Überlegungen zu Forest Law (2014)

Der folgende Text ist eine schriftliche Fassung des Vortrages von Ursula Biemann im Rahmen des MiED-Workshops Notation als Arbeits- und Erkenntnismittel in der künstlerischen Forschung.

Ich möchte gleich vorwegnehmen, dass meine Arbeit sich zu Beginn mehr im theoretischen Raum von gender studies und postcolonial studies bewegt haben. Ich habe mich ganz selten auf Filmtheorien bezogen. Meine Werke sind Videoessays, insofern sind sie subjektiv angelegt. Sie wollen also nicht etwas beweisen, sondern eher interessante Verbindungen aufzeigen, die neue Erkenntnisse generieren können. Notationen mache ich eigentlich nicht wirklich, aber meine Arbeiten sind sicherlich forschungsorientiert. Ich war immer sehr interessiert daran, theoretisches Denken in die Videoarbeit einzubringen, und dieses dann vor Ort zu testen und mit dokumentarischem Material zu verbinden. Viele neue Erkenntnisse werden in meinen Videos über Interviews generiert. Schon dazu braucht es eine gewisse Recherche, Forschung. Die Interviewpartner*innen werden meistens über NGOs vermittelt, damit sind diese wichtige Kooperationspartner für mich, denn sie generieren selber viel Wissen und sind meist bereits in Kontakt mit Leuten, die dann zu Protagonist*innen werden können in meinen Arbeiten. Ich betreibe also umfassende Recherchen zu Inhalten und Personen, bevor ich ins Feld gehe.

Ursula Biemann, Forest Law, 2014 (Filmstill)

Ausgangslage für meine Videos sind meistens philosophische Werke. Im Fall von Forest Law war es Michel Serres Le contrat naturel. Das war eine sehr wichtige Ausgangslage, auch weil Paulo Tavares, mit dem ich bei dieser Arbeit kooperiert habe, schon zu Naturrechten gearbeitet hatte, was uns für die Beschäftigung mit diesen Themen gedient hat.

Von Anfang an war es eigentlich so, dass ich meine Videoarbeiten als Kunst verstanden habe. Da sie aber feministische und postkoloniale Theorien als Grundlage hatten, waren die Kunsthistoriker*innen eher perplex. Sie hatten das Instrumentarium nicht, um mit meinen Arbeiten inhaltlich umzugehen und waren daher auch nicht wirklich in der Lage über diese Themen zu schreiben. Das hat dazu geführt, dass ich selbst viel über meine Arbeiten schreiben musste – notgedrungen – und dieses Schreiben wurde mit der Zeit Teil meiner Arbeit. Heute überlege ich mir während dem Videoschnitt oder bereits während der Vorrecherche, welche Inhalte in den Videos platz finden werden, und welche Inhalte dazu einfach zu komplex oder zu ausführlich wären. Diese verwende ich dann in meinen Texten. Das ist für mich eine wichtige Möglichkeit, nicht allzu frustriert zu werden, wenn ich Video schneide, weil man im Film sehr viel weniger sagen kann und sich enorm beschränken muss in Bezug auf die Anzahl Wörter, um eine Idee rüberzubringen. Formal habe ich dafür eine Art System mit verschiedenen Ebenen entwickelt, auf welchen die Videoarbeiten aufbauen: Auf der einen Seite Narrative, also Erzählungen, die über die Video-Interviews entstehen, auf der anderen Seite theoretische Inputs, in Form von Texten oder von eingesprochenen Kommentaren, die oft wenig direkt mit dem zu tun haben, was die Interviewpartner*innen sagen. Diese komplett übergeordnete Ebene der Reflektion zieht sich durch das ganze Video hindurch und funktioniert strukturierend. Dabei mache ich mir immer die Überlegung, wie ich eine Aussage am effizientesten machen kann: Braucht es vielleicht nur zwei Zeilen Text auf dem Bildschirm? Oder muss ich eher einen ausführlichen Absatz dazu einsprechen? Die Effizienz der Vermittlung ist also ein entscheidender Faktor für die Form meiner Videos. Aber die verschiedenen Ebenen müssen sich auch grafisch und sensorisch voneinander unterscheiden. Das hilft den Zuschauenden, die parallelen Erzählstränge zu verstehen. Gelernt habe ich diese Technik eigentlich gar nie richtig, sie ist einfach am Schnittplatz entstanden. Zuerst für die Arbeit Performing the Border (1999), weil ich nach Wegen suchte, die grenzüberschreitenden Aktivitäten der Arbeiter*innen zwischen den USA und Mexiko mit einer theoretischen Diskussion zu verbinden. Zu jener Zeit gab es nur mehr oder weniger beschreibende Dokumentarfilme über dieses Thema. Eine theoriegeleitete Herangehensweise schien mir bei dem Thema aber sehr ergiebig. Also habe ich nach Wegen gesucht, wie ich theoretische Überlegungen in dokumentarische Materialien einbringen kann.

