Mit Active Assisted Living gegen Einsamkeit
Allgemein

iHomeLab – Digitalisierung der Einsamkeit?

Am iHomoeLab der Hochschule Luzern soll die Digitalisierung das Problem der Einsamkeit von älteren Menschen lösen. Lösen oder die Einsamkeit digitalisieren?

Die ältere Generation mit digitalen Lösungen unterstützen, Active Assisted Living nennt sich dieses Forschungsgebiet und dazu wird im iHomeLab der Hochschule Luzern geforscht. Bei einer Führung durch das iHomeLab beeindruckt nicht nur das futuristische Gebäude, auch die Ziele der Forschung wirken zukunftsverändern und mögen den Zuhörer zu überzeugen:

„Ältere Menschen gibt es immer mehr, und viele von ihnen möchten selbstbestimmend zuhause leben“ oder „Einsamkeit im Alter ist ein grosses Thema, wir möchten dieser Einsamkeit entgegenwirken“.

Alles ehrenvolle Aussagen und man mag es als schönen Kontrast wahrnehmen, den Einsatz von modernen Technologien für einmal in einem sozialen Einsatzbereich anzutreffen.

Künstliche Intelligenz als Familienersatz
Während den Besuchern demonstriert wird, wie das System automatisch die Tochter einer alten, alleinstehenden, in der Wohnung gestürzten Frau, anruft, kommt einem die ganze Situation auf einmal doch sehr einsam vor. Verbessern die hier entwickelten Systeme wirklich die Lebensqualität der älteren Generation oder sehen wir hier die Forschung zur Digitalisierung der Einsamkeit?

https://www.youtube.com/watch?v=WiwKFOrjG9M

Laut dem Philosophen Otfried Höffe lassen uns vier «L» gut und glücklich altern: Laufen, Lernen, Lieben und Lachen. Die letzten beiden «L» deuten darauf hin, wie sehr zwischenmenschliche Beziehungen ein gesundes Alter prägen. Schwer zu glauben, dass das Lachen der digitalen Assistentin Anne des iHomeLabs, das Lachen der eigenen Tochter oder des eigenen Sohnes ersetzen kann. Helfen solche digitalen Assistenten nicht viel mehr dem Gewissen der Kinder und Enkel? Denn wie gerade am Beispiel der gestürzten Dame gezeigt wurde, können die Angehörigen in Zukunft davon ausgehen, dass es dem Grossi gut geht, solange sie nichts Gegenteiliges vom digitalen Butler James hören. Gut vorstellbar, dass der eine oder andere Besuch als Folge davon ausbleibt.

Einsamkeit in der Schweiz
Das Thema Einsamkeit wird in der Schweiz immer häufiger auch medial diskutiert. Als ein Symptom unserer modernen Gesellschaft wird die Einsamkeit beschrieben. Ein Phänomen, welches vor allem die älteren Leute betrifft.

Effektiv gibt dann auch, gemäss einer Befragung des Bundesamt für Statistik, ein Drittel der 1,2 Millionen in der Schweiz lebenden Menschen über 75 Jahren an, sich häufig oder manchmal einsam zu fühlen.

Die These, dass vor allem ältere Menschen von Einsamkeit betroffen sind, ist somit bestätigt, würde man meinen. Überraschenderweise führt jedoch eine andere Altersklasse die Einsamkeitsrangliste an. So ergibt sich aus der genannten Befragung aus dem Jahre 2017, dass 48.2% der 15-24-jährigen sich häufig oder manchmal einsam fühlen. Damit aber nicht genug, die allgemeine Tendenz dieser Befragung lässt die Aussage zu, je älter die befragten Personen waren, umso weniger einsam fühlten sie sich. Einsamkeit, ein Problem der jungen Leute. Interessanterweise wird die Digitalisierung oft als ein Teil des Problems von Einsamkeit bei jungen Leuten genannt.

