Hans Josephsohn ist ein Name, der erst Ende der 90er Jahre an Bekanntheit gewonnen hat. Heute gehört der im Jahr 2012 verstorbene Künstler zu den wichtigsten Bildhauern der Schweiz. Auch international wecken seinen Skulpturen Interesse.

Betritt man das Kesselhaus in St. Gallen, wo sich seit 2004 der Nachlass von Hans Josephsohn befindet und verwaltet wird, steht nicht der eindrückliche 12 Meter hohe Raum im Mittelpunkt, sondern die schlichten Skulpturen aus Gips und Bronze. Trotz ihren geringen Grössen im Verhältnis zum ganzen Raum, strahlen sie durch ihre Masse eine Präsenz und Standfestigkeit aus (siehe Abb. 1). [1] Hinter der reduzierten Kunst von Josephsohn, der sehr zurückgezogen in Zürich lebte, widerspiegelt sich jedoch ein Teil seiner Geschichte.

Abb. 1: Altes in neuem Glanz: In der ehemaligen Textilfärberei findet sich heute der Nachlass von Josephsohn. (Foto: Stefanie Blöck)

Alles begann im Jahr 1920, als Josephsohn als Sohn von jüdischen Kaufleuten im Ostpreussischen Königsberg zur Welt kam. Schon früh hat er die Leidenschaft zur Bildhauerei entdeckt. Auf Grund des aufstrebenden Nationalsozialismus konnte er nur mit Müh und Not seinen Schulabschluss machen. Angesichts der prekären Lage zog es ihn nach Florenz, um dort Kunst zu studieren. Doch auch in Italien hielt es ihn 1938 auf Grund der strengen Ausnahmegesetze gegen ausländische Juden nicht lange und er flüchtete in die Schweiz. [2]

In der Schweiz war er unter ärmlichen Verhältnissen Schüler des bekannten Bildhauers Otto Müller. Nach rund vier Jahren bezog er dann sein erstes eigenes Atelier und unternahm Reisen nach London und Italien. Er konnte sich jedoch nie für das moderne Denken der Avantgarde begeistern und kritisierte immer wieder einige der bekanntesten Künstler, wie Picasso, Henry Moore oder auch Henry Matisse. Er blieb über die Jahre seiner Einstellung gegenüber der Kunst treu. Trotzdem fanden seine Skulpturen in der Öffentlichkeit keine grössere Beachtung. [3]

Abb. 2: Blühendes Interesse: Der junge Hans Josephsohn während seiner Lehrzeit bei Otto Müller (1941). (Foto: Régine Heim)

Doch seine Art des Arbeitens unterscheidet sich von anderen Bildhauern, wie zum Beispiel die von Alberto Giacometti. Anstelle von Abtragen des Materials fügte Josephsohn seinen Skulpturen Masse hinzu. Wenn ihm Proportionen nicht passten, dann fügte er der Büste einfach an der gewünschten Stelle Gips hinzu. Das war auch einer der Gründe, weshalb er sich für das Arbeiten mit Gips entschieden hat. [4|

Abb. 3: Verschieden und doch gleich: Egal in welcher Position der Mensch dargestellt ist, er wirkt immer standhaft, ruhig und zeitlos. (Foto: Stefan Altenburger)

Im Jahr 1992 widmete ihm sein Freund, der Architekt Peter Märkli, das Museum La Congiunta in Giornico, Tessin. Es war eines der ersten Museen europaweit für einen noch lebenden Künstler. Darin befinden sich rund 30 Skulpturen und Reliefs von Josephsohn (siehe Abb. 4). [5|

Seine Skulpturen, ob stehend, sitzend oder liegend, zeigen immer den menschlichen Körper in einer reduzierten Art. Seine Modelle sind oftmals Personen aus seinem näheren Umfeld, wie zum Beispiel seine Lebenspartnerinnen. Der Fokus soll nicht auf die äusseren Werte des Menschen gelegt werden, sondern vielmehr auf die Flüchtigkeit unseres Lebens hinweisen. Dieser Blickwinkel lässt sich auch auf Josephsohn übertragen, der in seiner Jugend selbst miterleben musste, wie flüchtig ein Leben sein kann. [6, 7]

Abb 4: Raum zum Wirken: Rund 30 Kunstwerke finden im reduzierten Betonbau Platz.

Auch wenn die Kunst von Hans Josephsohn nicht den gewöhnlichen Regeln der Bildhauerei folgt und bereits einige Jahre auf dem Buckel hat, spricht sie auf eine ganz eigene, reduzierte Art. Sie wirkt durch die abstrakte Erscheinung heute noch modern und zeitlos. Dadurch weckt sie immer noch das Interesse einer breiten Masse. Zurecht wird seiner Kunst, wenn auch etwas verspätet, in grösseren, internationalen Museen eine Bildfläche geschaffen. [8]

Abb 5: Leidenschaft im Atelier: Auch im Alter ist Hans Josephsohn von der Bildhauerei begeistert, wie am ersten Tag (ca. 2003). (Foto: Katalin Deér)

 

 

[1] Kittelmann & Lehner, 2008, S. 23

[2] Mack, 2005, S. 22-32

[3] Mack, 2005, S. 43, 63-74

[4] Mack, 2005, S. 195, 218

[5] Mack, 2005, S. 233-239

[6] Kittelmann & Lehner, 2008, S. 180 – 181

[7] Keller & Küster, 2020, S. 50 -52

[8] Pohle, 2014

Literaturverzeichnis

– Keller, Claudia & Küster, Bärbel: Gestundete Zeit – 100 Jahre Hans Joephsohn. Zürich: Scheidegger & Spiess AG, 2020.

– Kittelmann, Udo & Lehner, Felix: Kesselhaus Josephsohn. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König, 2008.

– Mack, Gerhard: Hans Josephsohn. Zürich: Scheidegger & Spiess AG, 2005.

– Pohle, Julika: Menschen werden zu Findlingen. In: Die Welt, 06.04.2014. Aufgerufen von https://www.welt.de/print/wams/hamburg/article126613266/Menschen-werden-zu-Findlingen.html (15.06.2021).

Abbildungsverzeichnis

Titelbild: Kittelmann, Udo & Lehner, Felix: Kesselhaus Josephsohn. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König, 2008, S. 37.

Abb. 1: Blöck, Stefanie, 2021

Abb. 2: Mack, Gerhard: Hans Josephsohn. Zürich: Scheidegger & Spiess AG, 2005, S. 64.

Abb. 3: Keller, Claudia & Küster, Bärbel: Gestundete Zeit – 100 Jahre Hans Joephsohn. Zürich: Scheidegger & Spiess AG, 2020, S. 95.

Abb. 4: Kesselhaus Josephsohn: La Congiunta, Haus für Reliefs und Halbfiguren von Hans Josephsohn, Giornico. o.D. Aufgerufen von https://www.kesselhaus-josephsohn.ch/De/Events/7/1992_La_Congiunta (15.06.2021).

Abb. 5: Deér, Katalin: Schau mal genau hin! Sonst geht es Dir wie meist: Du verpasst die Welt. In: NZZ, 06.10.2020. Aufgerufen von https://www.nzz.ch/feuilleton/hans-josephsohn-der-grosse-entschleuniger-lehrt-uns-innehalten-ld.1578641?reduced=true (15.06.2021).