Die Villa Garbald in Castasegna ähnelt viel mehr an ein italienisches Landhaus als den typischen Bürgerhäusern aus dem 19. Jahrhundert. (siehe Abb. 1) Entworfen wurde die Villa 1864 von dem deutschen Architekten Gottfried Semper. Die Bauträger der Villa waren der Zolldirektor Agostino Garbald und seine Ehefrau Johanna. Als Schriftstellerin war sie unter dem Pseudonym Silvia Andrea bekannt. Semper wurde von dem Paar direkt beauftragt. Bekannt ist Gottfried Semper auch für seinen Entwurf des ETH-Hauptgebäudes und der Sternwarte in Zürich. [1] Das einstige Wohnhaus wird, durch die der beiden Töchter gegründete Fondation Garbald, seit 17 Jahren als Studien- und Seminarzentrum genutzt. Im Jahr 2001 wurde durch diese Fondation, in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und dem Bündner Heimatschutz, ein Studienwettbewerb veranstaltet. Ziel des Wettbewerbs war es, aus dem Gebäude und dem Umland ein Ort zu schaffen für Projekte der Forschung, Kommunikation und Kultur sowie für kreative Ideen und regen Austausch. Den ersten Rang belegte das Architekturbüro Miller & Maranta aus Basel mit dem Projekt Roccolo.[2] Im Folgenden wird näher auf das bebaute Grundstück, die Nutzung der Gebäude und die Konstruktion des Roccolos eingegangen.
Lage
Im Bergell, am Fusse des Maloja Passes, in der letzten Schweizer Siedlung vor der Landesgrenze zu Italien, befindet sich die Ortschaft Castasegna. Die Ortschaft wird geprägt durch die massigen Engadiner Bauernhäuser und die kompakten Bürgerhäuser aus dem 19. Jahrhundert. [3]
Die Hauptstrasse führt weg vom letzten Schweizer Strassenkreisel in das etwas höher gelegene Castasegna. Das Grundstück der Villa Garbald befindet sich hangseitig nach der ersten scharfen Rechtskurve. Entlang der Strasse bildet eine Mauer mit herauswachsender, begrünter Pergola die Grundstücksgrenze, welche an ein Landgut in Italien erinnert. Auf dem Grundstück befinden sich die Villa Garbald, der Roccolo-Turm und ein Atelier im alten Schopf. Auf dem unregelmässigen Grundstück sind diese Bauten folgendermassen angeordnet: Die Villa steht im südöstlichen, untersten Bereich des leicht ansteigenden Grundstücks. Nördlich davon, direkt an der Grundstücksgrenze erhebt sich der Roccolo in die Höhe. Westlich von den beiden Gebäuden befindet sich der alte Schopf. Die drei Gebäude umgeben einen mittig platzierten Garten. Das Gebäude von Miller & Maranta fügt sich massstäblich, formal und farblich in die Umgebung ein. (siehe Abb. 2) Seine Wesensverwandtschaft macht ihn mit dem Dorf und Tal zu einem Einheimischen. Der Roccolo, welcher als Wohnturm genutzt wird, ist scharfkantig und verschwindet von weitem in dem Geflecht von Mauern und Dächern und Farben und Formen. [4]
Im Inneren des Roccolos windet sich der unregelmässige Grundriss um ein zentrales Treppenhaus. Die Gästezimmer mit angrenzendem Bad sind dynamisch auf versetzten Stockwerken um dieses Treppenhaus angeordnet. (siehe Abb. 3) Die spartanisch aber zeitgemäss ausgestatteten Zimmer bieten Ausblicke in die nahe Umgebung und die Landschaft. (siehe Abb. 4) Podest um Podest führt die Treppe an den Zimmern vorbei und endet schliesslich in einem Kaminzimmer im 4. Obergeschoss. [5]
Nutzung
Mit der Renovation der Villa wurde das Wohnhaus weitgehend umgenutzt, aber farblich wieder in den Ursprungszustand zurückgeführt. Der grösste Eingriff war, das alte Waschhaus mit der Speisekammer zu einem Speisesaal umzubauen. Ein grosser, hölzerner Esstisch lädt nun zu gemeinsamen Essen ein. Wohn- und Esszimmer dienen heute als Salon und Bibliothek. In den oberen Geschossen befinden sich vier Gästezimmer mit je einem Bad. Ein besonderes Element bildet die sogenannte «Solaio». Dies ist ein offener Dachstock, welcher früher als Trockenboden
und Speicher diente. [6]
Konstruktion
Der Entwurf von Miller & Maranta wurde konkret auf den Ort entworfen, welcher durch die von Gottfried Semper errichtete Villa Garbald geprägt wurde. Wie auch die Villa, weist der Neubau motivische und materielle Referenzen zum baulichen Umfeld auf. Und dennoch bieten beide Gebäude ein eigenständiges Bild. [7]
Der Neubau wurde, wie es für Castasegna typisch ist, durch ein Näherbaurecht an die Grenze des Grundstücks platziert. (siehe Abb. 5) Das Herauswachsen aus der Gartenmauer und der leicht geknickte Grundriss sind abgeleitet von dem einstigen Holzschopf. Die Farbigkeit und die schroffe Textur der Fassade erinnern an ein Bruchsteinmauerwerk. Die Aussenwände bestehen aus Ortbeton mit Innendämmung, mit grünlich gefärbtem Zement und Flusskieseln aus der Engadiner Maira. Die Fassade wurde nachträglich mit Wasserhochdruck behandelt, dass die Steine freigelegt wurden.
Miller und Maranta wollten mit dem Neubau respektvoll mit der Villa Garbald umgehen und nicht mit Form, Material und Ausdruck in Konkurrenz treten. Sie schufen mit dem Roccolo ein eigenständiges Bild. [8]
Endnoten
[1] Gantenbein 2013, S. 126.
[2] Schmid 2002, S. 17.
[3] Bresan 2019, S. 57.
[4] Caviezel 2004, S. 49.
[5] ebd.
[6] Bresan 2019, S. 58.
[7] Hildebrand 2004, S. 10.
[8] Hildebrand 2004, S. 24.
Literaturverzeichnis:
Bresan, Uwe: Villa Garbald. In: AIT, 2019-10.
Caviezel, Nott: Eine Zeitreise. In: werk, bauen + wohnen. 2004-11.
Gantenbein, Köbi, Pradal, Ariana, Ragettli, Jürg & Feiner, Ralph: Bauen in Graubünden. Zürich: Hochparterre. 2013.
Hildebrand, Sonja: Villa Garbald. Zürich: gta Verlag. 2004.
Schmid, Ina: Villa Garbald, Castesegna. In: Schweizer Fachjournal für Architekturwettbewerbe. 2002-1.
Abbildungsverzeichnis:
Abb. 1: Grundstück Garbald. Aufgerufen von www.Garbald.ch (11.06.2021).
Abb. 2: Castasegna. Aufgerufen von www. divisare.com. (11.06.2021).
Abb. 3: Grundriss EG + 1.OG. Aufgerufen von www.hicarquitectura.com. (11.06.2021).
Abb. 4: Gästezimmer im Roccolo. Aufgerufen von: www. divisare.com. (11.06.2021).
Abb. 5: Roccolo Nordostfassade. Aufgerufen von www.Garbald.ch. (11.06.2021).
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