Be My Eyes – Eine App für Menschen mit Sehbeeinträchtigung

von Angela Acklin, Absolventin Minor Digitalisierung und Soziale Arbeit, Mai 2023

Wie lange ist die Milch haltbar? Welches Hemd ist weiss? Wo sind meine Schlüssel? Egal, wie kompetent sehbeeinträchtige Menschen durch das Leben gehen, gibt es dennoch im Alltag Hindernisse. Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich mit der App Be My Eyes und damit, was sie ist, welche Chancen sie generiert und welche Handlungsempfehlungen es für Fachpersonen der Sozialen Arbeit gibt.

Erst kürzlich veröffentlichte SRF News ein Video über die App Be My Eyes. Die App kenne ich seit meiner Arbeit mit sehbeeinträchtigten Jugendlichen. Mir liegt die Thematik Sehbeeinträchtigung am Herzen und möchte aus diesem Grund Sensibilisierungsarbeit leisten.

Situationsanalyse

Per Knopfdruck oder Sprachbefehl erreichen sehbeeinträchtigte Menschen in der App sehende Freiwillige, die ihnen mithilfe eines Live-Videoanrufes bei alltäglichen Aufgaben helfen können (be my eyes, ohne Datum). Im folgenden Video wird gezeigt, wie die App funktioniert und wie ein Anruf von einer betroffenen Person in etwa aussieht.

Mittlerweile ist Be My Eyes die grösste Online-Community für sehbeeinträchtigte Menschen und bis heute haben sich bereits zahlreiche Nutzer*innen registriert (siehe Abbildung). Die meisten Nutzer*innen sind dabei aus Amerika und England.

Abbildung 1: Discover our community (Quelle: be my eyes, 2023)

 

Laut Hans Jørgen Wiberg, dem Gründer von Be My Eyes, sind in der Schweiz 19’942 Freiwillige und 961 sehbeeinträchtigte Menschen angemeldet (E-Mail, 12. März 2023). In der Schweiz leben ungefähr 377’000 sehbeeinträchtigte Menschen (Stand 2020). Dies entspricht über 4% der Schweizer Bevölkerung (Schweizerischer Blinden- und Sehbehindertenverband, ohne Datum).

Chancen der App

Ich habe einige Erfahrungsberichte von Nutzer*innen der App gelesen. Die wichtigsten positiven Aspekte der App werden hiermit zusammengefasst, welche ich aus den Berichten entnommen habe (be my eyes, ohne Datum).

Abbildung 2: Tekesha, Blind (Quelle: be my eyes, 2022)

 

Für die sehbeeinträchtigen Nutzer*innen überragt der Aspekt, dass sie durch die App Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenleben erfahren dürfen. Sie können ihre Hemmschwelle beiseitelegen, da sie nicht immer erklären müssen, dass sie sehbeeinträchtigt sind. Gleichzeitig werden sie in ihrer Unabhängigkeit gestärkt, welche positive Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen hat.

Die App ist die perfekte Möglichkeit für einen Freiwilligendienst. Als sehende Person kann den betroffenen Personen geholfen werden und dies komplett anonym. Anrufe können entgegengenommen werden, wenn es zeitlich oder situativ passt. Ansonsten wird eine andere freiwillige Person kontaktiert. Die Helfenden lernen zudem wichtige Kompetenzen, wie zum Beispiel Geduld.

Abbildung 3: Jose, Freiwilliger (Quelle: be my eyes, 2022)

Handlungsempfehlung

Im Berufskodex der Sozialen Arbeit steht, dass alle Menschen ein Anrecht auf Integration in ein soziales Umfeld haben. Fachpersonen der Sozialen Arbeit, welche mit sehbeeinträchtigen Menschen arbeiten, stehen in der Begleitung, Betreuung aber auch Förderung (Avenir Social, 2010, S. 7). Daraus resultiert, dass wir Fachpersonen einen wichtigen Beitrag für die Integration und im besten Fall Inklusion von Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung leisten können. Am Beispiel der App braucht es Digitalkompetenz. Diese Kompetenzen können Menschen beispielsweise in der Sozialisation zugutekommen. Digitale Technologien unterstützen unter anderem die Kommunikation für Menschen, die sonst nicht in der Lage wären, sozial zu interagieren (Skov, 2016).

