Désirée

Abschied und Ankunft in „Der Rosenkavalier“ (1911) von Richard Strauss

„Der Rosenkavalier“ entstand gegen Ende des Fin de Siècle, also einer Zeit des Übergangs. Die Industrialisierung hat die Gesellschaftsstrukturen des Ancien Régime stark verändert, wodurch sich viele Herrschenden bedroht fühlten. Die Menschen wussten, dass eine Veränderung bevorsteht.
Nun gibt es mehrere Arten mit Veränderungen umzugehen: Entweder gibt man sich der Aufbruchsstimmung hin und verfällt euphorisch der kommenden Neuerung oder man begegnet der Veränderung mit Zukunftsangst und Nostalgie.
Die Kunst beschäftigte sich in dieser Zeit stark mit diesem Hin und Her zwischen Endzeitmelancholie und Aufbruchseuphorie.
„Der Rosenkavalier“ kann daher durchaus als dem damaligen Zeitgefühl entsprechend bezeichnet werden. Während Schönberg schon in atonale Gebiete aufbricht, bleibt Strauss mit seinem „Rosenkavalier“ hingegen in der klassischen Romantik und lässt sie ein letztes Mal richtig aufleben. Die Geschichte dieser Oper ist, so muss man sagen, eine Geschichte des Adels, wobei sie nicht als verherrlichend sondern monarchiekritisch angesehen werden muss.
Was Richard Strauss hier tut, lässt sich am besten als letzter, inniger Abschied von den alten Strukturen, Sitten und Denkweisen, von der „alten Zeit“ im Allgemeinen, bezeichnen.

Die Hauptfiguren im Rosenkavalier zeigen alle auf ihre Weise, wie die Stimmung und Umstände im Fin de Siècle gewesen sein müssen.
Da wäre zum einen Sophie und ihr Vater, Neureiche und erst kürzlich geadelt. Sie sind sozusagen Produkt der Industrialisierung.
Die Feldmarschallin, der Baron und Octavian repräsentieren hingegen den klassischen Adel.
Mit der Figur des ungehobelten Barons wird die Moral des Adels stark kritisiert. Er lebt ein dekadentes und frivoles Leben, so hat er beispielsweise ein uneheliches Kind, welches er als Lakai hält und kennt keine Umgangsformen.
Die Feldmarschallin verkörpert die typische Fin de Siècle-Dame, die in Nostalgie versinkt: Sie hat Angst vor der Vergänglichkeit und verspürt einen Lebensüberdruss.
So ist ihr Monolog über die Zeit viel mehr als nur eine Rede einer alternden Frau, sondern ein Text, der für das Fin de Siècle steht:
„Manchmal steh‘ ich auf mitten in der Nacht und lass die Uhren alle, alle stehen.“ (Marschallin, Der Rosenkavalier, 1. Akt)

Auch ist es die Marschallin, die am Ende Abschied nehmen muss von Octavian und ihn ziehen lässt. Dies tut sie zwar nicht sehr gerne, jedoch hat sie schon im ersten Akt angekündigt, dass der Tag kommen wird, an dem sie ihn einer anderen überlassen muss.
Hier sieht man wieder starke Parallelen zu den Vorahnungen der Bevölkerung in der Zeit des Fin de Siècle.
Dass Sophie und Octavian am Ende zu einander finden, kann einerseits als weiteres Verharren in alten Formen angesehen werden, da die Gesellschaftsstruktur nicht aufgebrochen wird.
Andererseits bricht mit ihrer Verbindung in gewisser Art ein neues Zeitalter an. Man könnte es als Generationenwechsel bezeichnen, bei dem sich die alte Generation zurück zieht (Marschallin und Sophies Vater) und der neuen Generation den Platz frei gibt.

