Seminare
Wie wir wohnen, mit wem wir leben, wie wir Sorge tragen, wirtschaften und Räumeteilen – all das sind keine rein persönlichen Entscheidungen. Es sind Ausdrucksformen gesellschaftlicher Aushandlungen. Sie stehen im Spannungsfeld zwischen privaten Bedürfnissen, politischen Systemen, ökonomischen Zwängen und ökologischen Grenzen. In Zeiten des neoliberalen Umbaus und wachsender Vereinzelung ist es notwendiger denn je, nach den Bedingungen und Möglichkeiten kollektiven Lebens zu fragen.
Wohnen ist keine neutrale Tätigkeit. Es ist eng verwoben mit Fragen nach Zugehörigkeit, Verteilung, Teilhabe und Macht. Der Satz «Wohnen ist Arbeiten» fordert uns auf, das Zuhause nicht länger als Rückzugsort zu begreifen, sondern als sozialen Raum, in dem Sorgearbeit geleistet, Identitäten verhandelt und gesellschaftliche Ordnungen (re-)produziert werden. Wer kann sich welchen Raum leisten? Wer gestaltet, wer sorgt, wer entscheidet? Und wie greifen diese räumlichen Praktiken ineinander?
In einer durch den Klimawandel, Ressourcenknappheit und soziale Spaltung geprägten Gegenwart ist es unumgänglich, unser Handeln in Relation zu grösseren Prozessen zu setzen. Die alltägliche Wohnpraxis ist keine isolierte Handlung, sie ist Teil dessen, was die Welt bewohnbar macht – oder eben nicht. Wie lassen sich also in Zeiten massiver Unsicherheiten Räume des Vertrauens und kollektiver Verantwortung entwerfen und ermöglichen, ohne in Nostalgie oder Utopismus zu verfallen? Wie kann Architektur zum Rahmen für alltägliche Sorge und für gemeinschaftliche und individuelle Entwicklung werden?
Unser Ausgangspunkt in diesen Seminaren ist die Frage nach dem Wesen des Wohnens, nach Beziehungsweisen zwischen Menschen und Dingen, zwischen Sorge und Struktur, zwischen Bedürfnissen und Systemgrenzen. Wohnen neu zu denken bedeutet, sich nicht mit Bestehendem zufrieden zu geben, sondern neue Zukünfte zuimaginieren und alte Gewissheiten zu hinterfragen. Es bedeutet, Räume nicht nur zu besetzen, sondern auch zu befragen.
In den drei Lektüreseminare nähern wir uns anhand theoretischer Texte, architektonischer Positionen und persönlicher Erfahrungen dem Wohnen als räumlicher, sozialer und politischer Praxis an. Die vier Workshops innerhalb der Seminare bieten Raum für aktives Mitdenken und Mitgestalten. Sie leben von der Beteiligung aller und eröffnen ein gemeinsames Feld des Fragens, Suchens und Veränderns. Denn das Denken über Wohnen ist selbst schon Teil des Wohnens. Es beginnt dort, wo wir beginnen, Verantwortung für unser räumliches Handeln zu übernehmen.