Innovation in Familienbetrieben – Mass halten zwischen Tradition und Moderne

Innovation, die konstante Erneuerung von Produkten, Prozessen und Businessmodellen, ist wesentlich für den Langzeiterfolg eines jeden Unternehmens. Joseph Schumpeter, einer der Pioniere modernen Managements und Strategie, hat im frühen 20. Jahrhundert über „kreative Zerstörung“ als eine fortwährende Tendenz in jeder Branche gesprochen: Neue Innovationen ersetzen ältere und zwingen etablierte Firmen zum Durchlaufen des anstrengenden, jedoch notwendigen Anpassungsprozesses, um langfristig zu überleben. Dr. Nadine Kammerlander, Professor of Family Business bei WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar, Deutschland, zeichnet ein faszinierendes Bild des unsicheren Gleichgewichts zwischen Vorteilen und Nachteilen vom Innovations- und Änderungsmanagement bei Familienbesitz und Familienführung.

Der lange Weg von Erfindungen zur Innovation

Innovativ zu sein bezieht sich nicht nur auf die Einführung einer hohen Anzahl neuer und vielversprechender Produkte. Innovation besteht aus den Versuchen, die Materialverarbeitung, den Gebrauch neuer Technologien für Entwicklung und Produktion, das Anwerben potentieller Kunden für die Nutzung der angebotenen Güter in einem neuen Rahmen effizienter zu gestalten und/oder neue Ideen für kreative und ausgeklügelte Vertriebswege und Businessmodelle zu finden.

Nicht jede Erfindung ist innovationsfähig. Einer der Geschäftsführer der großen Hightech-Familienunternehmensgruppe Freudenberg äußerte sich kürzlich dazu: „Für eine erfolgreiche Produktinnovation müssen wir statistisch gesehen mehr als 400 Ideen generieren.“ Erfolgreiche Unternehmen besitzen in der Regel institutionalisierte und komplexe Prozesse, um das Marktumfeld auf bevorstehende Trends zu scannen, sich selbst mit Technologien und Produkteigenschaften vertraut zu machen sowie neue Produkte hin zu ihrer Vermarktung zu entwickeln und zu bewerten. Je nach Branche verwenden Unternehmen bis zu 15% ihres Umsatzes für Forschungs – und Entwicklungstätigkeiten. Diese Unternehmen gelten als „innovativ“, wenn ein wesentlicher Teil ihres Umsatzes durch Produkte erzeugt wurde, die innerhalb der letzten drei Jahre eingeführt worden sind.

Innovation in Familienunternehmen

Die Meinungen über die Innovationstendenz von Familienunternehmen weichen stark voneinander ab. Zahlreiche „Hidden Champions“ im Familienbesitz sind für ihre hochmodernen Produkte mit ausgezeichneter Qualität bekannt. Viele Experten führen diese Innovationskraft auf die langfristige Ausrichtung der Familienunternehmen zurück. Beispielsweise lanciert das in den USA ansässige Familienunternehmen W.L. Gore regelmäßig innovative Outdoor-Bekleidung und verteidigt damit seine führende Marktposition. In der deutschen Automobilindustrie sind die Familienunternehmen unter den Automobilherstellern, Volkswagen, Audi und BMW für ihre voranschreitenden technischen Innovationen mit besonderem Augenmerk auf Effizienz, Sicherheit und Komfort bekannt.

Dabei wird der Familieneinfluss in Unternehmen oft mit Beständigkeit, Konservativismus und Tradition in Verbindung gebracht – Eigenschaften, die dafür bekannt sind, Wandel und besonders Innovation zu hemmen. Dieses  Bild wird von einigen empirischen Studien bestätigt und bringt die Forscher zur Schlussfolgerung, dass Familienunternehmen in der Regel weniger Geld für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ausgeben als ihre nicht familiär beeinflussten Gegenspieler.

