Warum wird die Homeoffice-Empfehlung des Bundes so schlecht angenommen? Ein Stimmungsbild im November 2020

Eine wichtige Massnahme gegen die zweite Welle der Corona-Pandemie in der Schweiz ist die Empfehlung, wieder verstärkt im Homeoffice zu arbeiten. Bisher scheint diese Aufforderung aber weitgehend zu verpuffen, wie Messungen des Pendlerverkehrs zeigen. Die laufenden Interviews unseres Forschungsprojektes geben erste Ideen, woran das liegen könnte.

Meine Studierenden sind gerade mitten in ihrer empirischen Erhebung und haben in den letzten zwei Wochen zahlreiche Interviews mir Beschäftigten, Unternehmen und Organisationen in der Zentralschweiz zu deren Homeoffice-Erfahrungen geführt. Deshalb habe ich sie gefragt: Wie ist die aktuelle Stimmung unter den Leuten und in den Betrieben? Warum wird – entgegen der Empfehlung des Bundesrates – nicht wieder stärker auf Homeoffice gesetzt? Auch wenn die systematische Auswertung der umfangreichen Interviews noch aussteht, lassen sich erste Eindrücke jetzt schon festhalten.

Homeoffice als das neue Normal

Insgesamt kann man sagen, dass die Stimmung sich nicht grundsätzlich gegen Homeoffice gewendet hat, im Gegenteil: Viele Beschäftigte berichten von positiven Erfahrungen aus den letzten Wochen und Monaten – etwa davon, dass sie zuhause konzentrierter und produktiver arbeiten können, dass sie die Flexibilität in der Gestaltung des eigenen Alltages schätzen und mehr soziale Nähe innerhalb der Familie, Paarbeziehung oder Wohngemeinschaft erleben. Ähnlich positive Einschätzungen finden wir auch bei einem Teil der Vorgesetzten, bei denen der Wechsel ihrer Teams ins Homeoffice im Frühjahr offenbar erstaunlich reibungslos verlaufen ist.

Entscheidend im Hinblick auf die aktuelle Situation ist jedoch: Diese positiv eingestellte Gruppe ist nie wirklich aus dem Homeoffice zurückgekehrt. Sie haben typischerweise auch über den Sommer einen grossen Teil ihrer Arbeit von zuhause erledigt. Entsprechend gibt es bei dieser Gruppe wenig Anlass, jetzt sehr viel zu ändern.

Homeoffice als Ausnahmezustand

Daneben gibt es jedoch eine andere wichtige Gruppe, die das Homeoffice im Frühjahr stärker krisenhaft erlebt hat: Sie haben die sozialen Kontakte zu Kolleg*innen und Kund*innen im Geschäft vermisst, zuhause fehlte ihnen ein geeigneter Arbeitsplatz, die Technik streikte und es gab Vorgesetzte mit Angst von Kontrollverlust. Diese Gruppe war sehr froh, als sie im Frühsommer wieder (grösstenteils) ins Büro zurückkehren konnte. In den Augen dieser Beschäftigten, Vorgesetzten und Organisationen ist Homeoffice eine Notfallmassnahme, die nur im absoluten Ausnahmefall vorrübergehend möglich ist.

So wie die Politik ihre Homeoffice-Empfehlung aktuell kommuniziert, erreicht sie diese Gruppe nicht. Denn wenn gleichzeitig immer wieder betont wird, man wolle keinen Lockdown, dann ist das eine Doppelbotschaft, die diese Gruppe nicht versteht: Homeoffice und Lockdown sind für sie untrennbar miteinander verbunden. Das ist die Erfahrung, die sie aus dem Frühjahr mitgenommen haben. Daher sieht auch diese Gruppe aktuell wenig Anlass, ihr Handeln zu ändern, denn ein genereller Lockdown ist ja (noch) nicht da.

Insgesamt hat es also den Anschein, dass sich die Kluft zwischen denjenigen Unternehmen und Beschäftigten, die dem Homeoffice eher zugeneigt sind und jenen, die darin nur einen schlechten Ersatz im absoluten Notfall sehen, im Laufe der letzten Monate eher vertieft hat. Diese Diagnose passt auch recht gut zu den Mobilitätszahlen, die ich in meinem letzten Post analysiert habe: Die Trennung zwischen jenen Gruppen, die sich im Homeoffice ganz gut eingerichtet haben und jenen, die eine Rückkehr unbedingt vermeiden wollen, hat sich schon während und kurz nach dem Lockdown herausgebildet. Seit dem blieben die Lager recht stabil und sind für politische Apelle kaum erreichbar.

Allerdings handelt es sich hier um eine vorläufige und noch sehr grobe Klassifizierung, basierend auf ersten Eindrücken aus unseren Interviews. Die weitere Analyse wird zeigen müssen, ob es zwischen diesen beiden Extremen nicht noch andere Gruppen gibt, die durchaus zu mehr Homeoffice zu motivieren wären, wenn man sie nur richtig anspricht.

 

An dieser Recherche haben viele Studierende mitgewirkt. Namentlich erwähnen möchte ich: Elisa Driessen, Céline Krummenacher, Marjana Gjoka, Jessica Schlatter, Laura De Luca, Jessica Bättig, Yannick Zai, Corinne Michel, Damian Bürgi, Josua Wenger, Nicole Krause und Samuel Schürch.

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