Meine Werke sind im Grunde viel stärker auf die Videotechnologie bezogen als die eigentliche Filmarbeit. Ich entstamme ja einer Generation, die von Anfang an in die Videotechnologie einstieg, und damit vielleicht auch einstieg in eine eigentliche künstlerische Auseinandersetzung mit Bildtechnologien wie beispielsweise neuen geografischen Informationssystemen und deren direkten Impact auf die Mobilität oder die Mobilisierung von Frauen weltweit. Das ist etwas, das sich durch meine Filme hindurch zieht. Thesen, die ich aufgestellt habe, die vielleicht als akademische oder wissenschaftliche Thesen gelten können und die ich dann im Film zu argumentieren versuche. Solche Filme bauen natürlich viele unterschiedliche Materialien ein, die man vorrecherchieren und verwerten muss, um eine Art von Bedeutungsproduktion zu schaffen. Das ist die eigentliche Arbeit, die ich aber erst am Schnittplatz mache: Erst beim Schneiden des Videos schreibe ich gleichzeitig quasi das Drehbuch. Das ist ein ständiger Dialog.

Das Format meiner Arbeiten habe ich also einfach aus der Notwendigkeit heraus erfunden und aus meinem eigenen Interesse heraus, bevor ich überhaupt wusste, dass es so etwas wie Videoessays gibt und dass es Theorien gibt über den Videoessay. Die Entdeckung war dann ein sehr interessanter Moment für mich und ich habe daraufhin ein Buch zum Videoessay im digitalen Zeitalter herausgegeben (Stuff it: The Videoessay in the Digital Age. Wien/New York: Edition Voldemer/Springer 2003).

Um nun aber auf Forest Law zu sprechen zu kommen: Das ist eine Arbeit, die wir mit zwei Kameras in Ecuador gedreht haben. Paulo Tavares und ich wollten in diesem Video die «nature rights» thematisieren. In Ecuador war dieser hierzulande noch exotische Gedanke schon als wir 2013 ins Feld gingen recht weit entwickelt. Wir hatten drei Themen ausgewählt, drei verschiedene geografische Orte, die je einen anders gelagerten Rechtsfall hatten, mit denen wir die Nature Rights-Thematik aufarbeiten konnten. Die übergeordnete Erzählung von Forest Law kommt in Form von blauem Text zwischendurch und bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Gesetz, Klimawandel und dem Regenwald. Sie ist schon von Anfang an spekulativ aufgebaut, weil sie sich in der Zukunft verortet. Der Prolog schaut aus einer nicht definierten Zukunft zurück aufs Jahr 2014, als gewisse wichtige Weichen gestellt wurden in Bezug auf die Gesetzte des Regenwaldes, die den Klimawandel beeinflussen würden. Damit setzten wir für die Installation einen grundlegenden experimentellen Ton.

