TikTok-Algorithmus im Selbstversuch

von Yannik Fasser, Absolvent Minor Digitalisierung und Soziale Arbeit, Mai 2022

Wie verändert sich der TikTok-Inhalt innerhalb von sieben Tagen? Das wollte ich mit meinem Selbstversuch herausfinden. In diesem Blog-Post wird die Social Media App «TikTok» vorgestellt und dessen Algorithmus anhand eines Selbstversuches ausgetestet. Ziel ist es, mit diesem Blog-Eintrag Fachpersonen der Sozialen Arbeit zu erreichen, damit sie ihr Wissen über TikTok vertiefen können und über den Algorithmus sensibilisiert werden.

Nach der JAMES Studie (2020), besetzt TikTok den dritten Platz unter den beliebtesten Apps von Jugendlichen und wurde von dreiviertel der befragten Personen heruntergeladen (S. 35). Die JAMES Studie für das Jahr 2022 ist während dem Verfassen dieses Eintrages noch nicht veröffentlicht worden. Die Studie von Khattab (2020) untersuchte 2750 TikTok-Videos mit dem Ziel, aufzuzeigen, wie neue digitale Medien stereotype Körperbilder von Schönheit und Geschlecht in Bezug auf Performativität und Selbstdarstellung repräsentieren. Das Ergebnis war, dass die Darstellung des Körpers oft von geschlechterspezifischen Bildern wie heteronormativer Männlichkeit und Weiblichkeit geprägt werden und dies ein Indikator für sexuelle Anziehungskraft entspricht.

 

Dies habe ich während meines Praktikums auf einer Wohngruppe mit männlichen Jugendlichen persönlich erleben können. Während dieser Zeit habe ich zum ersten Mal realisiert, dass sich meine TikTok-Inhalte deutlich von denjenigen der Jugendlichen unterscheiden. Während auf meinem TikTok-Account fröhliche, lustige, sehr inklusive und empowernde Inhalte über den Screen flackerten, waren diejenigen der Jugendlichen überwiegend sexualisierend und teilweise auch gewaltvoll geprägt. Diese massive Unterscheidung von unterschiedlichem Content liess mich nachdenklich über TikTok werden, da ich bis zu diesem Zeitpunkt davon ausging, dass sich alle Videos auf dem Spektrum von humorvoll, tolerant und fröhlich bewegten. Selten bis nie hatte ich ein Video auf meiner For You Page (Hauptseite von TikTok), welches nicht meine Interessen widerspiegelte.

 

Um den TikTok-Algorithmus und meinen Selbstversuch besser nachvollziehen zu können, habe ich einen Artikel über die Geschichte von TikTok verlinkt, welcher die Entwicklung der App in den letzten Jahren aufzeigt. Weiter habe ich eine Internetseite gefunden, welche neben der Geschichte von TikTok allgemeine Zahlen und Fakten und Informationen zu Werbung/ Marketing beinhaltet. Zum Schluss habe ich einen Blogeintrag zu Algorithmen mit Fokus auf den Algorithmus von TikTok gefunden, welcher sehr spannend ist. Darin wird aufgezeigt, wie TikTok und dessen Algorithmus funktioniert und wie er sich von anderen Plattformen unterscheidet.

Nun zu meinem Selbstversuch. Wie ich dafür vorgegangen bin, ist auf der Abbildung 1 ersichtlich. Nach sieben Tagen TikTok, 210 geschauten Videos, sechseinhalb Stunden Videomaterial und rund 36 GB Datenvolumen, hat mich mein Selbstversuch in ein «EU und Amerika-kritisches» und «pro-russisches» TikTok geführt.

Abbildung 1- Vorgehen Selbstversuch

Die gemachten Erfahrungen aus dem Selbstversuch waren für mich persönlich sehr wertvoll. Zu Beginn war es sehr herausfordernd benennen zu können, welche Videos ich als problematisch einstufe und ihnen somit ein Like gebe. Vor allem bei Comedy-Videos, welche ich zu Beginn sehr oft zu sehen bekam, fand ich es besonders schwierig die Videos einzuschätzen, da mir jegliches Hintergrundwissen zur herstellenden Person fehlte. Auf Abbildung 2 ist ersichtlich, wie die Anzahl der Videos, welche aus meiner Sicht problematisch waren, zugenommen haben.

