Wohnungsbesichtigung vom Sofa? Kundenbetreuung im Immobiliensektor während des Lockdowns

Wer sich dazu entscheidet, eine Immobilie zu kaufen oder zu mieten, will diese begutachten – dreidimensional und im 360-Grad-Spektrum. Etwas, das der Immobiliensektor seinen Kundinnen und Kunden auch digital ermöglichen kann. Während des Lockdowns wurde viel ausprobiert, virtuelle Besichtigungen sind im Trend.

Ein studentischer Beitrag von Helena Flores, Tamara Imper, Pascal Limacher und David Volic

Bei der Beurteilung von Immobilien ist es für Kunden elementar, Räume dreidimensional erleben zu können. Deshalb werden Objekte vor der Miete oder dem Kauf für gewöhnlich mit dem Kunden physisch vor Ort besichtigt. Eine Tätigkeit in der Kundenbetreuung, welche offensichtlich nicht aus dem Homeoffice erfolgen kann. Mit der technischen Entwicklung der vergangenen Jahre ist zur physischen Besichtigung jedoch eine valable Alternative entstanden. Für Technologien wie Virtual Reality (VR) und 360-Grad-Fotoaufnahmen bestehen im Immobiliensektor verschiedene Anwendungsszenarien.

«Die virtuelle Realität macht bei der Vermarktung eine optimale Darstellung einer Immobilie im Internet möglich. Für Miet- oder Kaufinteressenten stehen somit virtuelle Rundgänge durch Objekte über entsprechende Portale oder Apps zur Verfügung» (Vornholz, 2019, S. 53).

Virtuelle Besichtigungen boomen im Lockdown

Wir haben in Interviews mit Arbeitnehmenden aus dem Immobiliensektor untersucht, wie sich Homeoffice auf ihre Kundenbetreuung auswirkt. Eine für Kunden hochrelevante Prozessanpassung, welche bei vielen Interviewten festgestellt werden konnte, ist die Substitution physischer Begehungen durch virtuelle Besichtigungen. Virtuelle Besichtigungen können sowohl in bereits gebauten als auch bei erst projektierten Immobilien durchgeführt werden, womit der Prozess sämtliche Phasen des Immobilienlebenszyklus betrifft. Es zeigt sich, dass virtuelle Besichtigungen in der Corona-Pandemie an Zuspruch gewonnen haben.

«Und was wir jetzt aber auch als Team gemerkt haben, dass unsere Konkurrenz viel mehr mit virtuellen Besichtigungen angefangen hat zu arbeiten», blickt eine Immobilienberaterin auf den Lockdown im Frühjahr 2020 zurück.

Die Nachfrage nach virtuellen Möglichkeiten zur Besichtigung von Räumlichkeiten stieg durch die Ausnahmesituation an. Davon profitieren konnten insbesondere Immobilienunternehmen, welche bereits vor der Pandemie in die Digitalisierung investierten und virtuelle Besichtigungen erprobten. In einer Deutschen Studie im Immobiliensektor gaben nur rund die Hälfte der Befragten an, dass ihre IT-Infrastruktur als Basis für die eigene Digitalisierung gut aufgestellt ist (Rodeck et al., 2020, S. 24). Die Ausgangslage war in diesem Massenexperiment also eine ungleiche. Bei einem Zentralschweizer PropTech-Startup erklärt die interviewte Immobilienberaterin, dass ihr Arbeitgeber durch seine strategische Ausrichtung bereits seit der Gründung mit virtuellen Besichtigungen arbeitet und von dieser Erfahrung im Lockdown profitierte. Das Angebot konnte im Homeoffice weiter ausgebaut werden: «Während dem Lockdown haben wir dann auch angeboten, diesen virtuellen Rundgang zusammen mit den Interessenten durchzugehen.»

Homeoffice bringt Kunden überraschende Vorteile

Viele Kunden nahmen positiv wahr, wie sich Unternehmen während des Lockdowns schnell an die Situation angepasst haben, und entdeckten Vorteile in der digitalen Kundenbetreuung. Es entstanden den Kunden Bequemlichkeiten wie Zeit- und Wegeinsparungen. Der kaufinteressierte Kunde war nun in der Lage, einen ersten Eindruck der Immobilie direkt vom eigenen Sofa aus mit dem Smartphone zu gewinnen – und die verkaufende Immobilienbesitzerin konnte sich aufwändige Besichtigungen mit Interessenten sparen, welche danach abgesagt hätten. Für beide Kundenseiten eines Immobilienunternehmens entstehen aus virtuellen Besichtigungen wesentliche Zeitvorteile.

Diese Besichtigungen können online in Selbstbedienung oder auch durch Kundenbetreuerinnen und -betreuer via Videotelefonie aus dem Homeoffice begleitet stattfinden. Daraus ergeben sich weitere Vorzüge (Zölch, Oertig, Calabrò & Hunziker, 2017, S. 19-24): Wenn die Angestellten des Immobilienunternehmens den Anfahrtsweg zu einem Objekt sparen und durch Homeoffice ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können, dann profitieren auch die Kunden von dieser erhöhten Flexibilität. In einem Interview wurde dies mit einem Vergleich beschrieben: «[…] wir kennen es alle mit Arztterminen, die muss man immer irgendwie reinschieben, und jeder will einen Randtermin».

Mangelnde Glaubwürdigkeit als Risiko

Die Kunden haben während des Lockdowns aussergewöhnlich verständnisvoll reagiert, wenn Prozessanpassungen nötig wurden oder es einmal technische Probleme gab. Dies hat die Einführung neuartiger Lösungen wie der virtuellen Besichtigung vereinfacht. Diese Beobachtung lässt sich mit der Attributionstheorie nach Homburg und Stock-Homburg (2016) erklären, welche besagt, dass das Niveau der Kundenzufriedenheit durch den Aspekt der Kontrollierbarkeit beeinflusst wird (S. 29-30). Wenn Kunden anerkennen, dass der Leistungserbringer sein Angebot durch die Pandemie nicht vollständig kontrollieren kann, tolerieren sie Unannehmlichkeiten. In dem Sinne erhielten virtuelle Besichtigungen einen Vertrauensvorschuss. Dadurch muss sich das Konzept nun aber beweisen.

Es gibt bei den Interviewten auch negative Stimmen:

«Ich habe einfach das Gefühl, dass die ganze virtuelle Welt nicht alles kann ersetzen. Vor allem nicht im Immobilienbereich, weil der private Kontakt ist einfach irgendwie immer noch das Wichtigste».

Dabei wird aber der Technologie trotzdem die Chance eingeräumt, dass es zu einer Gewöhnung an die Beratung auf Distanz kommen kann, einer Art neue Normalität, was die Nachteile egalisieren würde. Als ein Nachteil gegenüber einer physischen Besichtigung vor Ort mit einem Kundenbetreuer oder einer Kundenbetreuerin wird die verringerte Wahrnehmung von Mimik und Gestik angesehen, welche sich negativ auf die Glaubwürdigkeit auswirkt (Röhner & Schütz, 2020, S. 91-92). Durch eine virtuelle Besichtigung kann beim Kunden der Eindruck erweckt werden, dass nur das gezeigt wird, was auch gezeigt werden möchte. Das Vertrauen der Kunden kann so nur schwer gewonnen werden. In diesem Bereich sind Lösungen gefragt.

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