Seminar 1:
LAND FOR LIVING
PROF. Angelika Juppien und Gäste
Einleitung / Einführung
«I can definitely live without a car but without using land I can’t live.»
Der Politiker Hans Jochen Vogel bringt es auf den Punkt. Kein Wohn- und Lebensraum ohne Boden. Boden ist die Lebensgrundlage für Menschen und für alle anderen Lebewesen. Wir brauchen Boden zum (Über-)leben, für unsere Tätigkeiten und auch zunehmend für die Regulierung des Klimas. Boden ist existenziell, steht jedoch nicht unbegrenzt zur Verfügung.
Gerade deshalb ist die Debatte um eine gerechte Boden- und Wohnungspolitik die Schlüsselfrage unserer Zeit. Mieten, Wohnungsnot, Stadtentwicklung, Landver- und gebrauch sind brisante und vieldiskutierte Themen. Denn der Umgang mit dem Boden gibt vor, wie sich eine Gesellschaft entwickelt. Das haben schon zahlreiche Denker und Ökonomen vergangener Jahrhunderte erkannt. So haben sich beispielsweise Adam Smith, John Stuart Mill oder Henry George intensiv mit der Bodenfrage beschäftigt und mit ihren Erkenntnissen Architekt*innen sowie Planende ihrer Zeit beeinflusst. Beispielhaft ist hier der Schweizer Architekt und Stadtplaner Hans Bernoulli zu nennen, der in der Einleitung zu seinem Buch Die Stadt und ihr Boden schrieb: «Mit dem Grund und Boden scheint etwas nicht in Ordnung zu sein, und aus irgendwelchen dunklen Gründen vermeidet alles, dieser Peinlichkeit nachzugehen.»
Die Feststellung Bernoullis nehmen wir im Seminar zum Anlass, uns dieser Peinlichkeit zu stellen und untersuchen, wie unsere Gesellschaft aktuell mit ihrem Grund und Boden umgeht. Wir fragen, welche Kräfte, Mechanismen und Vorstellungen auf unseren Umgang mit der raren Ressource Boden wirken. Wir lernen mögliche Lösungsansätze für ein aus dem Gleichgewicht geratenes System der Bodenwirtschaft kennen, das den Boden zunehmend zum Spekulationsobjekt macht. Und wir setzen uns mit bestehenden Modellen und Erfahrungen zum gemeinwohlorientierten Umgang mit Grund und Boden auseinander.
Grundlage für unser Diskussionen sind ausgewählte anregende Texte zur Bodenfrage und Vor-Ort Begehungen. Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft, Architektur, Forschung und der öffentlichen Hand stellen ihre Positionen vor und berichten über ihre Erkenntnisse und Erfahrungen. Ziel des Seminars ist, die aktuelle Debatte nachzuvollziehen und im besten Fall mit eigenen begründeten Positionen ideenreich und aktiv mitzugestalten. Denn schliesslich geht es nicht nur um die Wohnungsfrage, sondern ganz grundsätzlich um unsere Vorstellung von einer Gesellschaft, in der wir leben wollen.
Methode
Wir arbeiten im Seminar in vier Workshops. In drei der vier Workshops diskutieren wir – ergänzend zu den Inputs unserer Gäste – Texte zur Bodenfrage, die von jeweils einer Studierenden-Gruppe vorbereitet werden. Die Vorbereitung umfasst einen ca. 15-minütigen Input zu spezifischen Aspekten des jeweiligen Textes und die Moderation der anschliessenden Diskussion. D.h. die in den Workshops engagierten Studierenden sind für „ihren“ Workshop verantwortlich. Um eine fruchtbare und für alle interessante gemeinsame Diskussion führen zu können, ist die Lektüre der für den Workshop grundlegenden Texte für alle Seminarteilnehmenden Voraussetzung und Pflicht.
Ergänzend zur Vorbereitung eines Inputs und der anschliessenden Diskussion in einem der drei Workshops verfassen alle Seminarteilnehmenden eine individuelle schriftliche Reflektion zu Workshop 2 «Stadt Boden».
Workshop 1: Ware Boden
FREITAG 04.10.24
Gast: Prof. Dr. Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und ökologische Ökonomik, Hochschule Trier
Wir beginnen das Seminar mit der Geschichte des Bodeneigentums und beleuchten zentrale Begriffe und Zusammenhänge rund um die Bodenfrage. Dabei nehmen wir vertieft die Situation in der Schweiz in den Blick und fragen beispielsweise: Welche bodenpolitischen Akteur:innen zeigen sich? Wie und mit welcher Wirkung werden sie aktiv? Wann und wie wurde Boden zum Spekulations- und Anlageobjekt? Und welche Einflussfaktoren wirken auf Bodenpreise und welche Konsequenzen hat dies auf den Wohnungsmarkt und die Gesellschaft?
Unser Gast Prof. Dr. Dirk Löhr nimmt ökonomische Zusammenhänge und gesellschaftlichen Auswirkungen in den Blick, beleuchtet Hintergründe der Bodenfrage und diskutiert mit uns mögliche Lösungsvorschläge für ein System der Bodenwirtschaft, das aus der Balance geraten zu sein scheint.
