Ein Rückblick auf die 50. DGHD Tagung Paderborn
Die 50. Jahrestagung der DGHD Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik stand unter dem Titel Transformationen. Perspektiven auf eine postdigitale Hochschullehre. Die verschiedenen Tagungsbeiträge haben das Leitmotiv der Transformation sowohl retrospektiv wie auch prospektiv gelesen und so ein Panorama der deutschsprachigen Hochschuldidaktik entworfen.
Blick zurück nach vorn
Exemplarisch für die erste Perspektive steht der Beitrag von Peter Tremp, Balthasar Eugster und Anna Hartenstein. Anhand der Publikationsreihe „Blickpunkte“ der DGHD skizzierten die drei Referent:innen die Entwicklungslinien der hochschuldidaktischen Debatten und zeigten auf, wie eng diese verschränkt sind mit der Institutionalisierung der Hochschuldidaktik. Wenig überraschend war dabei die Liste der herausgearbeiteten Themen und der Befund, dass sich viele davon über die letzten fünfzig Jahre Fachgeschichte beständig wiederholten. Interessant dagegen war die Beobachtung, wie sich die gesellschaftspolitischen Forderungen an die Institution Hochschule mehr oder weniger direkt niederschlugen in konkreten didaktischen Fragen. Die Referent:innen zeigten das am Beispiel des Prüfens: Als sich die Hochschuldidaktik in Deutschland vor fünfzig Jahren konstituierte, war sie ein direktes Produkt der studentischen Proteste und der Kämpfe um eine Demokratisierung der Institution Hochschule. Das Thema Prüfen wurde folglich im Zusammenhang mit der hochschulpolitischen Forderung nach einer Demokratisierung der Institution diskutiert und war eng verknüpft mit Fragen der Macht und Deutungshoheiten. Über die Jahre änderte sich dies fundamental: Prüfen ist zwar nach wie vor ein grosses Thema, aber es wird aktuell vor allem im Zusammenhang mit Chancengleichheit, Fairness und der Forderung nach individualisierten Lernpfaden verhandelt.
Zum Verhältnis von Theorie und Evidenz
Daneben bot die Jahrestagung auch eine Übersicht über die aktuelle hochschuldidaktische Forschung und die Hochschuldidaktik als Praxis, wobei sich – was vielleicht für das Feld ganz charakteristisch ist – zeigte, dass diese beiden Bereiche selten trennscharf blieben und ein gewichtiger Teil der Forschung eher den Charakter einer Evaluation der Praxis hatte. Ein gutes Beispiel dafür war etwa der Beitrag von Immanuel Ulrich und Barbara Wieczorek: „Ereignisorientierte prüfungsrelevante Lernziele als Werkzeug im Sinne des Constructive Alignments: Konzeption, Umsetzung und Evaluation“ untersuchte, ob detaillierte, operationalisierte Lernziele (so genannte ereignisorientierte prüfungsrelevante Lernziele EPL), die kleinteilig jeden einzelnen Lehr-/Lernschritt konsequent mit einer Prüfungsaufgabe verknüpfen, für die Student:innen als Lernhilfe geschätzt und genutzt werden. Ihre Ergebnisse zeigten, dass Lernen sehr individuell ist und diese EPLs zwar durchaus genutzt wurden und damit eine wichtige Hilfestellung sein können, dass sich daraus aber kein systematischer Nutzen ableiten lässt, weil sie einfach eine Lernhilfe unter vielen sind, die von manchen Student:innen genutzt werden und von manchen nicht. Dieser Befund mag intuitiv einleuchtend sein, hat durch diese Evaluation aber ihre empirische Basis gefunden.
