Giornico ist ein kleines, unscheinbares Dorf nordöstlich von Biasca. Dort steht, abseits des Dorfkerns, ein monolithischer Bau aus Beton. Unscheinbar wächst der Bau förmlich aus dem Boden, fensterlos und karg. La Congiunta heisst der Bau, ein architektonisches Meisterwerk des Zürcher Architekten Peter Märkli. Er beherbergt etliche Werke des Schweizer Bildhauers Hans Josephson.

La Congiunta ist ein Ort, welcher sich ganz der Kunst verschreibt, man könnte sogar sagen, sich ihr unterwirft. Sie soll Raum bieten für die Skulpturen, Halbfiguren und Wandreliefs des Schweizer Künstlers Hans Josephson und nichts weiter. Peter Märkli entwarf mit dem Bau ein einfaches Gebäude, welches mit elementaren Teilen des Bauens, wie einem Boden einem Dach und Wänden, die Räume in sich einschliessen auskommt. Das alles gelingt ihm durch das präzise Komponieren von Gebäudeproportionen.

Von der Osteira zum Museum und wieder zurück.

Das Museum ist immer offen, und trotzdem ist nie jemand dort. Den Schlüssel für das Museum kann man sich in der Osteria im Dorf holen. Dort wird man aufgefordert, sich in das Gästebuch einzutragen. Dann kann man sich auf den nüchtern beschrifteten Weg begeben. Der Weg läuft entlang der Eisenbahnlinie, die sich durch das Tal schlängelt. Nach einem kurzen Fussmarsch, erfasst man ein erstes Mal den karg wirkenden Bau.

Abbildung 1: Blick auf La Congiunta

Keine Parkplätze, kein Souvenirshop und auch keine Sitzbänke sind zu sehen, nichts lässt darauf schliessen, dass dies ein Ort ist, den Besucher aus der ganzen Welt aufsuchen. Nähert man sich dem Bau, erkennt man die ungewöhnlichen Abmessungen des Gebäudes.
Knappe fünf Meter Breite stehen 45 Meter Länge gegenüber. Zudem erkennt man nun seitlich zum Gebäude stehend, dass der mittlere Haupttrakt in drei unterschiedlich hohe Kuben unterteilt ist.

Abbildung 2: Seitenansicht La Congiunta

Noch immer lässt das Gebäude keine Einblicke zu, kein Fenster, nicht einmal eine Türe ist zu sehen. Es scheint, als würde sich das Gebäude vom Weg abwenden. Traut man sich aber, um das Gebäude zu gehen, erscheint an der Nord-Fassade, einen halben Meter über Boden, eine verzinkte Metalltür.

Abbildung 3: Verzinkte Eingangstür

Ein einzelner in die Betonwand eingelassener Tritt führt hoch zur Tür. Auf einem kleinen Schild neben der Tür steht knapp die Telefonnummer der Osteira und dass man den Schlüssel doch bitte zurückbringen soll. Dann tritt man ein in die Hallen der Werke von Hans Josephson.

Abbildung 4: Enfilade durch das Museum

Im ersten, kürzesten, aber nicht niedrigsten Raum, erkennt man eine Enfilade, welche sich durch die drei Trakte des Baues erstreckt. Hat man hinter sich die Türe geschlossen, ist man allein, abgekapselt von der Aussenwelt. Die Augen müssen sich zuerst an den dunkleren Innenraum gewöhnen, denn es hat kein Kunstlicht. Man erkundet den Innenraum mit dem Gehör. Jedes noch so leise Geräusch wird von den harten Betonwänden reflektiert und verstärkt. Wenn sich die Augen an das diffuse Licht gewöhnt haben, erkennt man die grossen Wandreliefs an den Wänden. An der Decke erblickt man einen Lichtgaden, welcher das Licht diffus in die darunterliegenden Räume wirft. Die Plastiken werfen dadurch keinen einzigen Schatten und sind so in vollkommener Form zu bestaunen. Vom ersten Raum macht man sich auf in den zweiten, niedrigeren Raum. Es fällt auf, dass die Türöffnung nicht in der Mitte angelegt ist und man bemerkt die geschickt gesetzte Schwelle, die aus dem Boden ragt und die Räume zusätzlich abtrennt. Plötzlich wird der Innenraum dunkler, als hätte jemand das Licht gedimmt. Es war jedoch nur die Sonne, die kurz von einer Wolke bedeckt wurde – so stark ist das Gebäude durch den Lichtgaden, der sich über die ganze Länge des Baus erstreckt, mit der Aussenwelt verbunden. Im zweiten, länglichen Raum sind die Wände mit kleineren Reliefs bespielt. Man erkennt jetzt die Konstruktion im Lichtgaden, doch eine Durchsicht nach aussen gibt es nicht.

Abbildung 5: zweiter Raum

Im dritten Raum, der gleich lang ist wie der zweite und sogar noch höher als der erste, sind Halbfiguren auf Sockeln wie auch Wandreliefs Josephsons ausgestellt. Seitlich angegliedert an diesen Raum sind vier kleine Kabinette, welche erstmals eine 90° Wendung des Besuchers erfordern.

Abbildung 6: dritter Raum Halbfiguren & Durchgang in seitliche Kammern

In den Beichtstuhl ähnlichen Räumen kehrt man ein letztes Mal in sich und lässt das zenitale Oblicht auf sich und die Kunstwerke wirken. Nun, da man die einfache aber meisterhaft geschaffene Ausstellung durchwandert hat, macht man sich auf den Weg zurück, schliesst hinter sich die Türe, als wäre es sein Eigenheim, und bringt den Schlüssel zurück in die Osteira.

 

Literaturverzeichnis

[1] Hönig, Roderick: Dialog fürs Auge: ein Architekt, ein Künstler, ein Museum : La Congiunta ist ein Versuch der Architektur zur Kunst. Licht ist so wichtig wie Material und Raum. In: Hochparterre, 2012, Band 25, Heft 4, S. 14-17.
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[2] Hubeli, Ernst & Luchsinger, Christoph: La Congiunta, Museum in Giornico, 1992. In: Werk, Bauen+Wohnen Architekt, 1992, Band 79, Heft 12, S. 30-35.
aufgerufen von: https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=wbw-004%3A1992%3A79%3A%3A1189&referrer=search#1195

[3] Mack, Gerhard: Hans Josephson. Scheidegger & Spiess, 2005.

 

 

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Maeder, Nico: Blick auf La Congiunta

Abb. 2: Maeder, Nico: Seitenansicht La Congiunta

Abb. 3: Maeder, Nico: verzinkte Eingangstür

Abb. 4: Maeder, Nico: Enfilade durch das Museum

Abb. 5: Maeder, Nico: zweiter Raum

Abb. 6: Maeder, Nico: dritter Raum Halbfiguren & Durchgang in seitliche Kammern