Vorlesung 2:
DREI RÄUME DER DOMESTIZITÄT
JONI KAÇANI
Die Ausstellung und Publikation «Die Wohnung für das Existenzminimum» rückt eine neuartige Bauaufgabe in den Fokus von Architekt:innen und mit ihr die Frage nach dem Domestischen in der Architektur. Nun sind die ausgestellten Wohnbauten nicht die ersten bewohnten Architekturen. Bereits Jahrhunderte zuvor haben Architekten in ihren Projekten für Residenzen der Machthabenden sowohl theoretisch als auch praktisch die Architektur von Villen, Palazzi oder Stadthäusern reflektiert und seit der Gründerzeit bildeten städtische Strukturen zur Unterbringung möglichst vieler Menschen ein ergiebiges Tätigkeitsfeld von Architekten.
Doch während erstere Bauwerke keineswegs reine Wohnarchitekturen darstellen – denn Räume für die Arbeit von Bediensteten und die staatsmännischen Aufgaben der Besitzer:innen beanspruchen einen erheblichen Teil dieser Strukturen – so handelt es sich bei letzteren kaum um Wohnarchitekturen – denn ausser Schlafbereiche, die in den meisten Fällen auch von mehreren Parteien geteilt werden, weisen diese Strukturen kaum Domestisches auf, also Räume die explizit dem individuellen Rückzug oder dem gemeinschaftlichen Austausch dienen.
Dieser neue Fokus wird an zwei Begriffen deutlich, die Fragen aufwerfen, die heute aktueller sind, denn je:
Doch während erstere Bauwerke keineswegs reine Wohnarchitekturen darstellen – denn Räume für die Arbeit von Bediensteten und die staatsmännischen Aufgaben der Besitzer:innen beanspruchen einen erheblichen Teil dieser Strukturen – so handelt es sich bei letzteren kaum um Wohnarchitekturen – denn ausser Schlafbereiche, die in den meisten Fällen auch von mehreren Parteien geteilt werden, weisen diese Strukturen kaum Domestisches auf, also Räume die explizit dem individuellen Rückzug oder dem gemeinschaftlichen Austausch dienen.
Dieser neue Fokus wird an zwei Begriffen deutlich, die Fragen aufwerfen, die heute aktueller sind, denn je:
- Der Begriff «Wohnung» verhandelt räumliche Qualitäten, die gebaute Strukturen erfüllen müssen, um dem «Wohnen» zu dienen. Und gerade «Wohnen» impliziert heute auch Lebensformen, die sich seither multipliziert haben, also Architekturen voraussetzt, die sich ausser von der bürgerlichen Kernfamilie auch von anderen Lebensentwürfen aneignen lassen, … .
- Der Begriff «Minimum» verhandelt Quantitäten, in denen diese Qualitäten vorhanden sein müssen, damit Architekturen domestisch werden, also in welchem Ausmass sich im Wandel begriffene Lebensentwürfe räumlich materialisieren. Die Grösse einer Küche, eines Badezimmers oder eines Wohnzimmers und seine Beziehung zu den anderen Zimmern sind ausschlaggebend dafür, welche Formen des Zusammenlebens darin stattfinden können und welche nicht.
Drei Vorlesungen widmen sich je einem Raum in unterschiedlichen Fallbeispielen der letzten 100 Jahre an dessen Beschaffenheit sich im Wandel begriffene Wohnbilder und Lebensformen manifestieren. Dabei wird dieser Raum nicht nur isoliert betrachtet, sondern der Fokus auf die Beziehungen gelegt, die er zu anderen Räumen aufbaut, also wie er unterschiedlichste Wohntypologien generiert.
DAS WOHNZIMMER – WOHNST DU NOCH ODER LEBST DU SCHON?
Während anderen Räumen einer Wohnung zumindest semantisch eindeutige Tätigkeiten zugeschrieben werden, bleibt die Nomenklatur des Wohnzimmers in dieser Hinsicht sehr vage. Und genauso vielfältig manifestiert es sich auch räumlich. Dessen verschiedenste Erscheinungsformen sowie sein determinierender Charakter auf die Schlafräume wird in dieser Vorlesung erörtert.
