Die Brücke von Digital zu Real

von Carole Bongard, Absolventin Minor Digitalisierung und Soziale Arbeit, Mai 2022

Mein Blogbeitrag handelt von der Verbindung von digitalen und physischen Begegnungen. Er handelt auch davon, wie sich ein Vorhaben im Digital Minor über zwei Semester hinweg wandeln kann.

Zu Beginn des Digital Minors – noch geprägt von den Erfahrungen und Settings der Pandemie – wollte ich mich mit Online-Beratung befassen. Was macht eine Beratung, welche ausschliesslich im digitalen Raum stattfindet, zu einer guten Beratung und was liegt der Begegnung zwischen Beratungsperson und Klient:in zugrunde? Im Lauf der Zeit hat sich die Idee geweitet und ich habe mich mit digitalen Begegnungsräumen befasst. Welche Möglichkeiten gibt es, sich im digitalen Raum zu begegnen und wie können Beziehungen gelingen?

Oliver Steiner (2015) beschreibt die Widersprüche in der Mediatisierung. Einerseits ermöglichen konvergente Technologien Chancen zur Teilhabe und gleichzeitig können diese in ihrer Divergenz auch dazu führen, dass sich der einzelne Mensch von physischen sozialen Aktivitäten zurückzieht (S. 20-30). Bringen digitale Begegnungsräume einen Mehrwert? Können sie ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln?

Je länger ich mich auf der grundsätzlichen Ebene damit befasste, wie die Beschaffenheit von digitalen Räumen sein sollte, desto mehr wurde es mein Ziel, etwas zu finden, welches den Austausch im digitalen UND im physischen Raum gewinnbringend ermöglicht. In der Zwischenzeit hatte ich mich ein Semester lang mit psychischer Gesundheit befasst und mit den Auswirkungen der Pandemie, welche viele Menschen vermutlich noch einsamer gemacht haben, als sie es schon waren.

Im Nugget 293 habe ich mich mit der datengestützten Entwicklung eines Angebots und mit dem Thema Einsamkeit auseinandergesetzt. Hier sind mir zwei Zahlen aufgefallen, welche das Bundesamt für Statistik erhoben hat:

38% der Bevölkerung ab 15 Jahren fühlten sich einsam
99% der Bevölkerung bis 59 Jahre nutzt das Internet, ab 60 Jahren sind es rund 90%

Abbildung: Digitale Gesellschaft in der Schweiz (Bundesamt für Statistik, 2021)

Diese Statistiken gaben mir zu denken. Schon im Jahr 2017 waren es mehr als ein Drittel der Menschen in der Schweiz, die sich einsam gefühlt haben. Wie viele es heute sind und was die

Pandemie mit uns gemacht hat in Bezug auf Einsamkeit, werden wir erfahren, wenn der Gesundheitsbericht 2022 erscheinen wird, also vermutlich in etwa zwei Jahren.
So lange wollte ich nicht warten, sondern in Aktion treten. Denn sicher ist: Einsamkeit ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet und kann Krankheiten und soziale Probleme verursachen. Der Mensch als bio-psycho-soziales Wesen ist angewiesen auf einen Austausch mit seiner Umwelt. Es kann gar nicht genug Angebote geben, welche der Einsamkeit Abhilfe und soziale Begegnungsmöglichkeiten schaffen können. Die Tatsache, dass sich so viele Menschen in der Schweiz im Internet bewegen, wollte ich mir zunutze machen. Es sind 90 bis 99%, also müssten logischerweise auch diejenigen darunter sein, die sich einsam fühlen.
Ich kam zurück auf eine Idee, welche ich seit etwa drei Jahren mit mir herumtrage, seit ich einen Beitrag darüber im Radio gehört hatte. Es geht um die bis jetzt vor allem im englischen Raum bekannten «Happy to Chat Benches», also Sitzbänke im öffentlichen Raum, welche explizit zum Miteinandersprechen einladen. Sowohl BBC wie auch SRF hat über die «Bänke zum Plaudern» berichtet, welche Begegnungen zwischen Menschen fördern sollen.
Fasziniert von der Verschränkung digitaler Mittel mit der physischen Welt und von der Idee der «Happy to Chat Benches» habe ich mich auf die Suche gemacht nach einem Tool, welches sowohl das Plaudern auf einer digitalen Bank wie auch Begegnungen im realen Leben ermöglichen.