Abschied und Ankunft in Mozarts „Don Giovanni“ (1787)

Allgemein ist zu sagen, dass „Don Giovanni“ sehr viele Auftritte und Abtritte hat. Immer wieder wird jemand überrascht, belauscht oder überfallen. Besonders sind auch die vielen im Libretto erwähnten Spielorte. Fast jede Szene spielt an einem anderen Platz von Don Giovannis Gutshof. Es wäre interessant zu wissen, wie dies zu Mozarts Zeiten gelöst wurde und ob es mehrmals längere Umbaupausen gab.
Dank den heutigen Drehbühnen an grossen Häusern ist das alles kein Problem mehr. Jedoch muss man sich für einen kleinen Spielort doch sehr gut überlegen, wie das Bühnenbild gestaltet werden soll. Hier ist auch immer die Frage, wie sehr man sich ans Libretto halten will.

In „Don Giovanni“ haben wir eine spezielle Form des Abschieds. Es ist doch eher selten, dass der Tod einer Figur ein Happy End für die anderen Figuren darstellt. Man könnte diesen Abschied als freudig erwartet bezeichnen. Don Giovanni liegt wie ein Fluch über Donna Anna, Don Ottavio, Donna Elvira, Leporello, Masetto und Zerlina. Im Moment, in dem er im Höllenfeuer verschwindet, scheint das Gleichgewicht von Gut und Böse wieder hergestellt.
Auch wenn der ermordete Komtur sowohl Anfang wie auch Ende des Werkes bestimmt und sozusagen als „personifiziertes Karma“ für Gerechtigkeit sorgt, ist die Ankunft von Donna Elvira für den gesamten Verlauf der Geschichte massgebend.
Donna Anna beauftragt zwar Don Ottavio den Tod ihres Vaters zu rächen, jedoch wissen beide nicht, wer den Komtur getötet hat. Wenn Donna Elvira nicht auftauchen würde, was sie nicht täte, wenn sie selbst mit der Vergangenheit abgeschlossen hätte, könnte sie Donna Anna und Don Ottavio nie davon überzeugen, dass ihr Vertrauter Don Giovanni ein Schurke ist.
Auch ist sie es, die auftaucht, als Zerlina sich fast auf Don Giovanni einlässt und somit ihre Beziehung zu Masetto riskiert. Dank ihrem Eingreifen lässt sich Zerlina nicht von Don Giovanni blenden.
Immer wenn Donna Elvira auftaucht, treibt sie den Verlauf der Geschichte an. So auch am Ende, als sie versucht Don Giovanni auf den rechten Weg zu bringen. In diesem Moment wird klar, dass Don Giovanni nicht mehr zu helfen ist.
Selbst Leporello, Don Giovannis Bedienstetem, sind die Taten seines Herren zu kriminell geworden, jedoch hat er nicht die Möglichkeit, so einfach aus seinem Dienst auszutreten.
Der fulminante Abgang von Don Giovanni ist somit ein Befreiungsschlag für alle. Donna Anna und Don Ottavio sehen den Mord am Komtur als gerächt und Zerlina und Masetto müssen nicht mehr darum bangen, dass Don Giovanni sich noch einmal an Zerlina vergreift.
Es wäre wohl nicht übertrieben, Don Giovanni als den am wenigsten beweinten Titelhelden der Oper zu betiteln, da er in keinem Moment Reue zeigt und völlig bewusst anderen Menschen weh tut, ja, fast schon Freude dabei empfindet. Ein maligner Narzisst und Frauenheld in ein und derselben Person wird vom Karma eingeholt und alle freuen sich, sogar das Publikum.
Abschied und Ankunft in Monteverdi‘s „Il ritorno d‘Ulisse in patria“ (1640)

