Wandel und Widerstand in der Unternehmerfamilie: Symptome und Lösungen

Dr. Claudia Binz Astrachan & Prof. Dr. Joe Astrachan

“Wir sind uns alle einig, bis auf unseren sturen Cousin – er weigert sich, einzulenken!“. Solche Aussagen – und meist noch schlimmere – hören wir oft. Vielfach äussert sich Widerstand insbesondere während eines Veränderungsprozesses, wenn eine Familie auf dem Weg ist, sich bezüglich eines wichtigen Punktes zu einigen. Die Festlegung der Kriterien beispielsweise, die man zu erfüllen hat, wenn man im familieneigenen Unternehmen arbeiten möchte, oder die Erarbeitung eines Aktionärsbindungsvertrags stellen beliebte Gelegenheiten dar für Familienmitglieder, die sich verweigern (wollen).

Es mag naheliegend scheinen – insbesondere dann, wenn die Zeit knapp ist – den Prozess voranzutreiben, und das quietschende Rad entweder zu schmieren (und beispielsweise dem Verweigerer eine Position im Unternehmen anzubieten), oder aber, die Widerstand leistende Person zu ignorieren und letztlich zu übergehen. Und in gewissen Fällen ist das Übergehen der richtige Weg – doch nur in den wenigsten (auf diese gehen wir weiter unten ein). Denn nur die wenigsten Fälle sind so hoffnungslos oder unlösbar, dass es besser wäre, ein Familienmitglied zu übergehen, oder gar auszukaufen.

Denn wenn man annimmt, dass ein sich verweigerndes, Widerstand ausübendes Familienmitglied (oder gar ein ganzer Familienzweig) nicht einfach irrational ist, stellen sich die folgenden Fragen: (1) „Was löst ihr Verhalten aus?“, und (2), “Was können wir tun, um die Situation zu verbessern?“. Je früher sich eine Familie ernsthaft mit diesen Fragen auseinander setzt – wenn sich eine Situation entfaltet, in der Widerstand passiert – desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie positive (und relativ schmerzlose) Veränderungen vornehmen kann.

Widerstand als Symptom für ein tieferliegendes Problem

Wenn wir davon ausgehen, dass Widerstand aufgrund eines tieferliegenden Problems entsteht (siehe Frage (1), was löst das Verhalten aus), und Widerstand also ein Indikator ist für etwas, das vertieft betrachtet werden muss, dann bedeutet das auch, dass das zu Grunde liegende Problem adressiert werden muss, bevor Wandel stattfinden kann. Zudem ist es in Familienunternehmen oft so, dass Wandel im Unternehmen erst geschehen kann, wenn Wandel in der Familie stattgefunden hat. Denn wenn die Familie geeint hinter einem Veränderungsprozess steht – und geeint ist im Wunsch, dass Wandel stattfinden soll – verringert das auch den Widerstand innerhalb des Unternehmens. Wir unterscheiden i.d.R. vier Gründe für Widerstand in der Familie:

  1. Negative Familiendynamiken: Innerhalb der Familie(n) existieren historisch schlechte Familiendynamiken; sprich, bestimmte Verhaltensweisen der Einen haben zu Verbitterung bei den Anderen geführt, sodass die Anderen die Einen nicht unterstützen wollen. Ein simples Beispiel: Das eine Familienmitglied macht sich über Jahre über ein anderes Familienmitglied lustig – kritisiert werden kann alles, beispielsweise die schulische Leistungen (“Aus dir wird eh’ nie was Richtiges! Dein Bruder hat deutlich mehr auf dem Kasten als du.”), das Aussehen (“Noch ein Stück Kuchen? Du solltest mal etwas weniger essen. Schau’ mal, wie schlank deine Cousine ist!”) oder die Partnerwahl (“Hast wohl keine/n Bessere/n gefunden?”).
  2. Fehlerhafter Wandelprozess: Meinungen und Ängste der Familienunternehmen wurden nicht adäquat berücksichtigt, und daher kommt der Widerstand.
  3. Legitimer Widerstand: In seltenen Fällen gibt es legitime (nicht-emotionale) Gründe für Widerstand; sprich, etwas wurde übersehen.
  4. Psychische Probleme: Ein Familienmitglied ist mental instabil und agiert entsprechend irrational; das ist aber eine absolute Minderheit der Fälle.

