Notationen als Arbeits- und Erkenntnismittel in der künstlerischen Forschung

8. – 9. Juni 2021, Online-Workshop

Konzept

Angela Lammert: «Notation oder vom Eigenwert visuellen Denkens in Raum und Zeit»

Das Verhältnis von Entwurf, Idee und finalem Werk hat sich im 20. Jahrhundert verschoben. Notation vermag zum Kunstwerk zu werden. Bildung und Bildlichkeit von Notation als Formfindungsverfahren jenseits einer Symbol- oder Zeichentheorie verstanden, betrifft nicht nur die Künste, sondern auch technischen Bilder. Damit kann das Feld der künstlerischen Forschung „rückerweitert“ werden, zeitlich früher als es die katalysatorische Funktion der Konzeptkunst verspricht. Mit welchem Ziel wird der Notationsbegriff mit dem der künstlerischen Forschung gekoppelt? Polemisch zugespitzt, um eine im wissenschaftlichen Sinne nachvollziehbare analytische Methode zu bestimmen, das Künstlerische epistemisch zu nobilitieren und als allgemein verständliches Kommunikationswerkzeug zu etablieren. Aber liegt nicht gerade das Potential der Notation in ihrer nicht verallgemeinerbaren Form? Welche Wirkweisen können Notationen für die künstlerische Forschung eröffnen? Diesen Fragen wird an drei Aspekten von Notation nachgegangen: Lesbarkeit (Mauricio Kagel, Jean Painlevé), Bildlichkeit (Oskar Fischinger, Iannis Xenakis) und Notation als Kunstwerk (Anthony McCall, Henri Matisse).

 

Volko Kamensky: «Experiment / Dokument»

Als „experimentelle Dokumentarfilme“ habe ich selbst meine Filmproduktionen wiederholt bezeichnet. Und dies nicht obwohl, sondern weil „Experiment“ und „Dokument“ auf ihre je eigene Weise problematische Begriffe darstellen. Ich werde versuchen aufzuzeigen, welche Formen des Wissens jedes einzelne Filmprojekt voraussetzt, welche es generiert und welche es versperrt. Auch soll es um die unterschiedlichen Medien gehen, die bei der Produktion zum Einsatz kommen und insbesondere darum, welche ihrer spezifischen Qualitäten zu welchem bestimmten Zeitpunkt zum Einsatz kommen. Es wird sich zeigen, dass eine der größten Herausforderungen darin besteht, die genutzten Notationsformen noch im fertigen Film sicht- oder hörbar werden zu lassen, und sie somit nicht etwa einer weiteren Erkenntnis zu entziehen, sondern ganz im Gegenteil, sie unverhofft zugänglich zu machen.

 

Anke Haarmann: «Nachvollziehbarkeit: Über Methoden und Vermittlungsweisen»

Ausgehend von der zugespitzten Frage, ob der Notationsbegriff mit dem der künstlerischen Forschung tatsächlich nur gekoppelt wird, um nachvollziehbare analytische Methoden zu bestimmen, das Künstlerische epistemisch zu nobilitieren und als allgemein verständliches Kommunikationswerkzeug zu etablieren, möchte ich dagegen eine nicht weniger zugespitzte Sichtweise vorschlagen: Dass nämlich die Forschung als reflexive kulturelle Praxis notwendig eine Ebene der Verhandelbarkeit und damit intersubjektiven Nachvollziehbarkeit will und braucht – und zwar jede Forschung. Dass es selbstverständlich auch Weisen des ästhetischen Nachvollziehens und künstlerische Methoden des Forschens gibt. Dass diese aber häufig unterbelichtet geblieben sind (und damit unbedacht) oder aber als Regelkanon falsch verstanden wurden. Worum es also für die Nachvollziehbarkeit der künstlerischen Forschung ginge, wäre zum einen eine „nachträgliche Methodologie“ zu etablieren, die den Methoden des ästhetischen Reflektierens situativ und nicht verallgemeinernd hinterherdenkt, und zum anderen Weisen der Mitteillung von künstlerischen Einsichten als ästhetische Verhandlungs- und Vermittlungsangebote zu entwickeln – so etwa, wie wenn wir das Ausstellen beginnen, als ein „Symposium der Dinge“ zu begreifen.

 

Ursula Biemann: «Forest Law, 2014»

Forest Law ist ein Videoprojekt in Kollaboration mit dem brasilianischen Architekten Paulo Tavares, über die Kosmopolitik des Amazonasgebiets. Es stützt sich auf Forschungen, die wir in der Öl- und Bergbaugrenze im ecuadorianischen Amazonasgebiet durchgeführt haben – eine der artenreichsten und mineralienreichsten Regionen der Erde, die derzeit durch die massive Ausweitung der Förderaktivitäten unter Druck steht. Mit Forest Law waren wir auf der Suche nach konzeptionellen und ästhetischen Werkzeugen, mit denen wir uns mit diesen uralten, artenreichen Ökologien in Amazonien auseinandersetzen können. Unser Forschungsweg kreuzte verschiedene narrative Stränge. Wir suchten die Begegnung mit Aktivisten und Anwälten, wir interviewten einen Botaniker am Herbarium der Universität von Amazonien, und wir sind einem Anthropologen begegnet, der erforscht, wie sich der Mensch in der Begegnung mit verschiedenen Arten von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen geformt und verändert hat.

