Medienarbeit – Berufliche Perspektive für Menschen mit Behinderung?

von Talin Canova, Absolvent Minor Digitalisierung und Soziale Arbeit, Mai 2022

In der Schweiz gibt es (noch) keine fest implementierte multimediale Medienwerkstatt in Institutionen für Menschen mit einer Behinderung. Dies obwohl Medienarbeit für diese Zielgruppe zahlreiche Chancen birgt. Die Darstellung in, der Zugang zu und die Arbeit mit Medien ist gemäss den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention zentral für die gesellschaftliche, politische und kulturelle Teilhabe im Hinblick auf die Inklusion von Menschen mit Behinderung. Ein Beitrag über Potenziale und Herausforderungen einer Medienwerkstatt für Menschen mit Behinderung.

Die Vielfalt an Projekten in der Schweiz, in denen Menschen mit Behinderung mediale Inhalte produzieren ist gross: Die Radioschule klipp+klang hat bereits diverse Projekte im Radio- und Audio-Bereich initiiert. «Ex&Co» in Genf bildet Video-Journalist*innen mit Behinderung aus. Mit «Reporter*innen ohne Barrieren» ist kürzlich ein Projekt von inclusion handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen der Schweiz, an den Start gegangen, bei dem mittels einer Plattform für mediale Inhalte von Menschen mit Behinderung und Schulungen, die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung in den Medien gefördert werden soll. Daneben gibt es noch weitere Beispiele, auch in den Bereichen Grafik, Webdesign oder Social Media. Was es in der ganzen Schweiz allerdings noch nicht gibt, ist eine fest implementierte und etablierte multimediale Medienwerkstatt für Menschen mit einer Behinderung, in der mit unterschiedlichsten Medien gearbeitet wird. Etwas anders sieht es in Deutschland und Österreich aus. Dort gibt es bereits einige Beispiele. Das Österreichische Hilfswerk für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte ÖHTB in Wien mit ihrem «Radio Wissensteam», dass Radiosendungen produziert und sich mit verschiedenen Medien und Themen auseinandersetzt. Die Werkstätte Hagenberg in Oberösterreich, die unter anderem eine Webseite redaktionell unterhält und Webseiten-Aktualisierungen vornimmt. Das Team von «HusFunk» der Husumer Werkstätten, das regelmässig im Raum Schleswig-Holstein auf Sendung geht. Oder ein Pilot-Projekt für eine Medienwerkstatt im Josefsheim in Nordrhein-Westfalen – die Beispiele im nahen Ausland sind zahlreich. Die möglichen Handlungsfelder und -formen sind sehr vielfältig (vgl. Abbildung 1). Und das sind auch die Chancen, die eine Medienwerkstatt für Menschen mit Behinderung mit sich bringt. Welche das sind, wird im Folgenden verdeutlicht.

Abbildung 1: Mögliche Handlungsfelder und -formen (Eigene Darstellung, 2022

Die Arbeit mit Medien bietet reichlich Möglichkeiten der Partizipation. Gerade in Kombination mit assistiven Technologien sowie digitalen Methoden, eröffnen sie gemäss Bosse (2016) Möglichkeiten der Teilhabe, die vielen Menschen davor verwehrt waren oder zu denen sie nur erschwerten Zugang hatten. Auch bedeutet die Arbeit mit Medien ein Stück aktive Teilhabe an der Medienlandschaft und bietet damit die Chance auf die Teilnahme an öffentlichen Kommunikationsprozessen. Wie Schluchter (2010) ausführt, gibt die Medienarbeit Menschen mit Behinderung eine Stimme in der Öffentlichkeit. Sie können dadurch ihre Anliegen und Bedürfnisse, sowie Perspektiven aus ihrer Lebenswelt an die Öffentlichkeit tragen und in diesem Zuge fehlende oder vorurteilsbehaftete Repräsentationen de- oder rekategorisieren (S. 136 ff.).

Des Weiteren beschreiben Demmler et al. (2012) und Schluchter (2015) vielfältige Chancen zum Selbstausdruck und für die Persönlichkeitsbildung (S. 91; S. 18). Das Einbringen eigener Ideen, Themen und Ressourcen, die Entdeckung und Entwicklung kreativer Potenziale im gestalterischen Prozess, die Stärkung des Selbstbewusstseins, die Erfahrbarkeit der eigenen Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit, sowie die Auseinandersetzung mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung sind hier zentral.

Auch bietet die Medienarbeit, durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Themen, die Möglichkeit zur Erschliessung neuer Erfahrungsräume ausserhalb des institutionellen Rahmens und zur Aneignung von Kompetenzen zur Informationsbeschaffung und -bewertung (Bounin, 2004, S. 315; Treber, 2012, S. 41). Generell werden durch die Arbeit mit digitalen Medien auch Medienkompetenzen und digitale Kompetenzen weiterentwickelt, was mittel- bis langfristig der drohenden gesellschaftlichen Exklusion entgegenwirken kann (Mühlebach, 2022).

