Unternehmen vermelden oft, dass sie Entscheide auf der Basis von Kundenbedürfnissen träfen. Damit scheint alles gesagt, man handelt ja im Sinne der Kundschaft. Aber dieses Vorgehen bedeutet weder das Ende von Unsicherheiten noch können damit schwierige Entscheide umgangen werden. Wer auf Bedürfnisanalysen setzt, sollte drei Grundsätze berücksichtigen.
Das Stichwort «bedürfnisorientiert» fällt heute schnell. Das Management möchte damit Nähe zur Kundschaft beweisen. Ich finde das grundsätzlich völlig richtig. Aber zunächst: „DAS“ Kundenbedürfnis dürfte es kaum geben. Jeder Entscheid fällt im Normalfall zugunsten einer Partei und damit gegen andere. Es ist klar, dass er nicht allen passen wird. Wir können schwierige Entscheide nur aufschieben, irgendwann müssen wir sie treffen.
L’art pour l‘art
Die Meinung der Kundinnen und Kunden ist ein relevanter Faktor. Warum sollte ich mich aber als Gefragter ohne Not für eine (hypothetische) Option entscheiden? Im Zweifelsfall ist mir alles wichtig, auf unverbindliche Fragen folgen selten eindeutige Antworten. Somit stimmen Meinung und spätere Handlung nicht immer überein. Es ist anspruchsvoll, Fragen so zu stellen, dass Wunsch und Bedürfnis unterschieden werden können.
Ich habe erlebt, dass die gewünschten Resultate von Analysen im Voraus in den MBO-Zielen des Managements festgelegt wurden. Konzept und Fragestellungen waren von der Konzernleitung vorgegeben. Natürlich tat das lokale Management alles, um die geforderten Werte zu erreichen. Die Aussagekraft einer solchen Analyse als Entscheidungsgrundlage darf getrost in Frage gestellt werden.
„Dann frag auch nicht!“
Im Rahmen des Executive MBA an der Hochschule Luzern habe ich mich mit der Frage befasst, wie ich durch Bedürfnisanalysen eine möglichst belastbare Entscheidungsgrundlage schaffen kann. Meiner Erfahrung nach braucht es dazu drei Voraussetzungen.
- Grundsatz 1: Offen sein für Ergebnisse. Es mag banal klingen, aber die Anliegen der Kundschaft sollten ernst genommen werden, erst recht wenn sie anders daherkommen als erwartet. Wer unliebsame Dinge nicht hören will, sollte auch nicht fragen. Es braucht nebst Gestaltungswillen auch Ergebnisoffenheit.
- Grundsatz 2: Transparent sein. Resultate, die in der Schublade gehortet werden und in passenden Momenten auszugsweise zitiert werden, sind verschenktes Potential. Die Ergebnisse sollten allen Ebenen stufengerecht zugänglich gemacht werden, damit eine gemeinsame Basis für Entscheide entstehen kann.
- Grundsatz 3: Ressourcen vorsehen. Eine Bedürfnisanalyse ist eine aufwändige Sache. Planung, Umsetzung und Auswertung sind anspruchsvoll, von der Realisierung allfälliger Schlussfolgerungen ganz zu schweigen. Die nötigen Ressourcen dafür müssen gewährleistet sein.
Mut zur Entscheidung
Diese drei Grundsätze betrachte ich als wesentliche Spielregeln. Aber sie nehmen mir die Entscheidung nicht ab, was zu tun ist. Bei der Ankündigung des ersten iPhones 2007 lief die gegenwärtige Entwicklung der bekannten Mobilgeräte in eine gänzlich andere Richtung. Bis dato mussten Handys klein sein, inklusive der Bildschirme. Die Visionskraft von Steve Jobs in allen Ehren, aber ein solch disruptives Produkt wäre wohl kaum lanciert worden, ohne dass Apple vorher Rückmeldungen aus dem Markt eingeholt hätte. Es brauchte nun den Mut, den gewonnenen Erkenntnissen zu vertrauen und darauf basierend zu entscheiden.
Keine Entschuldigungen
Bedürfnisanalysen sollen aber auch nicht zum Feigenblatt werden, um alles zu rechtfertigen. Als ein grosser Getränkeanbieter in der Schweiz 2019 ausführte, die Verkleinerung der 0.5 l-PET-Flasche um 10% entspräche einem Kundenbedürfnis, mag das per se sogar richtig gewesen sein – aber kaum bei gleich bleibendem Verkaufspreis. Ein Beispiel dafür, wie ein unpopulärer Entscheid mit einer aus dem Kontext gerissenen Argumentation gerechtfertigt werden sollte.
Letztendlich kann es keine Garantie geben, die richtige Entscheidung zu treffen. Es ist die Aufgabe des Managements, auf Basis von vorhandenen Informationen Entscheide zu treffen. Damit verbunden ist immer Unsicherheit, denn Informationen sind niemals vollständig – das kann auch keine Bedürfnisanalyse ändern.