Der Kritische Regionalismus ist eine architektonische Richtung, bei der im Entwurfsprozess die regionalen Besonderheiten mit einbezogen werden. Er wird als Gegenbewegung zum Internationalen Stil betrachtet und strebt dabei nach der Relokalisierung der Architektur.
Der bekannteste Vertreter des Internationalen Stil ist Le Corbusier. Seine Werke orientieren sich an seinen persönlichen Grundsätzen und haben dadurch einen starken Wiedererkennungswert. In den untenstehenden Abbildungen ist das Doppelhaus von Le Corbusier in Stuttgart dem Haus Gugalun von Peter Zumthor in Versam gegenübergestellt.
Definition
Die Ausprägungen des kritischen Regionalismus streben in ihrer Architektur nach dem Bezug des geografischen sowie kulturellen Kontextes und binden die dortigen Traditionen im Entwurf mit ein. Beim Kritischen Regionalismus geht es nicht um das Kopieren der einheimischen Architektur, sondern vielmehr darum, zwischen der globalen und der lokalen Architektursprache zu vermitteln.
Der Kritische Regionalismus lehnt den Individualismus und die Verzierung der postmodernen Architektur ab. Dabei wird der Mangel an Identität des Internationalen Stils sowie dessen Ortsunabhängigkeit kritisiert. Daher wird im Kritischen Regionalismus die Moderne wie auch die Postmoderne als problematisch empfunden. [1]
Geschichte
Der Ausdruck des «Kritischen Regionalismus» wurde erstmals 1978 von den Architekturtheoretikern Alexander Tzonis und Liane Lefaivre verwendet. [2] Die beiden wollten den Begriff des Regionalismus von seiner sentimentalen Auffassung befreien und führten deshalb den neuen Begriff des Kritischen Regionalismus ein. Später wurde die Definition vom Historikertheoretiker Kenneth Frampton in seinem Buch «Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte» neu interpretiert. [3]
Merkmale
Nach Alexander Tzonis und Liane Lefaivre soll der Kritische Regionalismus regionale Elemente bewusst übernehmen, um architektonischen Mustern, die man als universalisierend, fremd und unterdrückend empfinden würde, zu widerstehen. Er soll aber auch auf die Gegebenheiten eingehen, dabei stets die lokalen Formen hinterfragen, um neue Ansätze zu generieren.
Kenneth Frampton hingegen hat in seinem Buch den Begriff mit seinen Merkmalen in folgenden sieben Punkten zusammengefasst: [4]
- Der Kritische Regionalismus steht dem Prozess der Modernisierung zwar kritisch gegenüber, verzichtet aber nicht auf die emanzipatorischen und progressiven Aspekte des modernen architektonischen Erbes.
- Der Kritische Regionalismus manifestiert sich als Architektur, die weniger das Gebäude als freistehendes Objekt betont als den Ort, der durch das Bauwerk entsteht.
- Der Kritische Regionalismus fasst das Bauen als tektonisches Faktum auf und nicht als szenographische Episoden.
- Der Kritische Regionalismus ist regional, da er Topographie, Klima und Licht des Ortes berücksichtigt.
- Der Kritische Regionalismus legt Wert auf Taktilität, nicht nur Visualität (Wahrnehmungen wie Licht, Wärme, Kälte, Feuchtigkeit, Gerüche und Geräusche werden ebenfalls berücksichtigt.)
- Der Kritische Regionalismus will eine zeitgenössische am Ort orientierte Kultur pflegen ohne hermetisch zu werden, weder auf formaler noch auf technologischer Ebene.
- Der Kritische Regionalismus floriert vor allem in jenen kulturellen Zwischenräumen, die sich in irgendeiner Weise dem Drang nach universaler Zivilisation zu entziehen vermögen.
Die Merkmale zeigen, dass sich der Kritische Regionalismus nicht nur landschaftlich-ästhetisch in die Umgebung einpassen will, sondern vor allem kulturell-gesellschaftlich in den Kontext der Region einbinden will.
Vertreter im Graubünden und Tessin
Die bekanntesten Vertretenden im Graubünden und Tessin sind Mario Botta, Peter Zumthor, Luigi Snozzi und Gion A. Caminada.
Auf der Abbildung 3 ist die Erweiterung des Schulzentrum Ex Convento in Monte Carasso ersichtlich, die von Luigi Snozzi geplant wurde und sich dem Bestand angliedert, aber ablesbar gemacht wird, was angebaut wurde.
Die nächste Abbildung zeigt die Kapelle Sogn Benedegt von Peter Zumthor, die er 1988 in Sumvitg realisierte. Durch die Form hebt sich die Kapelle von den umliegenden Häuser ab, passt sich aber besonders durch die Materialisierung der Umgebung an.
Die Fassadenansicht zeigt das Gasthaus am Brunnen in Valendas, welches 2014 von Gion A. Caminada renoviert wurde und mit einem Anbau erweitert wurde. Es ist klar ablesbar, welcher Teil angebaut wurde, dieser nimmt die Form des Stalls auf, der früher dort stand und passt sich nicht nur ästhetisch mit der Kalkfassade, sondern auch soziologisch der Umgebung an.
[1] Hisour, 2021
[2] Ammann, Iris, 2017, S. 39
[3] Ammann, Iris, 2017, S. 39
[4] Ammann, Iris, 2017, S. 39
Literaturverzeichnis
Hisour: Kritischer Regionalismus. O.D.. Aufgerufen von https://www.hisour.com/de/critical-regionalism-28195/ (11.06.2021).
Ammann, Iris: Der kritische Regionalismus- eine Kompromisslösung? Eine Analyse im Graubünden der 1990er Jahre [Elektronische Ausgabe]. (Vertiefungsarbeit). Hochschule Luzern – Technik & Architektur, 2017. Aufgerufen https://issuu.com/ma-arch/docs/fs17_semesterreader_digital-klein/39 (07.06.2021).
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Twitter: ArcDog. 2018. Aufgerufen von https://twitter.com/arcdogcom/status/954378360515452928 (11.07.2021)
Abb. 2: Wolf, Thomas: Le Corbusier Haus in Stuttgart. O.D.. Aufgerufen von https://wuestenrot-stiftung.de/doppelhaus-le-corbusier-stuttgart/ (11.07.2021)
Abb. 3: Susanna Koeberle, Susanna: Snozzi-Momente in Basel. 2018. Aufgerufen von https://www.swiss-architects.com/de/architecture-news/hintergrund/snozzi-momente-in-basel (11.07.2021)
Abb. 4: Neue Zürcher Zeitung [NZZ], Werke von Perter Zumthor. 2013. Aufgerufen von https://www.nzz.ch/feuilleton/bildstrecke/werke-von-peter-zumthor-1.18071088 (11.07.2021)
Abb. 5: Schneider, Lena, 2021
Schreiben Sie einen Kommentar