Lektüre Vorbereitung Workshop 1 für alle:
- Gerhard Senft: «Freies Volk auf freiem Grund …? Das Bodeneigentum – Problemgeschichte und Theorieentwicklung». In: Karolin Mayer et.al. (Hg.): Boden für alle. Park Books 2020. S.24-49
- Gabriela Brönnimann, Interview mit Jacqueline Badran: «Die Politik behandelt den Boden wie Joghurt». In: Brigitta Gerber, Ulrich Kriese (Hg.): Boden behalten – Stadt gestalten. Verlag rüffer & rub. 2019. S.22-30
Workshop 2: Stadt Boden
FREITAG 25.10.24
Leitung: Spazierkünstlerin Marie-Anne Lerjen
In diesem Workshop nehmen wir die hochaktuelle bodenpolitische Position des Schweizer Städteplaners, Architekten und Theoretikers Hans Bernoulli (1876-1959) in den Blick. Bernoulli stellte die Forderung nach einer verantwortungsvollen Wohnraum- und Stadtplanung in den direkten Zusammenhang mit neuen Ansätzen zur Boden- und Geldpolitik. Mit seinem Anliegen, den Boden zu kommunalisieren, prägte er den Schweizer Wohnungs- und Siedlungsbau über Jahrzehnte entscheidend mit.
Gerade in Zeiten, in denen die Folgen von Spekulation um Boden wie Landschaftszerstörung oder Wohnungsknappheit allzu offensichtlich sind, haben Bernoullis Beiträge zur Bodenfrage wieder bzw. immer noch hohe Aktualität. Die 1946 erschienene Publikation «Die Stadt und ihr Boden» des Architekten Hans Bernoulli ist denn auch Grundlage für unseren gemeinsamen performativen Spaziergang mit dem Titel «Stadt Boden» mit der Spazierkünstlerin Marie-Anne Lerjen. Im Anschluss an den Spaziergang nutzen wir die Gelegenheit, das Genossenschaftsprojekt Kraftwerk 1 kennenzulernen.
Lektüre Vorbereitung Workshop 2 für alle:
- Sylvia Claus: «Hans Bernoulli, die Stadt, ihr Boden. In: Brigitta Gerber, Ulrich Kriese (Hg.): Boden behalten – Stadt gestalten. Verlag rüffer & rub. 2019. S. 218-226.
Workshop 3: Gemeingut Boden
FREITAG 15.11.24
Gast: Andreas Wirz, Architekt und Präsident von Wohnbaugenossenschaften Zürich
Wir knüpfen an Workshop 2 an, vertiefen Bernoullis Positionen zur Bodenfrage und diskutieren die Aktualität und Brisanz seiner Anliegen. Weiter fragen wir, wie unter demokratischen Verhältnissen Grund und Boden als Gemeingut behandelt werden kann und diskutieren Möglichkeiten und Grenzen des gemeinnützigen Wohnungsbaus in der Schweiz.
Wir werden das Konzept der «Wohnbaugenossenschaft» als den sogenannten «dritten Weg» zwischen Eigentum und Miete kennenlernen. Was genau unter diesem dritten Weg zu verstehen ist, mit welchen Instrumenten Genossenschaften versuchen, bezahlbare Wohn- und Gewerberäume zu sichern und das Geschäft mit dem knappen Boden einzudämmen – diesen Fragen geht Andreas Wirz in seinem Input nach.
Lektüre Vorbereitung Workshop 3 für alle:
- Hans Bernoulli: «Einem besseren Wohnungsbau entgegen». In: Vita Republica, 4 (1949), Nr. 1, S. 22-25
- Laura Weissmüller: «Der Wert des Bodens». In: Florian Hertweck (Hg.): Architektur auf gemeinsamen Boden – Positionen und Modelle zur Bodenfrage. Lars Müller Publishers. 2020. S.154 – 171
Workshop 4: Boden Politik
FREITAG 15.11.24
Gäste: Regula Küng, Leiterin Fachstelle Wohnraumentwicklung, Kantons- und Stadtentwicklung, Basel und Amelie-Theres Mayer, Projektleiterin bei Burckhardt Entwicklungen, Basel /Co-Leitung Master Kollaborative Raumentwicklung HSLU
Im vierten und letzten Workshop nehmen wir im Kontext der Bodenfrage Basler Akteur:innen und Vorbilder in den Blick und diskutieren mit unseren Gästen Erfahrungen und Learnings aus Sicht der Verwaltung und Politik. Wir lermen drei in Basel ansässige gemeinnützige Stiftungen kennen, die sich mit unterschiedlichen Akzenten für das Gemeingut Boden und leistbaren Wohnraum in ihrer Stadt und darüber hinaus einsetzen.
Mit der Annahme der Initiativen «Boden behalten – Basel gestalten» im Jahr 2016 und «Ja zum ECHTEN Wohnschutz» im Jahr 2021 setzte die Stadt Basel pionierhafte bodenpolitische Akzente. Amelie Mayer und Regula Küng skizzieren Wege und Strategien, die seitens Stadt und Kanton verfolgt werden, um leistbaren Wohnraum in Basel zu realisieren. Anhand konkreter Beispiele legen sie dar, welche Instrumente auf der kommunalen Ebene angewendet werden können und mit welcher Wirkung.
Lektüre Vorbereitung Workshop 4 für alle:
- Claudia Bosshardt: «Basler Bodenstiftungen – erfinderisch und erstaunlich erfolgreich». In: Brigitta Gerber, Ulrich Kriese (Hg.): Boden behalten – Stadt gestalten. Verlag rüffer & rub. 2019. S. 235-247.