Vorlesung 1:
WOHNRAUM
PROF. ANGELIKA JUPPIEN
«Die Diskrepanz zwischen einer Mentalität, die an eingeübten Wohn- und Lebensmodellen festhält, und der faktischen Lebensrealität war noch nie so groß wie heute.»1
Diese These provoziert eine reichhaltige und spannende Diskussion zur Wohnarchitektur, der wir in der Vorlesungsreihe WOHNRAUM nachgehen werden. Was bedeutet es für das Wohnen, wenn die in Grundrissen festgeschriebenen Hierarchien und Alltagsrituale an Bedeutung verlieren – und erfordert dies ein grundlegendes Neudenken sozialer Beziehungen jenseits der bekannten bürgerlichen (Wohn-)Traditionen? Unser Blick richtet sich dabei nicht nur auf die Räume der «eigenen vier Wände», sondern auch auf jene, die in Wechselwirkung zu ihnen stehen. Denn – wie in der Einleitung aufgezeigt – findet das Wohnen längst nicht nur im privaten Rückzugsraum statt.
Neben wohntypologischen Betrachtungen stehen insbesondere die Verflechtungen zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen, Lebensbedingungen und Wohnformen im Zentrum des Interesses. Grundrisse werden systematisch mit dem tatsächlichen Gebrauch durch die Bewohnerinnen und Bewohner verknüpft und im jeweiligen zeitlichen sowie räumlichen Kontext analysiert. Wohnraum und seine Bedeutung werden folglich auf verschiedenen Ebenen – von der Wohnung über das Quartier bis zur Gesellschaft als Ganzes – diskutiert. Damit werden auch die Fragen beleuchtet, welche politischen, technologischen und sozialen Dynamiken unsere Wohn- und Lebensformen geprägt haben oder aktuell prägen – sowie deren Wechselwirkungen. Dieses Verständnis für die komplexen Zusammenhänge macht nachvollziehbar, warum wir heute so wohnen, wie wir wohnen, und liefert zugleich Impulse für neue, ressourcenschonende Wohnstrategien, die das Zusammen- und Weiterleben in der Zukunft sichern können.
Die Titel der Vorlesungen sind bewusst ausgewählten Romanen und Essays entlehnt, welche die thematische Ausrichtung und die inhaltlichen Schwerpunkte der Vorlesungsreihe präzise widerspiegeln. Sie verweisen also auf jene Kontexte, in denen wir uns im Rahmen der Vorlesungen bewegen.
VORLESUNG 1: HARD TIMES
Der Roman Hard Times von Charles Dickens dient als titelgebende Inspiration für diese Vorlesung. Dickens behandelt in seinem Roman die gesellschaftlichen Folgen der Industrialisierung – eine Epoche, auf die wir den Schwerpunkt legen.
Innerhalb weniger Generationen änderte sich das Wohnverständnis grundlegend: Wohnformen wurden neu gedacht, der Gebrauch von Wohnraum umfassend umgestaltet. Der Wandel von der Haushaltsform des «Ganzen Hauses» zur Idee eines privaten, abgeschlossenen Wohnraums – des «trauten Heims» – steht exemplarisch für diesen tiefgreifenden Umbruch. Wir stellen zentrale Fragen: Welche Ursachen führten zu dieser radikalen Veränderung des Wohnens? Welche sozialen und räumlichen Folgen hatte der Wandel für verschiedene Gesellschaftsschichten? Wie veränderten sich Rollenbilder, besonders in Bezug auf Geschlechterverhältnisse? Und warum prägen die Spuren dieses Wandels noch heute unser Wohnen? Um die Tragweite dieser Entwicklung zu verstehen, richten wir zu Beginn der Vorlesung den Blick auf das vormoderne Wohnen. Das Ziel der Vorlesung ist es, die historische Entwicklung des städtischen Wohnens nachzuvollziehen und dabei herauszuarbeiten, welche Bedeutung diese Veränderungen für heutige Wohnvorstellungen und aktuelle Wohnkonzepte haben.
