Viele Menschen leiden unter ihren Organisationen. «Resigniert zufrieden» ist eine Zustandsbeschreibung für Mitarbeitende, die in Organisationsberatungsfachkreisen kursiert. So verbreitet das auch ist, so «normal» es geworden ist: Es ist eine Katastrophe. Denn es ist immerhin unser Leben als Mitarbeitende. Es ist auch eine Katastrophe für die Unternehmen. Wie viel Innovation, wie viel gute Energie für ein Unternehmen kann von „resigniert zufriedenen“ Mitarbeitenden kommen?
Man mag in dieser Situation eine Art stille Wut auf «die Führung» entwickeln. Nur: Vielen Führungspersonen geht es ebenso. Sie sind – zumindest von Zeit zu Zeit – genauso «resigniert zufrieden» bzw. leisten mehr oder weniger erfolgreich Widerstand, hadern mit Sinnlosigkeiten. Ihre Position hat sogar einen zusätzlichen Nachteil: Auf wen sollen sie wütend sein? Teilweise auf ihre Mitarbeitenden, sicher. Das führt tendenziell zu Distanz gegenüber den Mitarbeitenden, doch wird die Situation damit besser?
Macht in Unternehmen ist nämlich eine komplexe Sache. Man neigt dazu zu denken, «die Führung»hätte «die Macht». Es gibt aber in Organisationen nicht nur eine Macht, sondern viele unterschiedliche Arten von Macht. Mein Lieblingsgymnasiallehrer sagte einmal sinngemäss: Wenn Gymnasiastinnen und Gymnasiasten wüssten, wie viel Macht sie haben und wie sehr die Lehrpersonen diese fürchten, würden sie sich ganz anders verhalten.
Das Thema «Macht», das Thema «resigniert zufrieden», das Thema «Widerstand» ist nämlich nicht nur ein Thema für Organisationsberaterinnen, sondern auch für die Lehre, für Unterricht. Auch für das Lernen sind «gute Rahmenbedingungen für alle» zentral. Nicht zufällig spricht man in der Didaktik vom «Lehr-/Lernsetting». Dieses zu gestalten, ist die Aufgabe der Lehrenden – wobei es noch viel besser funktioniert, wenn es zu einer gemeinsamen Gestaltung kommt mit den Lernden zusammen.
Man könnte also auch bezogen auf die Unternehmen analog zum Lehr-/Lernsetting von einem Zusammenarbeitssetting sprechen. Eine andere Bezeichnung für «Rahmenbedingungen». Warum nicht. Klingt gut.
In (Hoch-)Schulen zeigt sich dasselbe Thema also doppelt. Letztlich wird es eine Abbildung sein: Die Art und Weise der Zusammenarbeit unter allen Mitarbeitenden aller Hierarchiestufen, ihr Umgang mit Macht und Verantwortung, wird sich wohl auch in der Zusammenarbeitsbeziehung zwischen Lernenden und Lehrenden abbilden. Es geht um eine «Hauskultur». Je nach dem gelingt «Bildung auf Augenhöhe» (Schmitt) oder nicht.
Ich habe Glasl gelesen zum Thema «Macht in Organisationen» und, als gute Ergänzung dazu, Elias Canetti (das Kapitel «Befehlsangst» in seinem Schunken «Masse und Macht»). Beide haben mir geholfen, Macht nicht mehr eingleisig, nicht mehr einfach top-down zu denken. Glasl zeigt, wie Macht situativ ist und wie sehr also Mitarbeitende in konkreten Situationen prinzipiell Macht haben. Das ist das, wie Organisationsberatung meiner Einschätzung nach sich das Phänomen Macht in Organisationen so vorstellt. Canetti hingegen zeigt die dumpfe, dunkle Seite der Macht – aber eben auch, wie sehr deren Auswirkungen die Mächtigen selbst ängstigt.
Was aber heisst es, Organisation als etwas zu sehen, das wir gemeinsam gestalten? Für mich heisst es, dass ich den Satz «Die Führung sollte …» abgeschafft habe. Nicht nur, weil ich unsicher bin, wie viel Macht sie überhaupt hat. Sondern weil ich mich mit diesem Satz selbst behindere. Solange ich meine, andere sollten etwas tun, tu ich selbst nichts.
Noch vor fünf Jahren lag mir der Satz «die Führung sollte …» sehr nah. Die genannten Überlegungen beschreiben eine Entdeckung, einen Lernprozess meinerseits in dieser Zeit. Dieser löst das Problem mit dem Leiden in und an Organisationen nicht. Er stellt das Problem neu auf. Die eigentliche Arbeit beginnt damit erst – neu als gemeinsame. Wie wir es ganz konkret anpacken können, müssen wir noch herausfinden. ExpertInnen helfen. Z.B. am 12. April, 17 Uhr in Luzern. Herzlich willkommen zum Bildungsbier Nr. 3: Keimkraft im Bildungssystem!
Weiterführende Quellen
- www.adminus.ch
- Canetti, Elias (1960): Masse und Macht. Hamburg: Claassen.
- Glasl, Friedrich (2008): Wie geht Mediation mit Macht um? In: Perspektive Mediation, 2008/4
- Nagel, Erik (2016). Glücksfall Widerstand: Vom produktiven Umgang mit normalen Ausnahmen. Zürich: Versus Verlag.
- Röösli, Franz (2015): Initialisierung musterbrechender Managementinnovation.
- Schmitt, Christoph (2013): Bildung auf Augenhöhe. Bern: hep