Einen Kontrapunkt dazu stellte Ivo van den Berks Beitrag „‚Ein Loch ist im Eimer, Liebe Leute…‘ Von guter Lehre und Evidenz“ dar. Er warf der aktuellen Hochschuldidaktik mangelnde theoretische Fundierung vor. Zwar verlor sich der Beitrag teilweise in einem – nicht immer ganz präzisen – erkenntnistheoretischen Exkurs, brachte das Grundproblem dennoch auf den Punkt: Das Dogma der evidenzbasierten Hochschullehre habe dazu geführt, dass die theoretische Fundierung aus dem Blick gerät – mit dem Resultat, dass empirische hochschuldidaktische Forschung oftmals implizit und gleichzeitig auf verschiedene inkommensurable theoretische Positionen rekurriert. Eine explizitere Rückbeziehung der empirischen Forschung auf ihre erkenntnis- und lerntheoretischen Fundierungen täte deshalb not, so van den Berk. Um der vielfältigen Forschungstätigkeit im Feld der Hochschuldidaktik gerecht zu werden, hätte der Beitrag jedoch klarer unterscheiden müssen zwischen der Evaluation hochschuldidaktischer Praxis und eigentlicher Forschung, wobei sich van den Berks Kritik fairerweise ausschliesslich auf letzteres beziehen sollte und ersteres damit nicht grundsätzlich in Frage stellt. Darüber hinaus wäre eine weitere Unterscheidung hilfreich gewesen: Bezieht sich die Kritik ausschliesslich auf den mangelnden theoretischen Rückbezug hochschuldidaktischer Forschung oder zielt seine Kritik auch auf das Primat der Evidenz in der Hochschuldidaktik als Praxis ab? Eine Antwort auf diese Frage hätte van den Berks äusserst interessanten Evidenz-Kritik noch mehr Kontur verliehen.
Interdisziplinäre Perspektiven
Schliesslich stand unter dem Schlagwort der Transformation die so wenig überraschende wie drängende Frage im Zentrum, wie Digitalisierungsprozesse Hochschullehre verändern und prägen. Als jüngste Entwicklung in der digitalen Transformation können hier verschiedene Anwendungen von Künstlicher Intelligenz ausgemacht werden. Vier Projektmitarbeiter des von der Ruhr-Universität Bochum geleiteten Projekts „KI:edu.nrw“ gaben dabei im Rahmen der Diskurswerkstatt „KI-gestützte Learning Analytics an Hochschulen aus den Perspektiven Didaktik, Datenschutz, Ethik und IT“ Einblick in die relevanten Debatten. Im Zuge der Diskussion zeigte sich dann auch die von van den Berk diagnostizierte Theoriearmut hochschuldidaktischer Forschung: Der verengte Blick auf individuelle und isolierte Lernprozesse droht im Zuge der Beschäftigung mit den Versprechungen von Learning Analytics bei lerntheoretischen Modellen und Annahmen zu landen, das im Grunde genommen nicht viel anderes ist als die operante Konditionierung der 50er Jahre; Skinner 2.0 gewissermassen. Aus diesem Grund tun grösser angelegte Verbundprojekte wie das „KI:edu.nrw“ not, um vermeintlich rein technische Fragen (z.B. „Welche Daten aus dem Lernmanagement-System braucht es, um die Gefahr von Drop-outs bei Student:innen zu prognostizieren und zu minimieren?“) aus einer interdisziplinären Perspektive anzugehen und die verschiedenen möglichen Effekte – seien diese nun technischer, ethischer, politischer oder pädagogischer Natur – zu erkennen.
Hochschuldidaktik zwischen Forschungs- und Praxisfeld
Insgesamt hat sich in der Jahrestagung der DGHD einmal mehr der Doppelcharakter der Hochschuldidaktik als Forschungsfeld und als Praxis gezeigt, wobei ungeklärt bleibt, in welchem Verhältnis diese zueinanderstehen und wo ein allfälliges Primat tatsächlich liegt, beziehungsweise liegen soll. Man kann nun diesen Befund als Orientierungslosigkeit werten – oder produktiv wenden und die Hochschuldidaktik als genuin transdisziplinäres Feld denken und weiterentwickeln.
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