In welcher anderen Branche wird das kooperative Moment ähnlich stiefmütterlich behandelt wie in der Lehre? Sie tut jedenfalls so, als ob „Lehren“ ganz grundsätzlich eine Sache von Einzelnen wäre. Zwar mit ganz viel Support im Hintergrund – aber auf der Bühne gilt dann „Stand-Alone“: Wie bei Geräten, „die eigenständig, ohne weitere Zusatzgeräte, ihre Funktion erfüllen können“ (Wikipedia).
Dass Lehr-Lern-Prozesse durch vielfältige Zusammenarbeit gewinnen und erst dadurch zu ihrer eigentlichen Grösse finden, das hat in Bildungskontexten wenig Plausibilität. Die Berührungsängste sind dort, wo Didaktik hinreicht, mit Händen zu greifen. Nicht erst dann, wenn Interdisziplinarität angesagt ist. Ganz anders die Erfahrungen beim 4. Bildungsbier an der Hochschule Luzern. Da ging es um die Frage, was Didaktik mit Kunst zu tun haben könnte. Und eine erste, starke Antwort lautet: Eine Menge, wenn sie dazu bereit ist, ihren Status als „Einzelleistung“ zu hinterfragen und sich auf das Phänomen des Kollaborativen einzulassen.
Erschaffen von Raum statt Kneten intellektuellen Hefeteigs
Dass Didaktik dann sogar zu einer Kunst wird, ist bereits zu Beginn in einer kleinen Performance mit Fabian Bautz spürbar: Die Anwesenden nehmen den Raum in Besitz und erschaffen ihn dadurch erst für ihre Zwecke. Sie realisieren, wer auch noch da ist (erstaunlicherweise sogar sie selbst). Nicht abschätzend und taxierend wie sonst so oft, sondern entdeckend – in der Bewegung.
Didaktik, die sich als Kunst versteht, beginnt damit, dass sie die Anderen im Raum entdeckt und dadurch den Lernraum erst erschafft – die „Anderen“ nicht als Objekte des Lehrens, sondern als Mitgestalter von Lernprozessen, die alle angehen. Didaktik als Kunst bedeutet Raum zu gewinnen. Es bedeutet gestaltungsfähig zu werden. Auch und vor allem körperlich. Hinaus aus den kognitiven Verengungen, indem ich den ganzen Körper nutze: als Sensorium, als Kompass, als Instrument der Kommunikation im künstlerischen Sinne: Als Klang- und Resonanzkörper, als Informationsquelle. So entstehen Beziehungen von fundamentaler Qualität – und erst dann wird Lernen lebendig. Das ist dicke Post, nicht wahr?
Auch die Musik (Silke Strahl, Saxophon/Raphael Loher, Keys) ist an diesem Abend nicht einfach ein weiterer Programmpunkt, sie ist nicht das nächste Thema auf der Agenda. Sie nimmt vielmehr auf und spinnt weiter. Sie leistet ihren eigenständigen Beitrag zur Entstehung des Lernens. Sie öffnet die Tür zu einer weiteren Dimension des Lernens, sie lockt in unbekannte Denk- und Vorstellungsräume. Sie thematisiert den Widerstand, ohne den nicht nur Flugzeuge am Boden bleiben, sondern auch das nachhaltige Lernen.
Das Ergebnis ist gar keines
Im zweiten Teil des Abends erschaffen die Teilnehmenden in kleinen Teams Kunstwerke. Die Künstlerin und Dozentin Karin Fromherz führt anschliessend durch die kleine, aber feine Vernissage. Zu sehen sind „noch warme“ Stücke einer Performance Art – entstanden in intensiven Prozessen der Verständigung. Das Hier und Jetzt wird als Ausdruck ergriffener Chancen sichtbar: Augenblickliche Gestaltung von Wirklichkeit, in der alle Beteiligten zum Vorschein kommen – und zwar eben nicht nur in den „Ergebnissen“, auf die die Didaktik bis heute starrt wie die Maus auf die Schlange. Womöglich kann uns die Kunst über die Wirklichkeit vor allem dies erzählen: Dass es entgegen der technisch-ökonomischen Verkürzung unseres Daseins auf Resultate („Credits“) gar keine Ergebnisse gibt, sondern nur Momente des Innehaltens und der Reflexion auf bisher Erreichtes, Verfehltes, Gelungenes und Ausstehendes. Das Kunstwerk ist dann eine Chiffre für das, was im Moment selbst maximal Gestalt anzunehmen versucht – darauf zielt womöglich auch die Formel der „Agilen Didaktik“ von Christof Arn.
Didaktik als ästhetisches Meisterstück
Was Kunst ist, lässt sich entweder definieren oder erfahren – und Beides lässt sich nicht durch das Andere ersetzen. Ärmer werden die Didaktik und das Lernen allemal, wenn sie sich hauptsächlich aus ihren Definitionen speisen. Und mit Aristoteles und Thomas von Aquin lässt sich sagen: Nichts ist im Intellekt, was nicht durch die Sinne Zugang zu ihm gefunden hat. Und zwar fortlaufend. Die Erfahrung „macht“ die Sache und hält sie lebendig – allerdings nur im Fluss. Didaktik als Kunst bezieht die reale Welt nicht ins Lehren ein, sie setzt sich selbst dieser Welt aus. Und sie ist als Kunst immer kollaborativ: Gemeinsam erschaffend und gemeinsam verantwortlich für den Prozess und seine „Produkte“. Dass dies auch digital geschehen kann, mag den einen oder die andere verunsichern. Aber dazu mehr an anderer Stelle.
„Das ist dein Bier“ sagen wir, wenn wir jemanden auf seine oder ihre Verantwortung zurückwerfen. Hinein ins schöpferische Alleinsein, ins selber Ausbaden. Das vierte Bildungsbier hat gezeigt, dass gute Lehre von all dem das Gegenteil sein kann – und in Zukunft auch sein muss. Denn die Veränderungen, die die Bildung durch die Digitalisierung erfahren wird, können nicht im Modus eines Einzelkämpfers bewältigt werden. Die Digitalisierung macht aus uns erst recht Künstlerinnen und Künstler lebendigen Lernens und Lehrens, ausgestattet mit jeder Menge kreativer Kollaborationskompetenz.
Wer diesen Faden weiterspinnen möchte, dem und der sei dieses Projekt empfohlen: Der CAS „Didaktik als Kunst“. Da geht es dann um Lehren als Meisterschaft. Unsere nächsten beiden Bildungsbiere sind am 9. November und am 14. Dezember. Wir freuen uns sehr, dass auch Sie dabei sind.
Und zum Schluss noch drei Statements: Was ist Kunst für dich?
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