SEMINAR 2:
TIEFENZEITEN

SUZANNE SONG UND MICHAEL HIRSCHBICHLER

 

Geologische Zeitspannen, die Millionen und Milliarden von Jahren umfassen, sind für uns schwer vorstellbar, da der moderne Mensch erst seit etwa 50.000 Jahren existiert. Doch alles auf der Erde besteht größtenteils aus Sternenstaub von vor 13 Milliarden Jahren. Im Hinblick auf grössere Zeithorizonte erscheint auch die Geschichte der Schweiz für uns wundersam: vor 400 Millionen Jahren ein tropischer Regenwald, vor 200 Millionen Jahren ein warmes Meer in Mitteleuropa, vor 20.000 Jahren von Eis bedeckt.

Unsere Lebensspanne ist ein Moment in einem Kontinuum. Unsere technologische Entwicklung, die von Steinwerkzeugen vor 3 Millionen Jahren über Maschinen vor 300 Jahren bis zur künstlichen Intelligenz vor Kurzem reicht, verzehnfacht sich dabei mit jedem Schritt. Mit der zunehmenden Geschwindigkeit der Menschheitsentwicklung entfernen wir uns mehr und mehr von unserer natürlichen Umgebung, wie unsere Dominanz auf dem Planeten durch Landwirtschaft, Urbanisierung, Abholzung und Umweltverschmutzung im Anthropozän deutlich zeigt. Wir sind in einer linearen Zeitvorstellung des beschleunigten Fortschritts gefangen, die uns den Blick auf die grösseren Zusammenhäng unseres Planeten verstellt und unsere eigene Zukunft ernsthaft bedroht.

Um uns aus diesem «Zeitkäfig» zu befreien, ist es notwendig, dass wir uns andere – sowohl kürzere als auch vor allem längere – Zeitspannen und Rhythmen vorstellen. Wie können wir unser Bewusstsein erweitern, um eine Geschichte zu erzählen, die verschiedene Zeitskalen umfasst? Solche, die unsere Vergangenheit ausmachen und die uns und anderen Lebewesen eine Zukunft auf der Erde ermöglichen?

Ausgangspunkt des Seminars ist das Wahrnehmen, Dokumentieren und Darstellen von Spuren verschiedener tiefer liegender Zeithorizonte. Wir werden in Gruppen arbeiten und Emmenbrücke erkunden. Mit verschiedenen künstlerischen Medien wie Film, Ton, Fotografie, Zeichnung, ortsspezifischer Malerei, Skulptur und Performance werden wir Projekte entwickeln, die nähere und fernere Zeiträume erschliessen. So entstehen Verbindungen zu vergessenen oder zukünftigen Umwelten, die unser Verständnis für die Verflechtungen mit der Vergangenheit und Gegenwart vertiefen und neue Perspektiven eröffnen.