Einsamkeitsgefühle nach Altersgruppe
Einsamkeitsgefühle nach Altersgruppe in der Schweiz (Quelle: BAG)

Zum Beispiel das Ersetzen von realen Kontakten mit Kontakten über soziale Medien. Es scheint, Einsamkeit ist ein komplexes Phänomen. Was bei der einen Altersgruppe als Mitursache gezählt wird, soll bei der anderen die Lösung sein. Wir wollen uns jetzt aber wieder der Einsamkeit unserer älteren Mitmenschen widmen und weitere Lösungen im Kampf gegen die Einsamkeit, fern ab von Technologie begutachten.

Lösungen fern von Technologien
Eines sind sich Befürworter sowie Kritiker von digitalen Lösungen zur Bekämpfung von Einsamkeit einig, digitale Kontakte ersetzten niemals vollumfänglich gemeinsame Stunden mit anderen Menschen. Ausserhalb der digitalen Welt gibt es verschiedene Projekte, welche das Problem der Einsamkeit im Alter angehen. Eines davon ist die Idee der Senioren WG. Anstatt sich wie im iHomeLabs von digitalen Zeitgenossen helfen zu lassen, unterstützen sich die WG-Senioren und kompensieren gegenseitig ihre Einschränkungen. Auch für das gebeutelte Gesundheitssystem wäre dieses Modell interessant. Denn die Rechnung ist einfach, wer Infrastrukturen und Dienstleistungen teilt, wohnt günstiger. Das Modell der Senioren WG ist bei weitem nicht der einzige Ansatz ältere Personen wieder unter Menschen zu bringen. Weitere Bestreben gibt es im Bereich Mehrgenerationenhaushalt oder Wohnbaugenossenschaften.

https://www.youtube.com/watch?v=dM_rl9OZijo

Beides würde zur besseren Integration von älteren Personen beitragen. Auch in der Politik sind unter dem Titel „Vereinbarkeit von Familie und Beruf “ Bestrebungen im Gange, welche Personen finanziell unterstützen, die sich um ihre älteren Familienmitglieder kümmern. Vergleicht man diese Alternativen mit den digitalen Lösungen erscheinen sie um einiges „humaner“ als der digitale WG-Kollege. Aber was bedeutet das für die Forschung am iHomeLab? Ist sie am Schluss wirklich nur eine Modernisierung des Status quo? Eine Einsamkeit 2.0 sozusagen und daher nicht erstrebenswert?

Teil der Lösung
Die Forschung, welche die Hochschule Luzern mit ihrem iHomeLab betreibt als unnötig oder einfache Lösung für die ältere Generation zu verurteilen, ist dann auch zu eindimensional gedacht. Betrachtet man zum Beispiel die fehlende Mobilität, welche es älteren Menschen häufig erschwert am sozialen Leben teilzunehmen und somit in die Einsamkeit drängt. Es ist gut vorstellbar, dass der smarte Rollator aus dem iHomeLab diese Einschränkung kompensieren mag und eine ältere Person dadurch weiterhin unter die Leute gehen kann. Auch die digitale Assistentin Anne, welche wir wegen der fehlenden Wirkung ihres Lachens kritisiert haben, hat ihre Daseinsberechtigung. Sie kann Senioren helfen sich mit den digitalen Kommunikationsmitteln besser zurechtzufinden und somit soziale Kontakte pflegen zu können. Das iHomeLab sieht sich selber ebenfalls als Teil der Lösung und beschreibt dies treffend mit einem Zitat in ihrem Blog:

«Ein computergestütztes Assistenzsystem wie ‹Anne› ist kein Wundermittel gegen Einsamkeit, aber es kann die älteren Menschen beim Austausch mit ihrem Umfeld unterstützen».

Dies zeigt, dass sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter des iHomeLabs nicht nur mit den technischen Vorzügen beschäftigen, sondern sich auch kritisch mit den gesellschaftlichen Folgen auseinandersetzen.

Am Schluss gilt für das Forschungsgebiet Active Assisted Living das Gleiche wie für alle Innovationen: Die Innovation selber ist weder gut noch schlecht, es kommt darauf an, was die Menschen daraus machen.

Weiterführende Links
iHomeLab Forschungszentrum für Gebäudeintelligenz
Active Assisted Living Forschung
BAG- Einsamkeit im Alter überwinden
Beobachter – Senioren aktiv am Leben teilhaben lassen

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