Der Roman Hard Times von Charles Dickens dient als titelgebende Inspiration für diese Vorlesung. Dickens behandelt in seinem Roman die gesellschaftlichen Folgen der Industrialisierung – eine Epoche, auf die wir den Schwerpunkt legen.
Innerhalb weniger Generationen änderte sich das Wohnverständnis grundlegend: Wohnformen wurden neu gedacht, der Gebrauch von Wohnraum umfassend umgestaltet. Der Wandel von der Haushaltsform des «Ganzen Hauses» zur Idee eines privaten, abgeschlossenen Wohnraums – des «trauten Heims» – steht exemplarisch für diesen tiefgreifenden Umbruch. Wir stellen zentrale Fragen: Welche Ursachen führten zu dieser radikalen Veränderung des Wohnens? Welche sozialen und räumlichen Folgen hatte der Wandel für verschiedene Gesellschaftsschichten? Wie veränderten sich Rollenbilder, besonders in Bezug auf Geschlechterverhältnisse? Und warum prägen die Spuren dieses Wandels noch heute unser Wohnen? Um die Tragweite dieser Entwicklung zu verstehen, richten wir zu Beginn der Vorlesung den Blick auf das vormoderne Wohnen. Das Ziel der Vorlesung ist es, die historische Entwicklung des städtischen Wohnens nachzuvollziehen und dabei herauszuarbeiten, welche Bedeutung diese Veränderungen für heutige Wohnvorstellungen und aktuelle Wohnkonzepte haben.
VORLESUNG 2: THE YELLOW WALLPAPER
Die Kurzgeschichte The Yellow Wallpaper der US-amerikanischen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Charlotte Perkins Gilman bildet den thematischen Auftakt zur zweiten Vorlesung. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen und Geschlechterrollen im Kontext des Wohnens – vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Mit der Industrialisierung verlagerte sich die Erwerbsarbeit zunehmend aus dem häuslichen Umfeld in externe Arbeitsorte. Parallel dazu nahm die Erwerbstätigkeit von Frauen im Laufe des 19. Jahrhunderts zu – eine Entwicklung, die neue gesellschaftliche und wohnpolitische Antworten erforderlich machte. Die sogenannte «Wohnungsfrage» – also der Bedarf an bezahlbarem, angemessenem Wohnraum und die Diskussion um die Organisation des Haushalts – wurde zu einem zentralen Thema. In dieser Vorlesung widmen wir uns den Wohn- und Lebensmodellen, die als Alternativen zum vorherrschenden kleinbürgerlichen Wohnkonzept entwickelt wurden. Dazu gehören beispielsweise Wohnungen für berufstätige Frauen, Einküchenhäuser und weitere kollektive Wohnformen. Abschliessend werfen wir einen Blick auf aktuelle Wohnprojekte, die heutige gesellschaftliche Herausforderungen aufgreifen – von neuen Familien- und Haushaltsformen bis hin zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Dabei diskutieren wir, inwiefern diese Projekte auf historische Reformmodelle zurückgreifen, diese weiterentwickeln und in zeitgemässe Wohnformate übersetzen.
