Focal, die Stiftung Weiterbildung Film und Audiovision lud zu einer Transmedia Storytelling Tagung in Biel ein und hatte einige der absoluten Cracks der Szene eingeladen. Transmedia Storytelling (TS) widmet sich dem Erzählen über mulitple mediale Plattformen hinweg. Zur Begriffserklärung hier ein Verweis auf einen früheren Artikel über die stARTConference, in der es um Transmedia im kulturellen Kontext ging. TS ist gerade für den Kulturbereich von enormer Bedeutung, da Kultur sehr stark mit Geschichte, Geschichten und Mythen arbeitet. Wenn nun zunehmend auch in Museen Social Media eingesetzt werden, um museale Inhalte zu vermitteln, so ist man automatisch beim medienübergreifenden Erzählen: Vom Objekt zu medienspezifisch aufbereiteten Geschichten und zurück (hoffentlich!). Wie das im Idealfall aussehen kann, hat das British Museum mit seiner Aktion „A History of the World in 100 Objects“ gezeigt.
Der Veranstalter Focal ist in der Filmbranche verortet und viele transmediale Projekte sind auch um Filme (und/oder Spiele) herum angesiedelt. Oder vielleicht sollte man eher sagen, dass Projekte wie The dark Knight oder Avatar mittlerweile riesige transmediale Erzähl- und auch Merchandisinguniversen sind, in denen der Film selbst nur ein Teil ist, wenn auch ein wichtiger. The Dark Knight. z.B, Christopher Nolan’s Batman Verfilmung, arbeitete mit einem gross angelegten ARG (alternate realtiy game). ARGs funktionieren als Mischung aus Storyelementen, die digital vermittelt werden und anderen, die sich im Echtraum abspielen. Wie das im Beispiel von the Dark Knight funktionert, kann man hier nachlesen.
Entsprechend der Verortung lag der Fokus der Konferenz auf den praktischen Aspekten des TS. Was ist das eigentlich, Transmedia Storytelling? Welche Strategien gibt es? Wie setzt man es um? Was funktioniert, was funktioniert nicht und wie finanziere ich das Ganze? Ich war recht erstaunt, dass es für all diese Fragen doch schon recht klare Antworten gibt. Es hat sich mittlerweile so etwas wie eine TS Branche entwickelt, die gerade im Film- und Gamebereich ordentlich Geld in die Hand bekommt und somit müssen natürlich auch gangbare, erfolgversprechende Konzepte her.
Im Folgenden eine Zusammenfassung der wichtigsten Vorträge. Ich werde in einem späteren Artikel auf ein, zwei Redner detaillierter eingehen.
Die Transmedia Produzentin und Buchautorin Alison Norrington fand von der Literatur her zum TS. Sie betonte die Wichtigkeit einer guten Storyworld als Ausgangspunkt für gutes TS. Eine Storyword ist nicht so sehr eine lineare Geschichte sondern vielmehr ein Möglichkeitsraum, der die Charakter und die verschiedenen Settings beschreibt. Von diesen Storywolds müsse man ausgehen, so Norrington und nicht von Medien-Plaftformen. Letztere müssen sich nach den Storyinhalten und Charakteren richten und nicht umgekehrt. Als Beispiel verwies sie auf den Charakter Betty Draper aus der HBO Erfolgssfernsehserie Mad Men. Es sei durchaus passend, dass man als transmediale Erweiterung der Fernsehserie für sie einen Twitter Account aufgesetzt habe. Die Gattin des erfolgreichen aber mysteriösen Werbers Don Draper ist eine unruhige, unsichere und vielen Stimmungsschwankungen unterworfene Person. Sie wäre gar nicht in der Lage mehr als 140 Zeichen auf einmal von sich zu geben, so Norrington. Ein Blog z.B. wäre da völlig unangebracht.
Das Beispiel Betty Draper zeigt auch, dass Subjektivität eine wichtige Rolle beim TS spielt. Es erlaubt das Erzählen von Geschichten aus verschiedensten persönlichen Perspektiven. Aber, man solle die Geschichten auch nicht übererzählen. Man solle „cheeseholes“ in den Geschichten lassen, damit das Publikum diese auffüllen könne.
Liz Rosenthal, Gründerin und CEO von Powertothepixel.com, einer Transmediaproduktionsfirma, verwies auf den grundsätzliche Wandel in der Medienlandschaft, der TS erst möglich gemacht hat. Die Restriktionen klassicher Massemedien in Form von Gatekeepern, Zeitformaten, Kanälen und Vertriebsmodellen löst sich auf. Das Publikum ist fragmentiert und übernimmt zudem immer mehr die Kontrolle. Es kollaboriert und personalisiert Inhalte. Es möchte individuellen Zugang zu Geschichten aber auch, dass diese Geschichten dem Betrachter folgen und nicht umgekehrt.
