: Die Pflege soll ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsversorgung sein. Sie muss durch den Staat gefördert werden. Gelingt dies in einem hochkomplexen Umfeld? Das Beispiel zeigt: Die Luhmann-Scharpf-Debatte aus den 90ern ist aktueller denn je.

Die Pflegeinitiative wurde im November 2021 angenommen. Der Auftrag war, dass die Pflege ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsversorgung sein soll und durch den Staat gefördert werden muss. Sie forderte, dass der Staat genügend Pflegefachpersonen sicherstellt. Stand heute hat der Bund die Rahmenbedingungen definiert und das neue Bundesgesetz tritt am 1. Juli 2024 in Kraft.

Als Projektleiterin, betraut mit der koordinierten Umsetzung in der Zentralschweiz, bin ich mittendrin. Und ich stelle mir wiederholt die Frage: Wird mit den definierten Massnahmen der gewünschte Effekt erzielt? Ist es vermessen, dass wir dem Staat die Verantwortung zur Lösung der Fachkräfteproblematik übertragen?

Der Themenblock «Public Affairs» in meinem EMBA an der HSLU führte mir vor Augen: Meine Fragen sind alles andere als trivial. Die Luhmann-Scharpf-Debatte ist aktueller denn je.

Luhmann versus Scharpf
Niklas Luhmann entwickelte in den 90er Jahren die sogenannte Systemtheorie. Darin stellt er die These auf, dass die Politik ihre Subsysteme (z.B. Wirtschaft oder Medien) nicht zielgerichtet und vorhersehbar steuern könne. Er begründete dies damit, dass sich diese Subsysteme von der Umwelt mittels binären Codes (Wirtschaft: zahlen/nicht zahlen; Medien: Information/Nichtinformation) abgrenzen und auf diese Weise den Selbstreproduktionsprozess aufrechterhalten.

Fritz W. Scharpf wiederum war anderer Meinung. Er kommt in seiner Policy-Analyse zum Schluss, dass sich komplexe Subsysteme mit dem geeigneten Instrumentenmix durchaus steuern lassen.

Lösungsansatz in der Pflege
Der Bund setzt bei der Umsetzung der Pflegeinitiative auf den von Scharpf angesprochenen Instrumentenmix. Er beinhaltet Aspekte der direkten und indirekten Steuerung: Pflegefachpersonen können künftig Leistungen direkt abrechnen. Wir bewegen uns auf der Ebene der direkten Steuerung. Betriebe, Studierende und Schulen erhalten Beiträge sofern die Kantone die notwendigen Grundlagen erarbeitet haben. Wir befinden uns auf der Ebene der indirekten Steuerung mittels finanziellen Anreizes.

Der Mix erscheint erfolgsversprechend
Die heute bekannten Überlegungen aus den Kantonen zeigen zielführende Massnahmen wie z.B. die Beitragsmodelle an die Studierenden auf. Massnahmen, welche ohne staatliche Unterstützung nicht im selben Tempo und Ausmass in Angriff genommen worden wären. Ein Punkt für Scharpf.

Wir haben aber nicht nur einen Pflegefachkräftemangel, sondern einen generellen Arbeitskräftemangel. Ausserdem ist kritisch zu betrachten, ob alle Institutionen die finanzielle Unterstützung zielführend einzusetzen vermögen. Und es stellt sich die Frage, ob die Massnahmen zu gegebener Zeit nicht auch ohne staatliche Beiträge ergriffen worden wären. Komplex. Ein Punkt für Luhmann.

Das Beispiel zeigt: Es gibt nicht die eine richtige Lösung. Ein Mix aus Luhmann und Scharpf erscheint erfolgsversprechend. Und wie so oft in komplexen Milieus: Wir werden die Lehren erst retrospektiv ziehen können.

Illustration der Luhmann-Scharpf-Debatte am Beispiel des Gesundheitswesens
Luhmann und Scharpf sind sich uneinig, inwiefern der Staat Systeme wie das Gesundheitswesen steuern kann. (Illustration generiert mittels KI)

Claudia Jauch

Claudia Jauch ist als Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am XUND Bildungszentrum Gesundheit Zentralschweiz tätig. Sie nimmt das Mandat als Koordinationsstelle der Zentralschweizer Kantone zur Umsetzung der Pflegeinitiative war. Zum Zeitpunkt der Publikation absolviert sie den Executive MBA an der Hochschule Luzern – Wirtschaft.

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One thought on “Wieviel kann der Staat steuern? Das Beispiel Pflegeinitiative

  1. Dass wir in einen Pflegenotstand geraten werden und ein grosser Bedarf an zusätzlichen Pflegefachpersonen- vor allem auf HF- Niveau – besteht, ist seit vielen Jahren bekannt und die Politik wurde auf verschiedenen Ebenen wiederholt dazu aufgerufen, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um A genügend Pflegefachpersonen auszubilden und B diese länger im Beruf zu halten. Die Aufrufe allen führten zu äusserst Bescheidenen Resultaten! Erst die Pflegeinitiative zwingt nun die Politik, zum Handeln. Ein Punkt für Scharpf.
    Ob es aber tatsächlich gelingt, mit Hilfe der Pflegeinitiative die Rahmenbedingungen in den Institutionen so zu verbessern, dass die Pflegenden länger im Beruf verbleiben ist noch völlig offen.
    Bisher ein Unentschieden zwischen Scharpf und Luhmann. Ich setze mit meinem ganzen Optimismus auf Scharpf!

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