Die Kurzgeschichte The Yellow Wallpaper der US-amerikanischen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Charlotte Perkins Gilman bildet den thematischen Auftakt zur zweiten Vorlesung. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen und Geschlechterrollen im Kontext des Wohnens – vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Mit der Industrialisierung verlagerte sich die Erwerbsarbeit zunehmend aus dem häuslichen Umfeld in externe Arbeitsorte. Parallel dazu nahm die Erwerbstätigkeit von Frauen im Laufe des 19. Jahrhunderts zu – eine Entwicklung, die neue gesellschaftliche und wohnpolitische Antworten erforderlich machte. Die sogenannte «Wohnungsfrage» – also der Bedarf an bezahlbarem, angemessenem Wohnraum und die Diskussion um die Organisation des Haushalts – wurde zu einem zentralen Thema. In dieser Vorlesung widmen wir uns den Wohn- und Lebensmodellen, die als Alternativen zum vorherrschenden kleinbürgerlichen Wohnkonzept entwickelt wurden. Dazu gehören beispielsweise Wohnungen für berufstätige Frauen, Einküchenhäuser und weitere kollektive Wohnformen. Abschliessend werfen wir einen Blick auf aktuelle Wohnprojekte, die heutige gesellschaftliche Herausforderungen aufgreifen – von neuen Familien- und Haushaltsformen bis hin zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Dabei diskutieren wir, inwiefern diese Projekte auf historische Reformmodelle zurückgreifen, diese weiterentwickeln und in zeitgemässe Wohnformate übersetzen.
VORLESUNG 3: LES CHOSES
Georges Perecs Roman Les Choses verdeutlicht, wie eine konsumorientierte Gesellschaft das individuelle Streben nach Glück und Identität prägt. Perec macht deutlich, in welchem Ausmass persönliche Wünsche und Selbstbilder durch gesellschaftliche Normen, Erwartungen und Konformitätsdruck beeinflusst werden.
Diese Fragen spiegeln sich auch im Wohnungsbau der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider – dem Fokus dieser Vorlesung. In Europa, wie auch in der Schweiz, war diese Epoche von starkem wirtschaftlichem Wachstum und intensiver Bautätigkeit geprägt. Vor allem an den Stadträndern entstanden zahlreiche, häufig standardisierte Grosswohnsiedlungen für den wachsenden Mittelstand. Diese Siedlungen waren nicht selten das Ergebnis schematischer Planungen und boten wenig Raum für individuelle Bedürfnisse oder soziale Vielfalt. Genau hier setzte die Kritik an: Unter anderem durch Vertreter:innen des Team X – einer neuen Generation von Architekt:innen, deren Positionen wir vertieft diskutieren werden.
Wir analysieren zeitgenössische und aktuelle Projekte, die exemplarisch für die Suche nach neuen Wohnformen stehen – Projekte, die sich mit sich wandelnden Lebensrealitäten auseinandersetzen und die Beziehung zwischen Individuum, Gemeinschaft und gebauter Umwelt neu denken.
Georges Perecs Roman Les Choses verdeutlicht, wie eine konsumorientierte Gesellschaft das individuelle Streben nach Glück und Identität prägt. Perec macht deutlich, in welchem Ausmass persönliche Wünsche und Selbstbilder durch gesellschaftliche Normen, Erwartungen und Konformitätsdruck beeinflusst werden.
Diese Fragen spiegeln sich auch im Wohnungsbau der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider – dem Fokus dieser Vorlesung. In Europa, wie auch in der Schweiz, war diese Epoche von starkem wirtschaftlichem Wachstum und intensiver Bautätigkeit geprägt. Vor allem an den Stadträndern entstanden zahlreiche, häufig standardisierte Grosswohnsiedlungen für den wachsenden Mittelstand. Diese Siedlungen waren nicht selten das Ergebnis schematischer Planungen und boten wenig Raum für individuelle Bedürfnisse oder soziale Vielfalt. Genau hier setzte die Kritik an: Unter anderem durch Vertreter:innen des Team X – einer neuen Generation von Architekt:innen, deren Positionen wir vertieft diskutieren werden.
Wir analysieren zeitgenössische und aktuelle Projekte, die exemplarisch für die Suche nach neuen Wohnformen stehen – Projekte, die sich mit sich wandelnden Lebensrealitäten auseinandersetzen und die Beziehung zwischen Individuum, Gemeinschaft und gebauter Umwelt neu denken.
1 Sabine Kraft: Eingeübtes Wohnen. In: ARCH+ 176/177 Wohnen (Mai 2006), S. 48-50. S.50