Hans Huckebein scheint ein ziemlich sympatischer Zeitgenosse zu sein. Immerhin hat er 1130 Freunde auf Facebook. Doch Huckebein ist keine reale Figur, sondern das Facebook-Profil eines Exponats der Ausstellung „Gerettete Götter aus dem Palast vom Tell Halaf“ im Pergamonmuseum Berlin. Der Name ist einer Geschichte von Wilhelm Busch entlehnt. Huckebein ist also ein fiktiver Charakter auf Facebook, der vom Pergamonmuseum sehr raffiniert und effektiv eingesetzt wird, um Geschichten über die Ausstellung zu erzählen und mit dem Publikum zu kommunizieren. Es gibt auch andere fiktive Profile auf Facebook, die ganz gezielt eingesetzt werden, um Geschichten zu erzählen, wie zum Beispiel Doris Dobner, die für die Plattform Zuri.net unterwegs ist. Ein kurzer Bericht darüber findet sich hier.
So weit so gut, doch in den letzten Wochen ist das Thema Klarnamenpflicht ziemlich hochgekocht, also die Frage, ob man in sozialen Netzwerken mit dem richtigen Namen agieren soll, oder ob Pseudonyme erlaubt sind. Die grossen Netzwerke wie Facebook oder jetzt neu auch Google+, versuchen mit zweifelhaften Erfolgen eine Realnamenpolitik durchzusetzen, wie sie auch in den jeweiligen Geschäftsbedingungen festgeschrieben ist. Auch viele Politiker hätten gerne, dass sich Anwender von sozialen Medien nicht hinter Psyeudonymen verstecken. Die Absicht dahinter ist klar. Sowohl diese Firmen als auch Staaten wünschen sich grösstmögliche Kontrolle über die Daten der Anwender wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Für Facebook & Co. geht es dabei um Werbeinnahmen, für den Staat um Ruhe und Ordnung.
Die amerikanische Forscherin Hannah Boyd hat auf ihrem Blog einige Gründe genannt, warum es Sinn macht, mit einem Pseudonym in sozialen Netzwerken unterwegs zu sein. Jemand der schon mal von einem Stalker verfolgt oder anonym bedroht wurde, möchte vielleicht eher unter Pseudonym kommunzieren. Ein Lehrer möchte vielleicht nicht unbedingt von seinen Schülern über soziale Netzwerke kontaktiert werden. Boyd nennt noch viel andere gute Gründe.
Wie in dem obigen Beispiel gezeigt, kann die Klarnamenpflicht auch Einfluss auf die Social Media Aktivitäten einer Institution haben. Allerdings weisst Hannah Boyd auch darauf hin, dass gerade auf Facebook seit Jahren eine Politik des „Leben und leben lassens“ vorgeherrscht hat. Das heisst, Facebook hat in den meissten Fällen die Politik der Realnamen nicht wirklich durchgesetzt. Meine Einschätzung ist die, dass zeitlich befristete Storytelling Projekte auf Facebook durchaus eine Chance haben, wenn der Name des Charakters nicht ganz offensichtlich der einer bekannten Persönlichkeit ist und wenn man damit keine unlauteren Absichten verfolgt.
Eine interessante Variante ist jedoch folgendes Beispiel eines Crossmedia-Storytelling-Projektes. Das Projekt heisst The Inside Experience und der Hauptcharakter des Dramas ist Christina Perasso. Die junge Frau hat auf Facebook fast 30.000 Follower aber mit dem Unterschied, dass Perasso kein Nutzerprofil ist, sondern eine Unternehmensseite, die offiziell als fictive character ausgeschrieben ist. Hier wird also nicht, wie bei vielen anderen Storytelling Projekten in den sozialen Medien versucht, die Illusion aufzubauen, dass es sich um eine reale Person handelt (siehe z.B. auch lonelygirl15). Wenn wir vor dem Fernseher sitzen oder vor der Bühne, so wissen wir ja auch, dass es sich um Schauspieler handelt. Die Hauptsache ist, dass die Zuschauer sich auf die Fiktion einlässsen. Coleridge nannte das „den Unglauben suspendieren“. Was zählt, ist ja nicht der Wahrheitsgehalt, sondern ob die Geschichte uns berührt. Das Beispiel The Inside Experience zeigt, dass sich mittlerweile soziale Medien als Erzählplattformen zu etablieren beginnen und dass die Anwender auch bereit sind, einen solchen „Fiktionsvertrag“ einzugehen. Wenn man das Erzählen in den sozialen Medien so betreibt wie im Falle von The Inside Experience, dann hat man auch keine Repressalien in Bezug auf die Klarnamenpflicht zu befürchten
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2 Antworten zu „Storytelling in sozialen Medien und die Klarnamenpflicht“