Ursula Biemann, Forest Law, 2014 (Filmstill)

Die eine Situation, auf die ich hinweisen möchte, ist jene der Performance, in welcher ein Wissenschaftler im Wald Boden- und Wasserproben untersucht. Normalerweise gehe ich ins Feld und mache Interviews, aber in Lago Agrio fand ich einen contamination case vor, der schon sehr alt ist. Ich wollte nicht nochmals einfach ein weiteres Dokument darüber herstellen, aber diesen Fall trotzdem irgendwie aktivieren. Da lernte ich diesen Aktivisten kennen, der selbst auch ein Wissenschaftler ist, und dort für ein Chemielabor in der Hauptstadt diese toxic soil samples und water samples macht. Wenn Journalist*innen kommen und diesen Fall dokumentieren wollen, dann macht er diese Performance, damit sie etwas Konkretes zu sehen und zu filmen haben. Ich fand seine multiple Rolle als Aktivist, Performer und Wissenschaftler wirklich interessant, und habe diese Idee dann später auch in anderen Situationen benutzt, d.h. diese Figur des indigenen Wissenschaftlers. Erst später habe ich begriffen, dass diese Figur auch heute noch eine zentrale Rolle im Umdenken der Wissenschaften einnimmt. Dass sie so zentral ist wie der Migrant oder der Arbeiter im 20. Jahrhundert, die beide Schlüsselfiguren waren im Film, an denen man so viele gesellschaftliche Veränderungen festmachen konnte. Ich habe mich daraufhin entschieden auch im nächsten Video, Acoustic Ocean eine Wissenschaftlerin als fiktive Figur zu kreieren, eine Marine-Biologin aus der Sami-Kultur, die sich mit der Unterwasserwelt in Kommunikation setzt. Dafür habe ich die Original-Stimmen von Fischen und anderen Meeressäugern mit eingebaut, die von richtigen (nicht indigenen) Wissenschaftler*innen in den 70er-Jahren gemacht worden sind.

Usrula Biemann, Acoustic Ocean, 2018 (Filmstill)

Meistens werden meine Arbeiten im Kunstraum als Installationen gezeigt. Bei Forest Law werden dazu auch Arbeiten von Paulo Tavares auf einem Tisch präsentiert. Es sind Background-Informationen wie beispielsweise Karten, die er gezeichnet hat, um gewisse Fälle zu erläutern, oder recherchiertes Bildmaterial usw. Die Installationen sind sehr räumliche Anordnungen, die komplett anders wirken, als eine Single-Screen-Vorführung. Etwa wenn ein Interview mit zwei Kameras gefilmt und dann im Film diese zwei Perspektiven immer wieder gegeneinander abgewechselt werden oder aber dieselben zwei Bildspuren als Installation auf acht Meter Breite und auf zwei Leinwänden gezeigt werden. In der installativen Arbeit stehen die Besucher*innen quasi selber im Wald, und hören diesen Wald auch. Das spricht ganz verschiedene sensorische Qualitäten an und die Rezeption ist umfassender als vor einer einzelnen Leinwand.

Fred Truniger: Darf ich mit einer Frage einhaken?

Biemann: Ja gerne.

