Rund 80 lange und intensive Interviews mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen, über 50 beteiligte Studierende in 11 Forschungsteams, viele hundert Seiten Interviewtranskripte und Analysen – es war ein grosses und interessantes Projekt, die Homeoffice-Erfahrungen der Menschen im Ausnahmejahr 2020 zu dokumentieren und zu analysieren.
Dabei ist es spannend zu sehen, wie sich Beschäftigte, Führungskräfte und Organisationen mit Kreativität und Improvisationstalent in dieser Situation eingerichtet haben. Sie haben viele positive Erfahrungen gemacht – dass man zuhause teils konzentrierter arbeiten kann als im Grossraumbüro, dass Mitarbeitende nicht schlagartig faul werden, wenn man sie mal aus den Augen lässt, dass es erholsam sein kann, in der Pause mit dem eigenen Kind zu spielen oder Joggen zu gehen. Aber wir sehen in unseren Interviews auch die grossen Herausforderungen der Krisenzeit: Arbeiten bis tief in die Nacht, damit tags Zeit für das Homeschooling bleibt, einsame Vorgesetzte, die ihr Team mehr vermissen als dieses sie, enge Wohnungen, in denen es kaum noch Platz für ein Privatleben gibt.
Was bleibt nach diesem grossen Experiment?
Häufig wird gesagt, dass die Erfahrungen während des Lockdowns der Digitalisierung der Arbeitswelt einen grossen Schub geben werden. Das ist zwar richtig, aber – so muss man auf Basis unserer Interviews sagen – nur die halbe Wahrheit. Fast alle der Befragten wünschen sich zwar, dass Homeoffice auch in Zukunft ein fester Bestandteil ihrer Arbeit sein soll, zumindest für einzelne Tage. Aber gleichzeitig berichten auch fast alle, dass ihnen die Grenzen der digitalen Kooperation und Kommunikation bewusst geworden sind: Manche Aufgaben lassen sich so viel einfacher und besser erledigen, wenn man körperlich-physisch in einem gemeinsamen Raum agiert. Bestimmte Themen sind so sensibel und erfordern so viel emotionale Einfühlung und Vertrauen, dass man sich persönlich treffen und in die Augen schauen muss. Zoom reicht da nicht. Ein Team, das nicht auch mal informell an der Kaffeemaschine zusammensteht und redet, droht irgendwann zu zerfallen. WhatsApp ist hier kein Ersatz.
Insgesamt kann man sagen, dass die Erfahrungen während des Lockdowns aus den vielen bunten Zukunftsvisionen der digitalen „New Work“ eine grosse Portion heisse Luft abgelassen haben. Das ist gut so. Diese Lerneffekte sind mindestens ebenso wertvoll und zukunftsweisend wie jene, die uns gezeigt haben, was digital alles möglich ist. Sie können uns hoffentlich vor einigen Irrwegen bewahren, von denen es in der Geschichte der Digitalisierung schon mehr als genug gibt.
Digitaler Realismus
Wie wird also das „neue Normal“ der Büroarbeit nach Corona aussehen? Ich würde es als eine Art digitalen Realismus beschreiben – eine nüchterne Arbeitshaltung, für die Videokonferenzen, Online-Kollaborationstools und Homeoffice ganz alltäglich sind, die aber gleichzeitig auch die Grenzen dieser Arbeitsweisen kennt und sie daher situativ zweckmässig einzusetzen weiss. Für den nachhaltigen Erfolg der digitalen Transformation der Arbeitswelt kann einer solcher Realismus eigentlich nur hilfreich sein.
Übersicht: Die Schwerpunktthemen der studentischen Projekte
Neben den generellen Erfahrungen mit Homeoffice haben die verschiedenen Studierendenteams auch je eigene Schwerpunktthemen untersucht:
- Es geht um generelle Fragen der Arbeitsorganisation wie etwa Führung (aus Sicht der Beschäftigten und der Führungskräfte), den Kontakt zu Kundinnen und Kunden (am Beispiel des Immobiliensektors) oder um die Frage der Produktivität im Homeoffice.
- Andere Gruppen haben sich mit der spezifischen Situation in einzelnen Tätigkeitsfeldern befasst, etwa in kreativen Berufen, in der Bildung an Schulen und Hochschulen oder in der Sozialen Arbeit.
- Eine dritte Gruppe von Projekten schliesslich schaut vor allem auf die Situation zuhause – auf die Räume und Schreibtische im Homeoffice, auf die Lage von Familien, aber auch von kinderlosen Paaren oder Singles.
Foto: Oliver Schlecht