Die weitreichenden Ideen über das «Denken mit» empfindungsfähiger Umgebungen, die in diesen Interviews auftauchen und die gegenwärtig die akademischen Disziplinen tiefgreifend verändern, werden von indigenen Waldgemeinschaften seit jeher gepflegt, obwohl ihr Wissen und ihre Lehren in westlichen Bibliographien kaum gewürdigt werden. Der Wald als ein Raum immenser biologischer und epistemischer Innovation ist der Ort, von dem aus diese Ideen historisch und gegenwärtig entstehen.

Im Gespräch mit der Künstlerin geht es unter anderem um die Beziehung unterschiedlicher Erzählstränge, welche die theoretischen Grundgedanken, die Vorrecherche und die Erkenntnisse aus der Feldforschung zusammen verweben. Das Schreiben ist in allen Stadien zentral und bleibt eng mit der Videoarbeit verknüpft, selbst nachdem die Videoarbeit in die Kunstkreisläufe gelangt ist.

 

Oswald Iten: «Die Tonspur festhalten»

Videoessays (auch: audiovisual essays) sind vereinfacht gesagt Essayfilme, die sich mit den medialen Clips, aus denen sie bestehen, kritisch auseinandersetzen. Mit der Präsentation von untersuchten Filmausschnitten lassen sich bereits viele Schwierigkeiten der sprachlichen Beschreibung audiovisueller Phänomene umgehen. Im Prinzip ist also der Videoessay auch selbst eine Form der Notation. Gerade bewegte Bilder lassen sich mit Hilfe gängiger Schnittprogramme relativ einfach so manipulieren, dass das zu untersuchende Merkmal interpersonell erfahrbar wird. Anders verhält es sich mit der Tonspur: Während ein bewegtes Bild als Standbild durchaus analysiert werden kann, lassen sich Geräusche nicht ohne zeitliche Dimension festhalten. Im Zentrum der Präsentation stehen deshalb Überlegungen zur Notation und Visualisierung von Filmtonspuren.

 

Kathi Kaeppel: «Zeichnen in Raum und Zeit«

Grundlage des Forschungsprojekts Zeichnen in Raum und Zeit. Untersuchung künstlerischer Praktiken der animierten Zeichnung im Raum ist die künstlerische Zeichnung in ihrer Fortsetzung als Animation. Ziel dieser Forschung ist es die Entwicklung und die Möglichkeiten der gezeichneten Animation im Raum zu untersuchen, deren Besonderheit es ist, einen inszenierten medialen Raum zu schaffen und diesen mit einer physischen Räumlichkeit und Plastizität einer Installation zu überlagern, der aber gleichermaßen Teil des künstlerischen Ausdrucks ist. Der Vortrag wird den Stand des Forschungsprojekt vorstellen, das versucht mittels grafischer Notationen eine Theorie für den gezeichneten Animationsfilm im Raum zu entwickeln.

 

Jürgen Buchinger: «Making Public Space»

Das angewandte Forschungsprojekt Making Public Space beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, mittels künstlerischer Interventionen auf den urbanen Raum einzuwirken. Bewegte Bilder können für die Stadt wichtige Themen an den Orten zur Diskussion stellen, an denen sie aktuell sind und dadurch eine breitere Öffentlichkeit teilhaben lassen, so die Hypothese.

Die künstlerische Herangehensweise des Projektes entwickelt sich in einer performativen Methodik, wo schon in der Produktion audiovisueller Arbeiten im Stadtraum auf die Öffentlichkeit eingewirkt und durch teilhabende Beobachtung Erkenntnisse gewonnen werden. Der Vortrag wird die Methodik des Projektes zur Diskussion stellen und künstlerische Notationsstrategien vorstellen, die im bisherigen Prozess entwickelt wurden.

 

Isabella Pasqualini: «Artfremde Zeit»

Ausgehend von der Hypothese, dass der Körper der Raum für zeitgenössische Kultur ist, werde ich versuchen die gestalterische Perspektive auf wissenschaftliche empirische Methoden zu fokussieren. Artfremde Zeit wird auf die Objektivierung der körperlichen Wahrnehmung im Labor eingehen. Einerseits werde ich dazu den Blick hinter die Kulissen der Experimente zur Raumwahrnehmung im Labor richten, um die Zeit als Ursprung der objektivierbaren Ästhetik zu erfassen. Andererseits möchte ich die wissenschaftliche Reproduzierbarkeit der subjektiven Perspektive diskutieren und versuchen Parallelen zur künstlerischen Forschung herzustellen.