Ursula Biemann, Forest Law, Zweikanal-Videoinstallation in BAK, Utrecht, 2015

Fred Truniger: Da du jetzt auf den Raum zu sprechen gekommen bist: im ersten Teil hast du die Anzahl Wörter erwähnt, die man im Film verwenden kann, um eine Idee zu vermitteln. Es schien so, dass du für die Informationsvermittlung stark auf das Wort abstellst. Dagegen würde ich aber sagen, dass eine der Stärken deiner Arbeiten die Räumlichkeit selber ist, die du jeweils gewählt hast, weil sie eine Abkehr von einer Single Screen-Erzählung notwendig machen und damit von einem klassischen Erzählbogen. Stattdessen hast du angefangen, Files zu kreieren, die den Besucher*innen deiner Ausstellung freistellen, was sie sich in welcher Reihenfolge anschauen möchten. Die Version von Forest Law, die du uns für unsere Tagung zur Verfügung gestellt hast, zeigt eine Art Nachbau der räumlichen Situation, indem zwei Bilder übereinander gelegt sind. Was mir bei dieser zweikanaligen Präsentation auffällt, ist die Synchronizität des allerersten Interviews mit einem Mann im roten T-Shirt, das auf beiden Bildern gezeigt wird. Das Bild verweist damit auch auf die mögliche Gleichzeitigkeit zweier unterschiedlicher Sichtweisen auf die Welt. Diese Multi-Perspektivität, die in der räumlichen Installation möglich wird, kann ich nun als eine Art Kommentar zur Diskussion über Objektivität lesen: Als Videoessays stehen deine Arbeiten ja deutlich in der Tradition der Subjektivität. In deinen Installationen wird diese im Vorbeigehen als Gleichzeitigkeit mehrerer gleichwertig nebeneinander stehender Perspektiven dargestellt und macht deutlich, dass hier nicht nur ein einziger Blick am Werk ist. Später gibst du die Synchronizität manchmal auf, wirfst also, um in meinem Bild zu bleiben, nicht nur gleichzeitige Blicke, sondern verschränkst auch zeitliche oder inhaltliche Ebenen miteinander. Das passiert beispielsweise, wenn auf der einen Leinwand die Botanisier-Trommel auf dem Tisch gezeigt wird und auf der anderen der lebendige, und damit seine Rechte einfordernde, Wald – zwei konkurrierende Sichtweisen.

Wann entscheidest du, zwei Bilder wirklich synchron zu zeigen, auch in räumlichen Installationen, wo der technische Aufwand ungleich grösser ist, um Synchronizität herzustellen?

Ursula Biemann: Also bei der Performance des Wissenschaftlers habe ich natürlich einfach versucht, dass es eine interessante Ästhetik gibt, weil da finde ich es nicht so wichtig, dass es jetzt zeitgleich wirkt. Hier sieht man ja den Schamanen, der links am Tisch steht. Er geht jeweils aus dem Bild raus und kommt dann wieder zum Tisch. Auf dem zweiten Screen sieht man ihn, wie er die Pflanzen auf den Tisch legt. Diese Einstellung ist von oben direkt auf die Tischoberfläche gefilmt. Diese Szene ist absolut synchron. Ich glaube das sind dann in erster Linie ästhetische Entscheidungen, wie das eigentlich zu funktionieren hat in der Installation. Aber in den meisten Fällen sind die Bilder synchron. In Forest Law funktioniert das natürlich auch wegen dem Perspektivismus der indigenen Kultur im Amazonas.


Ursula Biemanns künstlerische Praxis ist forschungsorientiert und verfolgt einen systemischen Ansatz zu globalen und planetarischen Bedingungen. Sie führt Feldforschungen an entlegenen Orten durch und verarbeitet die Erkenntnisse zu komplexen Videos und Rauminstallationen, indem sie die Mikropolitik vor Ort mit einer theoretischen Makroebene verbindet. Biemann praktiziert einen erweiterten Kunstbegriff, der kollektive und kuratorische Projekte umfasst. Ihre Videoarbeiten werden bei den internationalen Kunst-Biennalen in Istanbul, Liverpool, Sao Paulo, Shanghai, Gwangiu, Montreal und Taipei gezeigt und sind in Museen weltweit vertreten. In 2020 zeigt das Museum für Moderne Kunst in Nizza eine Soloausstellung der ökologischen Werke. Biemann publizierte mehrere Bücher und die 2021 lancierte online Monografie www.becomingearth.net. 2009 erhielt sie den Prix Meret Oppenheim, den Swiss Grand Award für Kunst. (https://www.geobodies.org/)