Wie kann dieses konträr erscheinende Bild von Innovationsfähigkeit in Familienunternehmen erklärt werden? Eine aktuelle Studie hat sich die Struktur von Familienunternehmen hinsichtlich ihrer Innovationsfähigkeit angeschaut und die auf Familienbesitz zurückzuführenden Stärken sowie Schwächen offengelegt.

Innovationsschwächen von Familienunternehmen

Familienunternehmen sind aufgrund ihrer spezifischen Struktur und Führung, ihren Zielen, ihrem Ressourcenbestand und ihrer Geschichte anders als Nichtfamilienunternehmen. Diese Unterschiede stellen Gründe für einige innovationsbehindernde Nachteile in Familienunternehmen dar.

Sparsamkeit. Die erste Herausforderung für Familienunternehmen liegt in der Finanzierung für die Entwicklung innovativer Produkte. Die Produktentwicklung erfordert oft hochqualifizierte und erfahrene Arbeitnehmer sowie teure Hightech-Ausrüstung. Je nach Branche erreichen Entwicklungsperioden häufig 10 oder mehr Jahre, womit die Entwicklung eines einzigen Produkts enorme Investitionen ohne Sicherheiten erfordert. Während viele Unternehmen – besonders solche mit wohlhabenden Eigentümern – die Möglichkeit haben, innovative Aktionen zu finanzieren, lehnt es ein Großteil von ihnen ab. Eigentümer sind oft abgeneigt, zusätzliche Schulden, Einflüsse von Investoren oder andere externe Finanzierungsmaßnahmen auf sich zu nehmen, da sie ein Kontrollverlust über ihre Unternehmen fürchten.

Emotionale Bindung. Familienunternehmen legen den Fokus oft auf Tradition und Geschichte. Das hat zwei schwerwiegende Konsequenzen, welche die Innovationsfähigkeit verringern können. Erstens könnte die Glorifizierung von früheren Erfolgen die Eigentümer und Manager dazu anregen, weitere Änderungsnotwendigkeiten zu übersehen – ein Phänomen, welches auch als „Myopia“ bezeichnet wird.  Dies ist zum Beispiel dem renommierten und einst sehr erfolgreichen Modelleisenbahnhersteller Märklin zugestoßen, der schließlich im Jahr 2009 Konkurs anmelden musste. Zweitens bedeutet die Markteinführung von innovativen Produkten, Prozessen und Businessmodellen oft eine schwindende Relevanz langjähriger Aktivitäten. So hat die Entwicklung von MP3-Dateien einen sofortigen Rückgang von CD-Verkäufen mit sich geführt. Eigentümer und Manager von Familienunternehmen haben in der Regel eine zu hohe emotionale Bindung zu ihren Produkten, was sie zögern lässt, diese zu ersetzen.

Starrheit und Isolation. Eine andere Ursache für Nachteile in Familienunternehmen liegt in ihrer Inflexibilität, die aus Alltagsstarrheit und der Homogenität der Angestellten entsteht. Sie kann dazu führen, wesentliche aufkommende Trends zu übersehen und nicht genügend Produkte zu entwickeln. Inflexibilität in Familienunternehmen wird vor allem durch die lange Anstellungsdauer der Manager und Angestellten ausgelöst. Das kommt besonders bei Familienunternehmen vor, die routiniert Menschen mit ähnlichem Bildungshintergrund einstellen, welche dann eine „geschlossene Gruppe“ bilden. Diese Einheitlichkeit am Arbeitsplatz lässt wenig Raum für die Einführung von innovativen Ideen und noch weniger für „radikale“ Fortschritte. Besonders problematisch wird es, wenn die Familienunternehmen Anregungen von außen, beispielsweise von Beratern und Branchenexperten, ablehnen.

Innovationsstärken von Familienunternehmen

Ist Familienbesitz- und/oder Führung für die Innovationsfähigkeit immer abträglich? Die Antwort ist ein klares nein. Trotz einiger Herausforderungen besitzen Familienunternehmen bestimmte Stärken, auf die zu Gunsten der Innovation gebaut werden können.