Die grossen, globalen Social Media-Kanäle schienen mir dazu nicht geeignet, weil diese die Einsamkeit vermutlich eher verstärken. Auch Meetup schien mir unpassend für mein Vorhaben, obwohl man da gerade das 20jährige Jubiläum feiert und mit weltweit über 50 Mio. Nutzer:innen scheinbar etwas richtig macht.

Es sollte etwas kleineres, feines sein, wo ich persönlich mit den Macher:innen sprechen kann. Ein Tool, welches hilft, digitale Netzwerke zu bilden, welche unterschiedliche Ziele verfolgen können und förderlich ist für die Bildung von Gemeinschaften, welche sich regional in die physische Welt transportieren lassen und umgekehrt. Eine Plattform zur Schaffung einer Community, in welcher sich Menschen begegnen können, ohne den Eindruck zu haben, in einer Selbsthilfegruppe gelandet zu sein.

Bei beUnity bin ich fündig geworden. Hier habe ich Ansprechpartner, welche meine Idee verstanden haben und spezialisiert darin sind, Brücken zwischen Digital und Real zu bauen. Mit der App arbeiten soziokulturelle Projekte wie ITOBA, welche Siedlungen in ihrer Identitätsbildung unterstützen sowie partizipative Prozesse und generationenverbindendes Wohnen fördern. Auch die Genossenschaft Zusammenhalt arbeitet mit beUnity. Aus der Rückmeldung von Susann Schnider wird deutlich, dass die Nutzung der App keine Altersfrage ist.

Ich habe einen Zugang zur App erhalten, um die «Happy to Chat» Community aufzubauen und wurde mit Informationen und Tools zum Aufbau ausgestattet. Regelmässig fragt Quentin Aeberli bei mir nach, wie ich mit der Community unterwegs bin und wo man mir helfen kann, was ich sehr schätze. beUnity hat sich auch ausführlich mit der rechtlichen Seite auseinandergesetzt. Man meldet sich mit persönlichen Angaben an Eine doppelte oder anonyme Anmeldung ist ausgeschlossen, so dass Trolle keine Chance haben, ihr Unwesen zu treiben.

«Happy to Chat» steht noch ganz am Anfang. Der gemeinsame Nenner soll sein, sich begegnen zu wollen. Die Ideen-Liste ist lang, welche Strukturen darin entstehen könnten. Wie sich die Community entwickeln wird und was für eine Dynamik entstehen wird, hängt von den Menschen ab, die mitmachen werden.
Der Grundstein ist gelegt – Fortsetzung folgt.

 

Literaturverzeichnis

beUnity. Die All-In-One Plattform für Ihre Community. https://beunity.io
Bundesamt für Statistik. Digitale Gesellschaft in der Schweiz 2021. Gefunden unter https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken.assetdetail.20125562.html
Bundesamt für Statistik. Schweizerischer Gesundheitsbericht. Einsamkeitsgefühl. Gefunden unter https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/migration-integration/integrationindikatoren/alle-indikatoren/gesundheit/einsamkeitsgefuehl.html
Steiner, Oliver (2015). Widersprüche der Mediatisierung Sozialer Arbeit. In Karin, Brock, Margret, Dörr, Hans Günther, Homfeldt, Jörgen, Schulze-Krüdener, Werner, Thole (Hrsg.). Grundlagen der Sozialen Arbeit. Mediatisierung (in) der Sozialen Arbeit. Schneider Verlag Honengehren.
Caderas, Urs (2019, 24. August). «Wie ein einfaches Schild ein Gespräch auslösen kann». SRF News Panorama. https://www.srf.ch/news/panorama/parkbaenke-gegen-einsamkeit-wie-ein-einfaches-schild-ein-gespraech-ausloesen-kann
Lloyd, Matt (2019, 19. Oktober). «’Happy to Chat’ benches: The woman getting strangers to talk». BBC Wales. https://www.bbc.com/news/uk-wales-50000204

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