Die Betrachtung reicht von an Schlafzimmern vorbeimäandrierenden Wohnküchen, die typologisch auch als überformte Gänge mit Aufenthaltsqualität beschrieben werden könnten in Projekten von EMI, über überdimensionerte gefangene Erschliessungsräume welche sich im Beispiel der Wohnungen an der Hammerstrasse von Diener+Diener durch das Zuschalten nutzungsneutraler Zimmer an der Fassade in grosszügige Wohnhallen transformieren, bis hin zu Clusterküchen die sich im Beispiel der Wohnüberbauung von Duplex für die Genossenschaft «Mehr als Wohnen» als Negativraum zwischen Schlafkammern mit Nassbereichen und Teeküchen ausbreiten oder der Eingangsdiele mit Küche welche im Beispiel der Wohnüberbauung «Waldmeisterweg» von Lütjens Padmanabhan an die Fassade stösst und so bei minimalen Wohnungsgrössen auch ein minimales «Wohnzimmer» bei maximaler Belegung ermöglicht.
Während anderen Räumen einer Wohnung zumindest semantisch eindeutige Tätigkeiten zugeschrieben werden, bleibt die Nomenklatur des Wohnzimmers in dieser Hinsicht sehr vage. Und genauso vielfältig manifestiert es sich auch räumlich. Dessen verschiedenste Erscheinungsformen sowie sein determinierender Charakter auf die Schlafräume wird in dieser Vorlesung erörtert.
Die Betrachtung reicht von an Schlafzimmern vorbeimäandrierenden Wohnküchen, die typologisch auch als überformte Gänge mit Aufenthaltsqualität beschrieben werden könnten in Projekten von EMI, über überdimensionerte gefangene Erschliessungsräume welche sich im Beispiel der Wohnungen an der Hammerstrasse von Diener+Diener durch das Zuschalten nutzungsneutraler Zimmer an der Fassade in grosszügige Wohnhallen transformieren, bis hin zu Clusterküchen die sich im Beispiel der Wohnüberbauung von Duplex für die Genossenschaft «Mehr als Wohnen» als Negativraum zwischen Schlafkammern mit Nassbereichen und Teeküchen ausbreiten oder der Eingangsdiele mit Küche welche im Beispiel der Wohnüberbauung «Waldmeisterweg» von Lütjens Padmanabhan an die Fassade stösst und so bei minimalen Wohnungsgrössen auch ein minimales «Wohnzimmer» bei maximaler Belegung ermöglicht.
DIE NASSZELLE – ZWISCHEN INTIMITÄT UND EXHIBITIONISMUS.
Die Selbstverständlichkeit einer Nasszelle in der Wohnung ist kaum älter als die besagte Publikation. Seither haben auch die am Wasser hängenden Räume Küche und Badezimmer unzählige Ausformulierungen erfahren. Wie kaum ein anderer Raum verhandelt die Nasszelle gesellschaftliche Normen von Intimität und Exponiertheit laufend neu. Als oft unsichtbare Determinanten räumlicher und durch die Notwendigkeit der Schächte auch konstruktiver Typologien prägen Nasszellen die Konstellation der übrigen Räume und damit auch die darin ermöglichten Lebensformen.
Die Vorlesung widmet sich Beispielen wie dem Bad als Durchgangsraum in der Siedlung «Südend» von Lux Guyer, der aufgelösten Grenze von Küche zu Badezimmer in den Wohnungen über dem «Riff Raff» von Meili Peter, Experimenten des Ausgliederns von Apparaten wie Waschbecken und/oder Badewanne/Dusche in der Wohnüberbauung «Gifu» von Sanaa, des Wohnateliers von Le Corbusier oder der «Wohnung Brunnerstrasse» von June14 sowie der Atomisierung des Bades als freistehende raumgliedernde Objekte wie im Beispiel des «Edificio Guaimbê» von Paulo Mendes da Rocha.
Die Selbstverständlichkeit einer Nasszelle in der Wohnung ist kaum älter als die besagte Publikation. Seither haben auch die am Wasser hängenden Räume Küche und Badezimmer unzählige Ausformulierungen erfahren. Wie kaum ein anderer Raum verhandelt die Nasszelle gesellschaftliche Normen von Intimität und Exponiertheit laufend neu. Als oft unsichtbare Determinanten räumlicher und durch die Notwendigkeit der Schächte auch konstruktiver Typologien prägen Nasszellen die Konstellation der übrigen Räume und damit auch die darin ermöglichten Lebensformen.
Die Vorlesung widmet sich Beispielen wie dem Bad als Durchgangsraum in der Siedlung «Südend» von Lux Guyer, der aufgelösten Grenze von Küche zu Badezimmer in den Wohnungen über dem «Riff Raff» von Meili Peter, Experimenten des Ausgliederns von Apparaten wie Waschbecken und/oder Badewanne/Dusche in der Wohnüberbauung «Gifu» von Sanaa, des Wohnateliers von Le Corbusier oder der «Wohnung Brunnerstrasse» von June14 sowie der Atomisierung des Bades als freistehende raumgliedernde Objekte wie im Beispiel des «Edificio Guaimbê» von Paulo Mendes da Rocha.