Monteverdi‘s Oper „Il ritorno d‘Ulisse in patria“ handelt, wie der Name schon sagt, von der Rückkehr des Odysseus. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Abschied kein zentrales Thema in der Handlung einnimmt. Penelope wartet schon 20 Jahre auf ihren Gatten Odysseus und ist ihm immer treu geblieben. Obwohl sie an die gute Gestalt der Liebe nicht mehr glaubt, kann sie nicht Abschied nehmen und ist nicht gewillt, einen anderen zu heiraten. Bis sie Odysseus am Ende endlich erkennt, scheint es so, als wäre sie seit 20 Jahren gefangen in der Phase des Abschieds. In dieser Phase scheint die Hoffnungslosigkeit zwar Überhand zu gewinnen, trotzdem ist die betroffene Person nicht so weit, weiter zu gehen, da der Neuanfang beängstigender ist als das „Gefangen sein in Erinnerungen“.
Natürlich ist Penelopes Treue berührend und zeigt wie sehr sie ihren Odysseus liebt, dennoch – wäre ihre Liebe weniger aufrichtig gewesen, wenn sie sich nach 10 Jahren frisch verliebt hätte?
Wahrscheinlich nicht. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, kann man sagen, dass Penelope wohl daran zerbrochen ist, dass Odysseus so lange verschollen blieb und ihr Herz zum Eigenschutz verschlossen hat.
Diese Auslegung passt auch zum Prolog in dem die menschliche Zerbrechlichkeit erklärt, dass sie vom Schicksal, der Zeit und der Liebe beherrscht wird.
Am Ende des Prologs singen Schicksal, Zeit und Liebe:
„Durch mich wird dieser Mensch zerbrechlich sein.
Durch mich wird dieser Mensch armselig sein.
Durch mich wird dieser Mensch trübselig sein.
Erbarmungslos flieht die Zeit dahin!
Erbarmungslos trübt das Glück!
Erbarmungslos schleudert Amor seine Pfeile!
Zerbrechlich, armselig, trübselig sei dieser Mensch!“

So ist Penelope hoffnungslos verliebt, weil das Schicksal Odysseus und seine Familie hart getroffen und die vergangene Zeit alle noch mehr zermürbt hat.
Die einzigen, die dieses hoffnungslose Unterfangen zum Guten wenden können sind die Götter. Nur durch sie kann Odysseus heimkehren. Dies tut er auf Rat von Athene als verkleideter Greis, weil er so die Treue seiner Penelope und die Falschheit seiner Untertanen sehen kann.
Die Ankunft/ Rückkehr des Odysseus zieht sich also durch das ganze Werk, da Odysseus erst am Ende des Werkes als „richtiger Odysseus“ wieder auftritt.
Aber nicht nur Odysseus kehrt zurück, auch sein Sohn Telemach kommt heim. Vor seiner Rückkehr trifft er jedoch auf Eumäos, der den als Greis verkleideten Odysseus aufgenommen hat ohne zu wissen, dass er Odysseus ist, und auf Odysseus. Odysseus gibt sich seinem Sohn zu erkennen und es folgt eine rührende Wiedersehensszene.

Am Schluss will Penelope nicht glauben, dass ihr Gatte zurückgekehrt ist, obwohl Telemach und Eumäos, der in der Zwischenzeit herausgefunden hat, dass sich Odysseus als Greis verkleidet hat, ihr schwören, dass er es ist.
Sogar in seiner wahren Gestalt glaubt sie, dass er ein Zauberer ist, der ein falsches Spiel spielt. Zu sehr hat sie das Warten desillusioniert.
Erst als er ihr etwas erzählt, das nur sie und er wissen können, erkennt sie ihn wieder. „Verzeih mir meine Strenge. Die Liebe allein war die Ursache meiner Zweifel“, sagt sie und beide verfallen der Freude des Wiedersehens.
Beachtet man den Prolog, kann man sagen, dass Odysseus und Penelope den Göttern bewiesen haben, dass Menschen doch nicht so zerbrechlich sind. Zwar nagt die Zeit und manchmal auch Liebe und Schicksal an uns, doch auch nach zwanzig Jahren kann man das Glück wiederfinden, ohne dabei zu zerbrechen.

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