Wie eingangs erwähnt kommt die Medienarbeit von Menschen mit Behinderung zentralen Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention nach. Hierzu ein kurzes Video:

Eine Medienwerkstatt stellt überdies ein innovatives Arbeits-/Beschäftigungs-Angebot einer Institution dar und bietet nicht zuletzt auch eine Erweiterung der Arbeits- und Beschäftigungs-Möglichkeiten für Menschen mit Behinderung. Auch kann die Digitalisierung einer Organisation durch den Aufbau einer Medienwerkstatt und die Nutzung von digitalen Methoden und assistiven Technologien vorangetrieben werden. Eine multimediale Medienwerkstatt ermöglicht zudem ein ressourcenorientiertes und selbstbestimmtes Arbeiten, bei dem sich alle mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen einbringen können.

Natürlich gibt es jedoch auch Herausforderungen, die der Aufbau einer Medienwerkstatt mit sich bringt:

Die Leistungs- und Outcome-Orientierung im Sinne des New Public Managements (Will-Zocholl & Hardering, 2020) stellt sicherlich die Achilles-Ferse des Aufbaus einer Medienwerkstatt dar. Insbesondere dann wenn es um kreatives Schaffen geht, sind die finanziellen Einkünfte wohl eher gering und könnten einem Status als Werkstatt des zweiten Arbeitsmarktes im Sinne der Invalidenversicherung im Wege stehen.

Generell ist die Finanzierung eine grosse Herausforderung, da zu Beginn im Bereich der technischen Anschaffungen hohe Beträge anfallen und auch die Schulung im Umgang mit Geräten und die Wartung derer mit einberechnet werden muss.

Nicht zuletzt müsste jedoch in struktureller Hinsicht ein Umdenken stattfinden und Barrieren in den Köpfen abgebaut werden. Es bräuchte wohl strukturelle Veränderungen in der Organisation, wie beispielsweise die Umgestaltung Unternehmenskommunikation.

Abschliessend lässt sich sagen, dass es zwar (v. a. finanzielle) Hürden für den Aufbau einer Medienwerkstatt gibt, es sich angesichts der zahlreichen Potenziale aber durchaus lohnen könnte, auf diesem Gebiet etwas zu wagen.

 

Literaturverzeichnis

Bosse, Ingo (2016). Teilhabe in einer digitalen Gesellschaft – Wie Medien Inklusionsprozesse befördern können. Bundeszentrale für politische Bildung – Onlinedossier Medienpolitik. https://www.bpb.de/gesellschaft/medien-und-sport/medienpolitik/172759/medien-und-inklusion

Bounin, Ingrid (2004). Aktive Medienarbeit: Radioarbeit leicht gemacht. In Anton Brehm & Roland Kohm (Hrsg.), Medienpädagogik und Medienpraxis für soziale Berufe: Lehr- und Arbeitsbuch (S. 315-321). Lambertus

Demmler, Kathrin, Jäcklein-Kreis, Elisabeth, Albers-Heinemann, Tobias & Rösch, Eike (Hrsg.). (2012). Medienpädagogik Praxis : Handbuch : Grundlagen, Anregungen und Konzepte für aktive Medienarbeit. kopaed.

Mühlebach, Christine (2022). Digitale Welt: Ohne Kompetenzen bleibt der Zugang verwehrt. Sozialinfo Dossiers Digitalisierung. https://www.sozialinfo.ch/digitalisierung/dossiers/ohne-kompetenzen-bleibt-der-zugang-verwehrt

Schluchter, Jan-René (2010). Medienbildung mit Menschen mit Behinderung (Medienpädagogische Praxisforschung Band 5). Kopaed

Schluchter, Jan-René (2015). Inklusive Medienbildung – Eine Skizze. In Jan-René Schluchter (Hrsg.), Medienbildung als Perspektive für Inklusion: Modelle und Reflexionen für die pädagogische Praxis (S. 17-26). Kopaed

Treber, Albert (2012). Vordenken und Nachdenken. In Kathrin Demmler, Eike Rösch, Elisabeth Jäcklein-Kreis, & Tobias Albers-Heinemann (Hrsg.), Medienpädagogik Praxis. Handbuch: Grundlagen, Anregungen und Konzepte für aktive Medienarbeit (Materialien zur Medienpädagogik, Band 10, S. 38-43). Kopaed

Hardering, Friedericke & Will-Zocholl, Mascha (2020). Digitalisierung als Informatisierung in der sozialen Arbeit?: Folgen für Arbeit und professionelles Selbstverständnis von Sozialarbeiter*innen. Arbeit, 29(2), 123–142. https://doi.org/10.1515/arbeit-2020-0010

 

Weiterführende Literatur

Bosse, Ingo, Schluchter, Jan-René & Zorn, Isabel (2019). Handbuch Inklusion und Medienbildung. Beltz Juventa.

Klimsa, Anja & Lange, Andreas (2019). Medien in der Sozialen Arbeit. Kohlhammer.

Sonnenberg, Kristin (2017). Soziale Inklusion – Teilhabe durch Bildung : Medienkompetenz als Beitrag zu sozialer und kultureller Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigungen. Beltz Juventa.

Tradinik, Ernst (2019). Medienberufe für Menschen mit Beeinträchtigung. merz – Zeitschrift für Medienpädagogik, 63 (5), 55-59.

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