Es geht nicht mehr allein darum, dass man einer guten Geschichte zuhört. Vielmehr sind die Bereiche Gameplay, Geschichtenerzählen und soziale Aktivitäten (Community) immer stärker miteinander verbunden. Allerdings dürfe man nicht vergessen, so Rosenthal, dass es starke Unterschiede im Engagement gibt: 5% der Nutzer kann man als Produzenten von Inhalten bezeichnen, 20% als Spieler und 77% sind zumeisst passive Konsumenten.
Rosenthal zeigte noch einige interessante Fallstudien. So z.B. Iron Sky, ein Scien-Fiction Film über die Besiedlung des Mondes durch die Nazis, der mit einem kleinen Budget von 7.5 Mio Euro arbeitet, aber durch geschicktes TS und Social Media Marketing bereits vor der Veröffentlichung wöchentlichen Kontakt mit ca. 200.000 Fans hat und vorab ausverkaufte Screenings. Des weiteren ein kollaboratives (Crowdsourcing) Projekt namens 18 days in Egypt und Operation Ajax eine „interactive comics experience“ für den iPad.
Inga von Staden, Medienarchitektin, Leiterin des Interactive Media Studienprogammes an der Filmakademie Baden-Württemberg und Transmedia Consultant betrachtete vor allem produktionsspezifische und wirtschaftliche Aspekte des TS. Auch für sie steht die Storyworld am Anfang. Diese wird beschrieben in einer Story Bible. Erst dann geht man zum Storyboarding über, durch welches die Geschichte formatspezifisch aufbereitet wird. Dabei ist es wichtig, dass die emotionale Reise des Publikums über verschiedene Medien hinweg geskriptet wird.
TS ist nicht einfach ein Franchise, so von Staden, sondern bietet dem Publikum die Möglichkeit eines grösseren Blicks aus verschiedenen Perspektiven auf eine Geschichte. Und warum macht man das? man kann damit verschiedene Märkte adressieren, die zum Teil mit sehr unterschiedlichen Erlösmodellen arbeiten. So bieten MMUOGs (massively multi user online games) die Möglichkeit von Micropayments. Über Services wie Millipay können während eines Spiels Tools und Inhalte mittels Kleinstbeträgen gekauft werden, die dem Spieler weiterhelfen, wobei die Teilnahme am Spiel selber kostenlos bleibt. Ein Fallbeispiel: The Inner World, welches sowohl als Adventure Game, Brettspiel und TV Serie umgesetzt wurde. Eine weitere Variante, wie Inhalte transmedial umgesetzt werden zeigt das Beispiel National Geographic. Was als eine populärwissenschaftliche Zeitschrift bekannt wurde, ist mittlerweile ein Verlag, in dem Medientexperten zusammen mit Forschern neue mediale Vermittlungskonzepte für Forschung entwickeln: Von Elearning Plattformen bis zu Augmented Reality Anwendungen.
Für Transmedia-Projekte gibt es mittlerweile auch Fördermöglichkeiten, so z.B. über das Media Programm der europäischen Union oder auch über den Migros Kulturprozent. Diesbezüglich lohnt es sich aber auch, so von Staden, über Gegenfinanzierung mittels Technologieförderung nachzudenken.
Hier noch einige Fallbeispiele aus dem Vortrag:
- Lebt Wohl Genossen: Ein Projekt über das Leben hinter dem Eisernen Vorhang.
- The truth about Marika: Ein fiktionales schwedisches TS Projekt
- Inside the Haiti Earthquake: Ein sogenanntes Serious Game, welches das Erdbeben in Haiti aus der Perspektive verschiedener Beteiligter (Journalist, Entwicklungshelfer, Überlebender) erfahrbar macht.
Patrizia Pesko von der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SSR berichtete, dass das Schweizer Ferneshen bereits TS Projekte fördert und entsprechende Gelder zur Verfügung stellt und auch das Bundesamt für Kultur fördert TS Projekte: Zum einen über die Förderung der Filmkultur, zum anderen über die Filmförderung selbst. In diesem Zusammenhang ein Hinweis auf schweizierische Projekte: 360° Langstrasse Zürich über das Langstrassenquartier in Zürich und Frischfilm, ein Crowdsourcing-Projekt des Schweizer Fernsehen.