Langfristige Ausrichtung und geduldiges Kapital.

Familienunternehmen zeichnen sich oft durch langfristige Planungsperspektiven aus. Bei zielgerichteten Anlagen denken sie eher in Jahren und Jahrzehnten als in Monaten oder Quartalen. Experten nennen diesen Wettbewerbsvorteil „geduldiges Kapital“. Geduldiges Kapital erlaubt den Familienunternehmen die Investition von Geld in komplexe und neue Produktentwicklungen, welche bis zur Kommerzialisierung Jahre benötigen. Ein Beispiel dafür ist die von Familienfirmen dominierte Autoherstellungsbranche. Die Unternehmen haben vor Jahrzehnten damit begonnen, in die Entwicklung von elektrischen Autos zu investieren und die ersten Modelle stehen nun seit Jahren zum Verkauf offen. Allerding kann trotz aller noch so großen Entwicklungsbemühungen niemand voraussagen, ob und wann die Nachfrage letztendlich in die Höhe schießt.

Entscheidungsfindungs-Prinzipien. Einer der Hauptwettbewerbs- vorteile von Familienunternehmen ist ihre Art der Entscheidungsfindung. Diese  zeichnet sich oft durch die Miteinbeziehung von wenigen Menschen aus und basiert häufig eher auf intuitiven Argumentationen als auf komplexen und detaillierten Businessplänen und Kalkulationen. Während dieses organisationale Verhalten von vielen im stabilen Marktumfeld als ineffizient und risikohaft angesehen wird, erweist es sich als sehr nützlich, wenn so genannte radikale Innovationen den Markt bedrohen. In diesen Zeiten werden börsennotierte Unternehmen oft verzögert durch das Warten auf die Verfügbarkeit von vertrauenswürdige Fakten und Zahlen, um diese in ihre  Kalkulationen einzubeziehen. Familienunternehmen können dagegen häufiger zeitnah entscheiden und reagieren. Außerdem können durch das hohe Legitimitäts- und Entscheidungslevel der CEOs aus Familienunternehmen Änderungen in der Organisation leichter durchgesetzt und politische Widerstände unter den Managern oder die impulsive Neuverteilung der Ressourcen vermieden werden.

Erfahrung und Engagement von loyalen Angestellten.

Obwohl eine lange Beschäftigungsdauer Inflexibilität hervorrufen kann, stellt sie ebenso einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil für Familienunternehmen dar. Das ist besonders bei so genannten „andauernden“ Innovationen der Fall, die wichtige Verbesserungen, basierend auf früher entwickelten Produkten, mit sich bringen. Beispiele für solche Innovationen könnten eine Erhöhung der Pferdestärken von Verbrennungsmotoren oder eine Steigerung der Energieeffizienz von Haushaltsgeräten beinhalten. In diesen Situationen können Familienunternehmen vom taktischen Wissen ihrer erfahrenen Langzeitangestellten profitieren. Wenn der Familie die Konstruktion einer positiven „Identität zum Familienunternehmen“ mit Zugehörigkeitsgefühl und geteilten Zielen geglückt ist, kann sie besonders auf ihre loyalen Angestellten zählen. Diese werden proaktiv nach Innovationsmöglichkeiten für das Unternehmen suchen.

Auswirkungen

Der Einfluss des Familienfaktors stellt ein doppelschneidiges Schwert für die Innovationsfähigkeit der Organisation dar. Familieneigentum- und Führung beinhaltet Schwächen aber auch Stärken. Um die Möglichkeiten voll auszuschöpfen, müssen Familienunternehmen ihre Schwächen möglichst effektiv minimieren.

