Was generative Künstliche Intelligenz angeblich alles kann und wofür Studierende sie angeblich einsetzen – die Fragen sind bei Hochschullehrenden und Lehrpersonen derzeit hoch im Kurs. Häufig hinken die realen Erfahrungen mit entsprechenden Tools den theoretischen und teilweise spekulativen Überlegungen hinterher. Thomas Steiner, Professor und Leiter des E-Learning-Centers Cyberlearn an der Fachhochschule Westschweiz (HES-SO), machte die Probe aufs Exempel und spielte Arbeitsprozesse von Studierenden und Lehrenden von A bis Z mit KI-Applikationen durch. Die Ergebnisse sind beeindruckend – und führen dennoch zur Frage, ob sich Studierende das in Zukunft wirklich antun möchten.
Er sei kein Musiker, stellte Thomas Steiner klar, als er die diesjährigen Eduhubdays in Lugano als Plenarredner eröffnete. Die Veranstaltung wird im Jahrestakt von der Stiftung Switch organisiert, welche den Schweizer Hochschulen als Kompetenzzentrum zur Digitalisierung und Anbieter für digitale Dienstleistungen dient. Doch obwohl Steiners vielfältige Biografie bisher keine Berührungspunkte zur Musik aufweist, hat er unter dem sinnigen Künstlernamen «Raidio» auf Spotify inzwischen 19 Songs veröffentlicht – herkömmliche Musik, der man keine weitere Beachtung schenken dürfte, solange man ihre Entstehung nicht kennt. Er habe, so berichtete Steiner, die Musik vom ersten bis zum letzten Schritt mit KI-Applikationen erstellt: Die Melodie, der Text, die Songproduktion mit Gesang und Musik und schliesslich das Album-Cover – alles sei mit entsprechenden Programmen entstanden, ohne dass er wesentliche musikalische Impulse beigesteuert habe.
Steiner ist offensichtlich fasziniert von den technischen Möglichkeiten generativer KI, und so lag es nahe, dass er als Hochschullehrer und Digitalisierungsexperte der HES-SO auch Applikationen ausprobierte, die Studierende und Lehrende für ihre Arbeit nutzen können. Die Ergebnisse seiner entsprechenden Recherchen stellte er einem verblüfften Publikum vor. Er nahm dazu zunächst die Perspektive eines fiktiven Studenten ein, der einen Vortrag vorbereiten sollte, sich aber nicht mit dessen Inhalten auseinandersetzen möchte. Steiner zeigte konkret auf, wie man als Student:in Texte, aber auch Notizen, Audio- oder Videoaufnahmen in Zusammenfassungen umwandelt (Instant AI Notes & Transcript), wie er mit einer KI den eigenen Bildschirm teilt und gemeinsam mit ihr an einem Text oder Vortrag arbeitet (Google AI Studio) oder wissenschaftliche Quellen und Quellenangaben findet (Elicit). Mit DeepL lassen sich Texte nicht nur übersetzen, sondern auch umformulieren, und QuillBot hilft dabei, Texte so anzupassen, dass sie individueller klingen. Mithilfe von AI-gestützten Tools lassen sich Diagramme und grafische Darstellungen aufgrund von Texten (Napkin AI) oder ganze Foliensätze mit ansprechenden Illustrationen erstellen (Beautiful.ai), und auf Wunsch werden diese auch von einer künstlichen Sprecherin oder einem künstlichen Sprecher kommentiert (Synthesia.io). Dabei kann dieser Avatar auch individualisiert werden, sodass er dem eigenen Gesicht gleicht oder die eigene Stimme imitiert.
In seinem Referat nahm Steiner dann auch die Perspektive von Lehrenden ein: Viele der vorgestellten Tools – etwa zur Erstellung von Diagrammen oder Foliensätzen – können auch für Lehrende eine Zeitersparnis mit sich bringen, und weitere Applikationen sind explizit auf Lehr- und Lernsettings ausgerichtet. So generiert eine AI-gestützte Version von H5P, das seit Jahren für interaktive Videos bekannt ist, nun aufgrund von Texten auch Übungsaufgaben, Lernkarten, Repetitionsfragen etc. (H5P.org).
Steiners Einblick in die Nutzung von KI-gestützten Tools war beeindruckend konkret – für einmal war das Potenzial solcher Tools nicht nur eine abstrakte Grösse im allgemeinen Diskurs zu KI, sondern direkt sicht- und hörbar. Im Gegensatz zu anderen intensiven Anwendern von KI liess sich Steiner dabei von den beeindruckenden Möglichkeiten, die er selbst aufzeigte, nicht blenden: Im zweiten Teil seines Referats wies er auf die Schattenseiten und Herausforderungen hin, welche die Nutzung generativer KI für die Hochschullehre und andere Bereiche mit sich bringt. Die Hochschulen müssten, so Steiner, klare didaktische Antworten auf die Fragen finden, die sich aus den Möglichkeiten generativer KI ergäben. Er illustrierte die rasanten Entwicklungen der KI-Branche, machte deren Energie-Hunger deutlich und zeigte, dass ein konsequenter Einsatz von KI immense Kosten verursacht und diese Gelder auf die Konten von sehr wenigen Konzernen und Personen fliessen. Aber auch die Auswirkungen aufs Arbeiten und Studieren an sich gaben Steiner zu denken: Erledige man alle Arbeiten und Arbeitsschritte mit spezifischen Tools, gehe die vertiefte Auseinandersetzung mit einer Materie verloren – mithin also das, was Studieren und intellektuelles Arbeiten so befriedigend mache.
Beim Verfasser dieses Textes löste Steiners Referat zunächst Neugierde aus: Mit Napkin AI Diagramme erstellen, mit Beautiful.ai ansprechende Folien gestalten, mit H5P.org gute Lernmaterialien erstellen – alles wünschenswerte Skills, die den Arbeitsalltag als Dozent:in erleichtern und den Output verbessern könnten. Gerade für digitale Unterrichtsmaterialien, die Studierende und Weiterbildungsteilnehmende im Selbststudium bearbeiten, können solche Möglichkeiten hilfreich sein. Das Ausprobieren der Tools führte allerdings schon bald zur Ernüchterung: Schon bei der Anmeldung zu einzelnen Tools muss man sämtliche Daten des eigenen Google-Accounts freigeben, und die wirklich spannenden Funktionen winken oft erst hinter der Paywall, die dann für eine sporadische Nutzung doch zu hoch ist. Schnell zeigte sich: Die rasche Nutzung en passant ist keine Option. Wer als Einzelperson oder Hochschule solche Tools verwenden möchte, muss sich genau überlegen, welche Applikationen er/sie wofür einsetzt und wie sie/er dies in die eigenen Arbeitsprozesse integriert. Eine oberflächliche Anwendung dürfte hingegen auch in Zukunft zu einer Bastelei mit halbgaren Ergebnissen führen. Dass dies langfristig unbefriedigend bleibt, gilt auch für Studierende – es kann letztlich nicht das sein, was sich Studierende von ihrem Studium erhoffen. Ihnen aufzeigen, dass Studieren nicht einfach heisst, im Akkord Referate und Texte abzuliefern, sondern neues Wissen zu erwerben und neue Ideen zu entwerfen und dadurch letztlich auch intellektuell zufrieden zu werden, wird daher in Zukunft eine zentrale Aufgabe der Hochschulen sein.
Illustration: Adobe Firefly.