GfM2023

Die Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaften in Bonn widmete sich in diesem Jahr ganz dem Thema ‘Abhängigkeiten’.

Innerhalb des Panels “Instabile Bildräume: Digitale Inter-Aktion und Gegenöffentlichkeit”, bei dem Florian Krautkrämer Chair war, hielten sowohl Tobias Conradi als auch Vanessa Zallot am 27.09.2023 Präsentationen zu ihren jeweiligen Forschungsprojekten.

Tobias Conradis Präsentation unter dem Titel “Die Karte als Interface der Dokumentation des Krieges” widmete sich der Frage nach der operativen Umnutzung der Karte in Krisen und Kriegen:

Im Kontext des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist eine besondere Form interaktiver, netzmedialer Dokumentation entstanden, die Kriegsmeldungen aus sozialen Medien auf einer Weltkarte lokalisiert. Bekannte Beispiele sind liveuamap.com und eyesonrussia.org. Während der Gebrauch kartografischer Darstellung in Krisen und Kriegen keine Neuheit ist, wird die Karte hier zu einem „operativen Bild“ umgenutzt: Sie wird Interface und Zugriffspunkt für dokumentierende, kuratierte, archivierte und (teils) verifizierte Frontmeldungen aus sozialen Medien. Die Karte wird ein Instrument im Werkzeugkasten der Gegenforensik (vgl. Rothöhler 2021).

In meinem Vortrag gehe ich verschiedenen hier entstehenden und zugrundeliegenden Abhängigkeiten nach: So sind Aktivist*innen der OSINT-Community angewiesen auf die Funktion sozialer Plattformen und den Zugriff auf Online-Kommunikation; gleichzeitig sind sie abhängig von bestehendem Kartenmaterial. Vom Krieg betroffene Personen on the ground, Militärs, aber auch Journalist*innen entwickeln neue Abhängigkeiten von den online zusammengestellten Informationen. Die Karten visualisieren spezifische Abhängigkeiten, von Materialnachschub bis zu Geländegewinnen. Dabei sind die Karten ortsabhängig, die mobilen Geräte die sie mit Daten versorgen ortsunabhängig (vgl. Thielmann 2014) – und verwaltet werden die Karten an Orten, die vom kartografierten Geschehen möglichst unbelastet sind. Die Dokumentation des Krieges wird abhängig von Datenpunkten aus sozialen Medien, die erst in der Bildlichkeit der Karte in einem sinnvollen Zusammenhang verortet werden und so Bedeutung und Wissen generieren.

Referenzen

  • Rothöhler, Simon. Medien der Forensik. 1. Aufl. Bd. 92. Edition Medienwissenschaft. Bielefeld, Germany: transcript Verlag, 2021. https://doi.org/10.14361/9783839460009.
  • Thielmann, Tristan. „Wegbereiter: Mobile Geomedien im Einsatz“. Geographische Rundschau, 2014, 7.

Vanessa Zallot befasste sich in ihrer Präsentation “Bilder nacheinander, Bilder nebeneinander – Die Interaktive Montage bei K-TOWN’92” mit der Montagestrategie der Mehrfachprojektion anhand eines spezifischen Beispiels eines interaktiven Dokumentarfilms:

Die Web-Doku K-TOWN’92 (Grace Lee, 2017) arrangiert Sequenzen aus einer umfangreichen Datenbank in einem interaktiven Interface. Dabei wird kein Bild für sich alleine stehen gelassen und jeweils bis zu fünf Sequenzen nebeneinander und gleichzeitig abgespielt. Es ergibt sich eine Montage, die an Harun Farockis „Weiche Montage“ erinnert, bei der es „sowohl die Sukzession als auch die Gleichzeitigkeit [gibt], die Beziehung von einem Bild zum folgenden als auch zum nebenstehenden“ (Farocki 2002). Die Abhängigkeiten der Bilder untereinander manifestieren sich hier nicht bloß zeitlich, sondern auch räumlich.

K-TOWN’92 befasst sich mit den Unruhen in Los Angeles von 1992 und verwendet dabei eine umfassende Menge an Archiv-Aufnahmen, welche auch stereotypisierte Bilder und Rassismen reproduzieren. Obwohl diese Bilder „kontaminiert“ sind (Pantenburg 2023), werden sie im Film gezeigt, wobei dieses Zeigen mit einer Kritik einhergeht. Wie wird diese Kritik produziert? Angelehnt an Farockis Auseinandersetzungen mit Montage soll die Frage behandelt werden, inwiefern die Montage bei K-TOWN’92 als entschärfendes „Antidot“ zu krisenbehafteten Bildern (Pantenburg 2023) verstanden werden kann, demnach „die Bilder […] gegen sich selbst aussagen [sollen]“ (Farocki 2007) – und was Interaktivität damit zu tun hat.

Referenzen

  • Farocki, Harun (2002): Quereinfluss/Weiche Montage. https://newfilmkritik.de/archiv/2002-06/quereinflussweiche-montage/ [zuletzt abgerufen am: 01.03.2023]
  • Farocki, Harun (2007): Die Bilder sollen gegen sich selbst aussagen. In: Schwarte, Ludger (Hrsg.): Auszug aus dem Lager. Zur Überwindung des modernen Raumparadigmas in der politischen Philosophie. Bielefeld: transcript Verlag, S. 295 – 311.