Noch vor der Sommerpause landete eine Mail in meinem Postfach – der Hinweis auf eine neue Website. Eine Mail wie manch andere auch, aber beim Drauf- und Durchklicken öffnet sich der grosse «Raum» dieser Website – einer Website zum sperrig anmutenden Thema «Differenzsensible Lehre» (https://differenzsensible-lehre.ch/).
Differenzsensible Lehre versucht, Diskriminierungen an Hochschulen abzubauen. Dazu bietet diese Website Ideen, Impulse und konkrete Anregungen. Sie ist das Ergebnis einer hochschulübergreifenden Projektgruppe aus der Pädagogischen Hochschule FHNW, dem Gender Campus Schweiz und der Universität Bern, die sich gemeinsam intensiv mit dem Thema beschäftigt und nun für andere Hochschulen, Dozierende und Interessierte eine umfassende Sammlung an Ressourcen zur Verfügung stellt – lebendig untermauert und ergänzt mit Stimmen aus der Praxis. Diese Audiospuren mit Gesprächs-Ausschnitten mit Dozierenden und Studierenden zur Frage, wie eine differenzsensible Lehre aussehen könnte, regt zum Nachdenken, Hinterfragen und Reflektieren an. Die ganze Website ist so konzipiert, dass sie sowohl für Selbststudium, hochschuldidaktische Weiterbildungen und auch direkt in der Lehre eingesetzt werden kann. Dazu tragen auch die Fragen am Ende der Seiten bei, die man zur eigenen Reflexion nutzen oder in den Austausch mit den Studierenden aufnehmen kann.
Mit allem dem möchte das Projektteam die Auseinandersetzung mit dem Thema anregen, ohne den Anspruch, einfache und eindeutige Antworten für die Umsetzung differenzsensibler Lehre zu liefern. Durchgängig zeigt sich die eingangs formulierte Absicht, dass wir uns als Hochschuldozierende, Hochschulbildung gestaltende Personen kontinuierlich mit dem Thema beschäftigen müssen. Auf der Website wird eine intersektionale Herangehensweise gelebt, mit der verschiedene Ungleichheits- und Differenzverhältnisse miteinander verwoben und auf hochschuldidaktische Fragestellungen bezogen werden. D.h. verschiedene Diskriminierungsaspekte wie Geschlecht, soziale Herkunft, Rassifizierung usw. werden als ineinander verschränkt verstanden.
Aufgezeigt wird, was Differenz oder auch Diversität ausmacht und wie diese wertende Hierarchisierung von Menschen historisch gewachsen ist. Welche Personen wir als anders zu uns verstehen, hat sich immer wieder verändert. Das, was wir als «normal» empfinden, hat mit der machtvollen Zuschreibung von «gut/schlecht», «richtig/falsch» immer auch eine hierarchische Komponente. Hochschulen sollten Orte sein, an denen solche normativen Setzungen kritisch hinterfragt und verändert werden. Dafür braucht es ein Verstehen, wie solche individuellen aber v.a. auch strukturellen Differenzverhältnisse von uns miterschaffen und mitgetragen werden. Differenzsensible Lehre trägt nicht nur dazu bei, vorhandene Differenzen wahrzunehmen, sondern die damit verbundenen Machtverhältnisse zu reflektieren. Dafür braucht es ein feines Gespür für Unterschiede – wann ist es relevant über Differenzen zu sprechen und wann führt es zur verletzenden Stigmatisierung. Differenzsensible Lehre möchte Reflexion anstossen, Fragen anregen, auf die es keine klaren Antworten geben wird, sie zu diskutieren aber lohnt, auch weil man Selbstverständliches hinterfragt.
Neben diesen grundsätzlichen Überlegungen zur Differenzsensibler Lehre werden auf der Website die vier verschiedenen Dimensionen Sprache, Wissenskanon/Curriculum, Institution Hochschule und methodisch-didaktische Gestaltung von Lehre angesprochen.
Diversität zeigt sich in der Sprache sehr schnell und führt über den Genderstern oder Doppelpunkt immer wieder zu kritischen Äusserungen. Sprache ist mehr als nur ein Kommunikationsmittel, Sprache leitet unsere Wahrnehmung, unseren Ausdruck und unser Handeln. Sprache ist der Ausdruck unserer Gedanken und formt Wirklichkeit. Wenn wir z.B. mit dem Doppelpunkt oder Genderstern alle Geschlechter explizit ansprechen, denken wir sie auch explizit mit und machen sie bedeutend mehr sichtbar, wie wenn sie «nur» über das generische Maskulinum mitgedacht sein sollen. Sprache transportiert gesellschaftliche Werte, formt Haltungen und Einstellungen. Sich für eine differenzsensible Sprache zu entscheiden, ist eine bewusste, wertebasierte Entscheidung. Dazu passt auch gut die abschliessende Reflexionsfrage: Welche gesellschaftlichen Vorstellungen von Normalität reproduziere ich in meiner Lehre möglicherweise mit meiner Sprache? Weil wir manchmal zu sehr in der historisch gewachsenen Sprache mit ihren eingeprägten Gewohnheiten hängen bleiben, hilft vielleicht ein Weiterklicken auf die unter Ressourcen genannte Website «geschickt Gendern». Genau dieser riesige Fundus an Ressourcen zu jedem Schwerpunkt mit Websites, Links und Literaturhinweisen rundet die Website ab.
Kritisch auf die eigenen Privilegien als Dozent:in zu schauen, führt auch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit verinnerlichten Gewissheiten. Diese Auseinandersetzung mit Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen in der eigenen Lehre kann zwar Unsicherheiten oder Unbehagen auslösen, regt aber auch an, die eigene Rolle neu zu definieren und zu verstehen. Indem man bisher selbstverständliches in Frage stellt, entsteht auch neuer Gestaltungsraum. Lehrinhalte und Methoden können so ausgewählt werden, dass Diskriminierung und Ausschluss erst gar nicht entsteht. Differenzsensible Lehre ermöglicht ein aktives, vorbereitetes agieren anstelle eines nachträglich reagieren und anpassen. Durch gute zwischenmenschliche Beziehungen entsteht ein vertrauensvolles Klima, mit dem alle am Lernprozess beteiligten Personen gesehen, respektiert und ernstgenommen sind. Dadurch können Dozierende die Bedürfnisse und Hintergründe ihrer Studierenden besser verstehen und in der Lehre berücksichtigen, so dass Ausschlüsse erst gar nicht entstehen. Auch wenn differenzsensible Lehre vielleicht erst einmal zu Verunsicherung führt, kann diese Verunsicherung auch eine Chance für die Weiterentwicklung der eigenen Lehre sein.
Wie? Dafür gibt die Website viele Hinweise, Tipps und Anregungen, die man nicht auf einen Blick erfassen kann. Daher lohnt sich ein Verweilen, hineinhören, vertiefen und mit den Reflexionsanregungen weiterdenken! Oder auch der Besuch des Kompaktkurses Diversitätssensible Lehre des ZLLF.
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