Familienunternehmen sollten für die Gewährleistung ausreichender Ressourcen und externer Einflüsse Anlage- und Kooperationsstrategien entwickeln. Ein erster Schritt hin zu diesem Ziel ist die komplette Transparenz in Bezug auf die Ausgaben für F&E-Unternehmen – besonders im Vergleich zu Wettstreitern – und Aufschluss über die Verknüpfung dieser Ausgaben mit den angestrebten mittel- und langfristigen Zielen des Unternehmens. Als Zweites könnten Partnerschaften mit anderen Familienunternehmen, die die gleiche Herausforderung hinsichtlich der Innovationen haben, helfen, die Barriere der „Sparsamkeit“ zu überwinden, da Investition und Risiko auf mehrere Partner verteilt sind. Informeller Austausch und formalere Zusammenarbeit sowie Joint Ventures  mit Start-Ups sind ebenso nutzbringend, um Zugang zu komplementären Fertigkeiten und Wissen zu erlangen. Zudem tragen solche Kontakte zu Aufgeschlossenheit unter den Angestellten im Hinblick auf Innovationen bei und verringern die Gefahr eines „Tunnelblicks“ unter den Entscheidungsträgern.

Um Starrheit zu vermeiden, sollten Personalleiter darauf achten, eine Vielfalt an Fertigkeiten und Hintergründen beim Einstellen zu verfolgen. Darüber hinaus könnten individuelle Entwicklungspläne, kontinuierliche Schulungen und Bildung für Angestellte und Manager im F&E-Sektor helfen, einen fortwährenden Zustrom relevanter Informationen zu aktuellen Trends und Entwicklungen aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsträger aus Familienunternehmen müssen sich selbst ausreichend von den Produkten lösen, die wahrscheinlich nur untergeordnete Rollen im Zukunftsmarkt spielen. Psychologisch betrachtet ist das vor allem für engagierte und langjährige Manager und Eigentümer, die in der Vergangenheit eine enge Produktbindung aufgebaut haben, keine leichte Aufgabe. Es ist eine weise Entscheidung, den Entscheidungsträgern das Bewusstsein zu vermitteln, dass eine langfristige Konkurrenzfähigkeit nur durch das Ersetzen alter Prozesse, Produkte und Businessmodelle mit Neuem möglich ist.

Zusätzlich zu den bereits erwähnten Aktivitäten zur Minimierung von Nachteilen sollten Familienunternehmen ihre Stärken als solche anerkennen. Charakteristische Entscheidungsfindungs-Prinzipien und ein auf lange Sicht wirksamer Planungshorizont helfen ihnen, schnelle Entscheidungen in einem unbeständigen Marktumfeld zu treffen, diese ohne erhebliche interne Widerstände einzuführen und über einen langen Zeitraum daran festzuhalten.

Die Bildung einer starken, positiven Identität zum Familienunternehmen kann den Wettbewerbsvorteil zusätzlich vergrößern. Diese verstärkt das Zugehörigkeitsgefühl der Angestellten zum Unternehmen und vergrößert ihre Loyalität sowie ihr Engagement. Einige Mechanismen, wie eine Betonung auf die gemeinsame Geschichte, die Aktive Einbeziehung der Angestellten in laufende Entwicklungen (beispielsweise durch eine transparente und proaktive Kommunikation) und Gesten zur Wertschätzung der Angestellten (mit Feierlichkeiten für erfolgreiche Projekte oder durch Eigentümer, die sich persönlich für ihre Angestellten Interessieren, etc.) können dazu beitragen, eine solche Identität mit der Zeit aufzubauen.

Anders ausgedrückt: Familienunternehmen können ihr Innovationsverhalten wahrscheinlich am erfolgreichsten gestalten, wenn sie einen ausgereiften Weg finden, die ihnen inhärenten Eigenschaften der Beständigkeit und Tradition mit einem unternehmerischen Verhalten hin zur Suche und Ausnutzung von Zukunftsmöglichkeiten in Gleichgewicht zu bringen. Das Erreichen einer Synergie zwischen diesen beiden Schwerpunkten ebnet ihnen den Weg, um die Herausforderungen in den Bereichen des Innovations- und Änderungsmanagements zu meistern.

Ursprünglich publiziert in Tharawat Magazine

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