Ein wichtiger Punkt: Ein weiterer Grund für Widerstand, der aber meist entweder mit negativen Familiendynamiken (1) oder mit einem mangelhaft gehandhabten Veränderungsprozess (2) zusammenhängt, ist das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit. Wenn man als Gruppenmitglied in der Lage ist, die Gruppe zu etwas zu bringen (und sei es auch nur, einen Prozess aufzuhalten durch die eigene Verweigerung) dann zeigt das, dass man ein Mitglied dieser Gruppe ist. Dieses Gefühl von Zugehörigkeit durch Machtausübung kann ein starker Motivator sein für Widerstand, und ist meist motiviert dadurch, dass sich ein Familienmitglied zu wenig integriert und gehört fühlt.

Widerstand auflösen

Wenn man sich also bewusst ist, was hinter dem Widerstand des Einzelnen (oder des ganzen Familienzweiges steckt) – Irrationalität, negative Familiendynamiken, ein fehlerhafter Prozess, oder legitime Verweigerung), kann man sich der zweiten Frage zuwenden: “Was können wir tun, um die Situation zu verbessern?“.

Negative Familiendynamiken müssen repariert werden
Die Aufhebung negativer Familiendynamiken, und die Vergebung von familiärem Groll bedeuten meist Jahre familientherapeutischer Interventionen. Der Prozess dreht sich um Konversation und Vergebung, und ganz wichtig, den Aufbau von Vertrauen. Das Ziel ist es, dass die Beteiligten realisieren, dass ihnen das Wohl des Anderen am Herzen liegt – auch wenn sie das anfangs nicht so sehen, und jahrelang nur Groll empfunden haben. Während dieses Prozesses müssen die zerrütteten Beziehungen repariert werden, und die negativen Dynamiken müssen durch positive ersetzt werden, damit das destruktive verweigernde Verhalten enden kann. Hier empfiehlt es sich, mit einer Fachperson (z.B. Familientherapeut) zu arbeiten.

Buy-in der Entscheidträger frühzeitig sichern
Im Falle eines fehlerhaften Prozesses geben die Prozessverantwortlichen zu, Fehler gemacht, und Familienmitglieder zu wenig ins Boot geholt zu haben. Wichtig ist hier – wenn offensichtliche Verfehlungen vorgekommen sind – objektiv und rational zu bleiben, und keine emotionalen Vorwürfe zu machen (“Du beklagst dich ja ohnehin immer über irgendwas!”). Anschliessend starten sie den Prozess neu – ausser, das Ganze ist zeitkritisch: Dann entschuldigen sie sich bei jenen, die Widerstand leisten, sichern sich deren Unterstützung und bemühen sich, dieselben Fehler in Zukunft nicht noch einmal zu machen.

Nun kann es natürlich auch sein, dass jemand Widerstand leistet, weil er oder sie sich seit Jahren (und nicht nur im Rahmen eines bestimmten Projekts) ignoriert und nicht ernst genommen fühlt (siehe auch Ausführungen zur Gruppenzugehörigkeit). Die betreffende Person glaubt in der Regel, dass es echte – rationale – Gründe für ihren Widerstand gibt, und sie wird daran festhalten, bis sie sich ernst genommen fühlt und glaubt, gehört zu werden. Wird der Widerstand ignoriert, wird er über Zeit zu einem immer grösseren Problem. Die Lösung ist hier, die (ob tatsächliche oder gefühlte) chronische Ausgrenzung dieser Person zu anerkennen, und die Geschichte der wahrgenommenen Ungerechtigkeiten zu dekonstruieren, zu erklären, zu verstehen, sich zu entschuldigen und  Pläne zur Verhinderung künftiger Ungerechtigkeiten zu machen.

