Wie in meinen gestrigen Bericht über die Tagung „Häuser der Gegenwart und ihr partizipatorischer Ansatz“ im Stapferhaus und im Schloss Lenzburg beschränke ich mich auch bei der Berichterstattung über den zweiten Tag auf ein für mich zentrales Ereignis. In diesem Fall war das der Vortrag des Soziologen und Publizistikwissenschaftlers Kurt Imhof.
Vorab jedoch noch ein Überblick über den übrigen Teil des Tages, an dem sich verschiedene Institutionen vorstellten. Die beiden neuen Stadtmuseen MShed Bristol City Museum und das Museum of Liverpool setzen beide den Schwerpunkt eher auf Geschichten als auf Objekte. Partizipation mit der lokalen Bevölkerung ist bei beiden Häusern eine der Hauptquellen dieser Erzählungen. Das Stadtmuseum Stuttgart ist noch im Entstehen (Eröffnung 2016). Ein Hauptfokus der Institution im Wilhempalais wird auf der Migrationsgeschichte liegen, da Stuttgart mit 40% in Deutschland den höchsten Anteil an Einwohnern mit Migrationsgeschichte hat. Auch das Stadtlabor Frankfurt hat bis 2015 noch kein festes Haus, hat aber aus der Not eine Tugend gemacht. Stadtlabor Unterwegs nennt sich die Institution, die Teil des historischen Museums Frankfurt ist, in der Übergangszeit. Jährlich wird ein paritzipatives Ausstellungskonzept unter dem Namen Frankfurt Jetzt! in einem provisorischen Ausstellungsraum konzipiert. Vor kurzem wurde eine Ausstellung abgeschlossen, welche gemeinsam mit den Bewohnern des Ostend entwickelt wurde, einem Stadtteil Frankfurts, welcher durch den Zuzug der europäischen Zentralbank derzeit grosse Veränderungen durchlebt. Das Museum der Weltkulturen in Göteborg ist dagegen, mit seiner fast siebenjährigen Geschichte, geradezu renommiert. Die Institution sieht sich nicht nur als ein Museum, sondern auch als ein Treffpunkt und Kulturzentrum, in dem möglichst verschiedene Kulturen und Perspektiven einen Platz finden. Allerdings, so meinte Cajsa Lagerkvist, Leiterin der Abteilung Ausstellungen und Forschung, gebe es durchaus auch Kritik von Besuchern, die eher nach traditionellen Formen der Museumsdarstellung suchen.
Kurt Imhofs Vortrag hatte vordergründig nicht sehr viel mit Partizipation zu tun, sondern mit dem Selbstverständnis der Institution Museum an sich. Da das Museum jedoch nicht ohne Publikum denkbar ist, haben solche Überlegungen immer auch einen starken Bezug auf die Wechselwirkung zwischen der Institution und dem Besucher. Imhof stellte vier Thesen vor, die den Wandel der Museumslandschaft in den letzten 60 Jahren beschreiben.
These 1: In den sechziger/siebziger Jahren gab es einen Bruch indem man von eher dynastischen Themen (z.B. Karl der Grosse) zu sozialgeschichtlichen Thematiken überging. Damit einher ging eine Demokratisierung des Museums aber auch eine Pluralisierung der an der Ausstellung Beteiligten. Architekten, Bühnenbildner und Künstler wurden hinzugezogen, um eine „neue inszenatorische Sinnlichkeit“ zu erreichen.
These 2: In den 80iger Jahren gab es durch die Deindustrialisierung der Städte einen Museumsboom. Es gab viele Industriebrachen und die Museen, die plötzlich als Standortvorteil gesehen wurden, füllten diesen Leerraum aus. Kultur wird gemanaged und es entwickelt sich eine ausgeprägte Kulturindustrie (siehe Adorno).
These 3: Dies geht einher mit dem Tod des Feuilletons und einem „Wegbrechen des kritisch refektiven Umfelds“.
These 4: Das wiederum führt dazu, dass das Museum Teil einer drittmittelfinanzierten Massenkultur wird, seine aufklärerische Aufgabe verliert und damit, so Imhof, auch letztendlich seine Daseinsberechtigung.
Imhof zitiert dabei die Kompensationstheorie von Hermann Lübbe, die besagt, dass das Museum in der Moderne die Rolle eine Sedativs spiele. „Im gleichen Mass, wie der Fortschritt uns bedrängt, benötigen wir die Vergangenheit als sedativ“ und „der Stress des Fortschritts“ muss kompensiert werden. Imhof mahnt, dass die Museen, wenn sie diesen Weg weitergehen, den selben Weg gehen wie die Kinos: „Irgendwann sterben sie aus. Das Museum wird zum Ausgehtip und verliert darüber die Aura“. Er fordert, dass Museen wieder anfangen, Kritik zu provozieren und „Thesen und Fragestellungen mit Biss“ entwickeln.
In der anschliessenden Diskussion wurde klar, dass viele Museen, die Ansicht Imhofs teilen. Es wurde aber auch Kritik laut, die sich vor allem an Imhofs bildungsbürgerlichem Anspruch rieb. Und da wären wir wieder bei der Partizipation. Während Nora Sternfeld in ihrem gestrigen Vortrag eine radikale Demokratisierung als integralen Bestandteil des Partizipationsprinzips im Museum sah, forderte Imhof die Museen dazu auf, ihren Aufklärungs- und Bildungsauftrag aktiv wahr zu nehmen.
Was mich persönlich irritierte war der Kino-Vergleich Imhofs. Das Kino ist ja lediglich ein Ort für das Medium Film. Auch wenn das Kino an Bedeutung verliert, so ist das Medium Film ja noch immer quicklebendig. Was sich geändert hat, ist die Haltung des Publikums, welches sich nicht mehr vorschreiben lassen möchte, wann und an welchem Ort es einen bestimmten Film anschaut. Übertragen auf das Museum heisst das, dass die Inhalte nach wie vor Relevanz haben, aber dass das Museum sich dem veränderten Besucherverhalten anpassen muss. Partizipative Ansätze sind diesbezüglich ein interesanter Ausganspunkt.
Ans Stapferhaus und das Stadlabor Frankfurt: Herzlichen Dank für eine inhaltlich und atmosphärisch ausgezeichnete Veranstaltung!
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16 Antworten zu „Häuser der Gegenwart und ihr partizipatorischer Ansatz, Teil II“