Abbildung 2- Likes pro Tag während Selbstversuch

Als sich mein Algorithmus mit den Tagen immer mehr auf meine Likes ausrichtete, merkte ich, dass mir die Videos immer suspekter wurden. Ich begann die Aussagen und Quellen der Videos vermehrt zu hinterfragen, vor allem bei Themen, bei denen ich mich nicht gut auskannte. So tauchten beispielsweise kritische Videos zu E-Autos oder der Herstellung von Mandelmilch auf, in denen mit «Fakten» versucht wurde aufzuzeigen, warum diese schlecht für die Umwelt sind. In der Regel wurden aber keine Quellen zur Überprüfung dieser Fakten angegeben. Am sechsten und siebten Tag war meine For You Page überhäuft mit problematischen Videos. Dies löste ein grosses Unbehagen in mir aus. Ich fühlte mich sehr unwohl und auch machtlos diese Videos zu schauen. Auch die Kommentarspalte war mit Zustimmungen zu den fragwürdigen Videoinhalten gefüllt, was mein Missbehagen noch vergrösserte. Gegen Ende des Selbstversuchs war ich sehr erleichtert, mein Experiment beenden und mich wieder meinem gewohnten TikTok widmen zu können.

 

Mein Selbstversuch hat mich sehr schnell in ein politisches TikTok geführt. Zu politischen Informationen auf TikTok gibt es nach Ackermann und Dewitz (2020) nur wenig Forschungsbeiträge (S. 74). Kligler-Vilenchik (2019) haben eine Studie zu den politischen Wahlen in den USA im Jahr 2016 veröffentlicht. In der Studie wurden Videos und Hashtags von Jugendlichen im Kontext zu politischen Wahlen ausgewertet. Es stellte sich heraus, dass TikTok in der Tat neue Formen von politischem Ausdruck bietet und als Ort der politischen Meinungsäusserung identifiziert wurde. Insbesondere mit der Vergabe von spezifischen Hashtags wie beispielsweise #MakeAmericaGreatAgain oder #NotMyPresident. Diese politische Meinungsäusserung ist mir in meinem Selbstversuch auch öfters begegnet. So bekam ich beispielsweise gegen Ende meines Selbstversuchs auch einige Videos der deutschen Partei AfD (Alternative für Deutschland) zugespielt, welche ihre politischen Positionen oft mit der Meinungsfreiheit begründen.

 

Aus meinem Selbstversuch nehme ich mit, dass der Algorithmus die Videos sehr schnell anpasst und sich die Inhalte durch eigenes Handeln auch steuern lässt. Im nachfolgenden Audiopodcast ist meine Handlungsempfehlung für die Praxis zu finden:

Literaturverzeichnis

Ackermann, Judith, und Leyla Dewitz. 2020. «Kreative Bearbeitung politischer Information auf TikTok. Eine multimethodische Untersuchung am Beispiel des Hashtags #ww3». MedienPädagogik 38, (Aneignung politischer Information), 69–93.

Bernath, Jael, Suter, Lilian, Waller, Georg, Külling, Céline, Wilemse, Isabel & Süss, Daniel (2020). JAMES – Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz. Zürich: Zürcher Hochschule für Angewandte WissenschaftenZuo, Hui, und Tongyue Wang. 2019. «Analysis of Tik Tok User Behavior from the Perspective of Popular Culture». Frontiers in Art Research 1 (3): 5.

Literat, Ioana, und Neta Kligler-Vilenchik. 2019. «Youth Collective Political Expression on Social Media: The Role of Affordances and Memetic Dimensions for Voicing Political Views». New Media & Society 21 (9): 1988–2009.

Khattab, Mona. 2020. «Synching and Performing: Body (Re)-Presentation in the Short Video App TikTok». Widerscreen.fi 1–2.

 

Empfohlene Bücher/Blog Quellen

Reportage zum Thema Traurigkeit auf TikTok (Youtube):

https://www.youtube.com/watch?v=0q8_xbfp7yE&ab_channel=PULSReportage

Reportage von «radioReportage» über TikTok (Spotify):

https://open.spotify.com/episode/5HjYDviHJjAhMYTrkKwrtG?si=DOOvL_7YQPuxOGQU6aklag

Blog-Eintrag: Selbstversuch Transfeindlichkeit auf TikTok (Englisch):

https://www.mediamatters.org/TikTok/TikToks-algorithm-leads-users-transphobic-videos-far-right-rabbit-holes

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