Legitimen Widerstand belohnen

Im Falle von legitimem Widerstand werden die Anregungen berücksichtigt und umgesetzt. Wichtig ist hier einerseits, dass der Verweigerer belohnt wird – und nicht gerügt (“Wir sind froh, dass du diesen Fehler entdeckt hast, es ist wichtig, dass wir das ändern.”); andererseits, dass man als Familie (und innerhalb des Unternehmens) die Haltung einnimmt und auch kommuniziert, dass Fehler passieren können und sollen – insbesondere dann, wenn man ein Wagnis eingeht (positive Fehlerkultur schaffen).

Psychische Probleme behandeln
Zuletzt brauchen Personen, die psychische Probleme haben, individuelle Hilfe in Form von Therapie – falls die Person (und die Krankheit) therapierbar sind. Meist greift die Familie hier auf eine externe Fachperson (sprich, einen Psychologen oder Psychiater) zurück (ausser, es hat eine entsprechend ausgebildete Fachperson im Familienverbund, aber auch dann ist dies aufgrund der emotionalen Nähe nicht empfehlenswert). In dieser Situation soll die Familie unterstützend sein, und nicht wütend. Die Aussage sollte sein: „Wir machen uns Sorgen, dass Du nicht glücklich bist. Wir möchten dir helfen (oder Hilfe besorgen), damit Du glücklicher wirst, und ein erfülltes Leben hast“. Falls die Person (oder die Krankheit) nicht therapierbar sind (nach Bestätigung einer Fachperson), muss man der Person zuhören – und das Gesagte dann ignorieren.

Schuldzuweisungen als Teufelskreis

Widerstand ist in jenen Familien besonders schlimm, die nach Schuldigen suchen, und die eine Tradition hat, die jeweils Schuldigen aus dem Familien- oder Eigentümerverbund auszuschliessen (hier sehen wir regelrechte Muster mit ein bis zwei Personen pro Generation). Solche Familien finden oft die Ursache aller Probleme in der Person eines oder mehrerer Familienmitglieder. Indem die Familie jene Personen ausschliesst, glaubt sie, das Problem gelöst zu haben; meist geschieht dies mit ein bis zwei Personen pro Generation.  Diese Familien eskalieren häufig das Problem, indem sie das Gefühl einer vorherrschenden familiären Fragilität aufrecht erhalten. Familienangehörige werden im Glauben gelassen, dass sie im Fallen eines Fehlverhaltens jederzeit ausgeschlossen werden könnten. Früher oder später wird ein Familienmitglied, das von der Familienlinie abweicht, mit grossem Druck dazu gebracht, sich unterzuordnen, was zu Groll führt – und der Groll wiederum zu unkooperativem Verhalten und den entsprechenden Schuldzuweisungen, und letztlich zum Rauswurf aus dem Familienverbund. In diesen Fällen muss das Grundmuster des Familienverhaltens modifiziert werden – und solche Änderungen erfordern schwierige und anstrengende Arbeit. Wenn sie jedoch nicht angesprochen werden, ändern sich diese Muster nur selten – meist nur dann, wenn der Familie ein schreckliches Ereignis widerfährt, beispielsweise der Tod eines Kindes. Solche Ereignisse können Muster je nach den Besonderheiten der Familie und des Ereignisses verschlimmern, aber auch positiv verändern.

Widerstand soll nicht umgangen werden

Um den Familienfrieden zu wahren haben viele Familien ein fast meisterliches Instrumentarium an ‚Besänftigungstaktiken’ für Verweigerer – hiervon raten wir ab. Es mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, Verweigerer mit Anreizen wie Bildungschancen, Unternehmensbeteiligungen, Einbezug in Familienveranstaltungen oder ähnlichem zu motivieren – oder aber, den Verweigerer unter Machtausübung zum Einlenken zu bewegen. Diese Methoden führen auf lange Sicht unweigerlich zu Ressentiments, und zu noch stärkerem Widerstand. Besser ist es, mit Hilfe der beiden Kernfragen (Worum geht es – was können wir tun) genauer hinzuschauen und gemeinsam im Familienverbund die Ursachen zu diskutieren, und mögliche Lösungen zu erarbeiten.

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