Die App feiert ausserordentlichen Erfolg und ist daher auch Grund, dass viele Freiwillige inzwischen auf Anrufe warten (Haas, 2021). Diesbezüglich sehe ich eine erste Handlungsempfehlung, dass Fachpersonen der Sozialen Arbeit Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung die App weiterempfehlen. In der Schweiz braucht es mehr registrierte Betroffene, denn an Freiwilligen mangelt es nicht. Mit der Kenntnis der App kann sie sich auch in der Schweiz weiterverbreiten und erreicht eine grössere Anzahl an sehbeeinträchtigten Nutzer*innen.

Aus einer Studie wurde ersichtlich, dass besonders ältere Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung eine gewisse Scheu und Abneigung gegen Smartphones pflegen (Ulrich, 2017). Um die Vorteile zu entdecken, müsste der Umgang mit den Smartphones erlernt werden. Demnach sehe ich eine zweite Handlungsempfehlung bei einem umfassenden Angebot zur Erlernung der Smartphone-Bedienung und der Förderung der Digitalkompetenz. Dies könnte am Beispiel eines LPF-Trainings (Lebenspraktische Fähigkeiten) oder O&M-Trainings (Orientierung und Mobilität) stattfinden. In diesen beiden Massnahmen kann das Smartphone integriert werden, da es zur Autonomie und Mobilität beiträgt (ebd.).

Das Smartphone ist das wichtigste technische Hilfsmittel für sehbeeinträchtigte Menschen (Ulrich, 2017). Als dritte Handlungsempfehlung sehe ich demnach, dass sich Fachpersonen der Sozialen Arbeit immer wieder mit den neusten Apps und Entwicklungen auseinandersetzen und diese somit den Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung weiterempfehlen können. Hierzu möchte ich euch das Padlet von der technischen Universität Dortmund empfehlen.

 

Quellen

AvenirSocial. (2010). Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz. Ein Argumentarium für die Praxis. https://www.hilfswerkuri.ch/fileadmin/user_upload/documents/ueber-uns/Berufskodex_Soziale-Arbeit-Schweiz.pdf

be my eyes. (ohne Datum). The story about Be My Eyes. https://www.bemyeyes.com/about

be my eyes. (ohne Datum). Stories. https://www.bemyeyes.com/community-stories

Haas, M. (2021, 12. November). «Sei mein Auge». Süddeutsche Zeitung Magazin. https://sz-magazin.sueddeutsche.de/die-loesung-fuer-alles/app-be-my-eyes-sehbehinderung-blindheit-90878

Schweizerischer Blinden- und Sehbehindertenverband. (ohne Datum). FAQ: Häufige Fragen und Antworten. https://www.sbv-fsa.ch/engagement/faq

Skov, A. (2016). Was ist Digitalkompetenz? https://digitale-kompetenzrad.de/digitale-kompetenzrad/de/front/what-is-digital-competence/

Ulrich, S. M. (2017, 17. März). «Verfügbarkeit und Nutzen von neuen digitalen Medien für Sehbehinderte». Soziologieblog Hypotheses. https://soziologieblog.hypotheses.org/10405

Abbildung 1: be my eyes. (2023). Discover our community. https://www.bemyeyes.com

Abbildung 2: be my eyes. (2022). Stories. https://www.bemyeyes.com/community-stories/like-having-a-helper-in-your-pocket

Abbildung 3: be my eyes. (2022). Stories. https://www.bemyeyes.com/community-stories/a-spanish-and-english-teacher-in-japan

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