DER GANG – UNTER NACHBARN.
Anders als Wohn- und Badezimmer, die Beziehungen innerhalb der Wohnung ordnen, bildet der Erschliessungsraum, im Titel der Vorlesung plump als «Gang» bezeichnet, Beziehungen zwischen allen Bewohnenden einer Wohnüberbauung aus. Während im Katalog zur Ausstellung «Die Wohnung für das Existenzminimum» die Vorzüge des Laubenganges beschrieben werden, der es «erlaubt, eine grössere Anzahl gleichwertiger Wohneinheiten an ein gemeinsames Treppenhaus anzuschliessen, und dabei diesen Einheiten immerhin noch eine leidliche Querdurchlüftung zu ermöglichen» widmet sich diese Vorlesung den verschiedenen Wohnungstypologien, welche durch Laubengänge, «Rues intérieures», Einspänner, Zweispänner, Dreispänner etc. generiert werden.
Im Fokus stehen Laubengangtypologien wie in der Wohnsiedlung «Limmat West» die durch die spezifische Ausformulierung von Schwellenräumen die Exponiertheit zur Hausgemeinschaft und den individuellen Rückzug verhandeln; innenliegende Gänge welche gemeinschaftliche Funktionen übernehmen die wie bei den Alterswohnungen von Peter Zumthor in Basel mal mehr oder wie in der Genossenschaftsüberbauung «Kalkbreite» von Müller Sigrist mal weniger die einzelnen Wohneinheiten zueinander in Beziehung setzen; Mehrspänner wie im Projekt «im Gut» von Peter Märkli, die spezifische räumliche Beziehungen zwischen einzelnen Wohneinheiten aufbauen oder aber wie im Wettbewerbsbeitrag «boba fett» die Einheiten an einem minimalen Zweispänner indifferent zueinander ausgestalten und so Raum für einen maximal individualistischen Lebensstil bieten; wie auch differenzierte Erschliessungen wie im «Terrassenhaus» von bplus, das durch die Kombination eines innenliegenden Liftes und einer aussenliegenden terrassenartigen Laubengangerschliessung den Bewohnenden die Wahl lässt wie sehr sie am gemeinschaftlichen Leben teilhaben und wie stark sie sich zurückziehen wollen.
Anders als Wohn- und Badezimmer, die Beziehungen innerhalb der Wohnung ordnen, bildet der Erschliessungsraum, im Titel der Vorlesung plump als «Gang» bezeichnet, Beziehungen zwischen allen Bewohnenden einer Wohnüberbauung aus. Während im Katalog zur Ausstellung «Die Wohnung für das Existenzminimum» die Vorzüge des Laubenganges beschrieben werden, der es «erlaubt, eine grössere Anzahl gleichwertiger Wohneinheiten an ein gemeinsames Treppenhaus anzuschliessen, und dabei diesen Einheiten immerhin noch eine leidliche Querdurchlüftung zu ermöglichen» widmet sich diese Vorlesung den verschiedenen Wohnungstypologien, welche durch Laubengänge, «Rues intérieures», Einspänner, Zweispänner, Dreispänner etc. generiert werden.
Im Fokus stehen Laubengangtypologien wie in der Wohnsiedlung «Limmat West» die durch die spezifische Ausformulierung von Schwellenräumen die Exponiertheit zur Hausgemeinschaft und den individuellen Rückzug verhandeln; innenliegende Gänge welche gemeinschaftliche Funktionen übernehmen die wie bei den Alterswohnungen von Peter Zumthor in Basel mal mehr oder wie in der Genossenschaftsüberbauung «Kalkbreite» von Müller Sigrist mal weniger die einzelnen Wohneinheiten zueinander in Beziehung setzen; Mehrspänner wie im Projekt «im Gut» von Peter Märkli, die spezifische räumliche Beziehungen zwischen einzelnen Wohneinheiten aufbauen oder aber wie im Wettbewerbsbeitrag «boba fett» die Einheiten an einem minimalen Zweispänner indifferent zueinander ausgestalten und so Raum für einen maximal individualistischen Lebensstil bieten; wie auch differenzierte Erschliessungen wie im «Terrassenhaus» von bplus, das durch die Kombination eines innenliegenden Liftes und einer aussenliegenden terrassenartigen Laubengangerschliessung den Bewohnenden die Wahl lässt wie sehr sie am gemeinschaftlichen Leben teilhaben und wie stark sie sich zurückziehen wollen.