Im Herbstsemester 2021 startete der Minor in Digitalisierung und Soziale Arbeit. Im ersten Modul wurden die ethischen und rechtlichen Konsequenzen der gesellschaftlichen Veränderungen durch die Digitalisierung thematisiert. Während bei den rechtlichen Fragen schon recht konkrete Gesetzesprojekte vorliegen – zum Beispiel beim Datenschutz – ist die Sache bei der Ethik noch wenig übersichtlich. Insbesondere ist nicht immer klar, ob es eine digitale Ethik braucht oder ob die Ethik nicht eigentlich genügt, um auch digitale Fragestellungen damit zu beantworten. Zwar ist es in Hinblick auf spezielle neue Fragestellungen, die sich mit der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz ergeben, plausibel, dass es neue ethische Überlegungen braucht – so etwa bei den Fragen, ob Roboter Rechte haben sollen oder wie es um die Verantwortung von selbstfahrenden Autos steht.
Doch wie steht es in Hinblick auf die Veränderungen der Lebenswelt durch die Digitalisierung in Hinblick auf Klient*innen der Sozialen Arbeit? Braucht es hier eine neue Ethik oder genügen die bestehenden berufsethischen Grundlagen der Sozialen Arbeit?
Diese Frage kann nur mit einem Blick auf die Ethik der Sozialen Arbeit selbst beantwortet werden. Die Ethik der Sozialen Arbeit versteht sich als eine angewandte Ethik. Das heisst, dass in einer solchen Ethik neben den normativen Überlegungen zu Werten und Prinzipien auch spezifisches Bereichswissen nötig ist. Genau in diesem Bereichswissen braucht es zusätzliche Überlegungen für eine Ethik der Sozialen Arbeit, die auch den digitalen Wandel verstehen und mitgestalten kann. Meines Erachtens genügt die Ethik der Sozialen Arbeit auf der Ebene der Prinzipien und Werte, wie sie im Berufskodex vorliegt, vollauf. Es braucht keine neue Prinzipien und Werte. Es braucht jedoch Überlegungen zur Veränderung der Lebens- und Arbeitswelt der Klient*innen und von hier aus dann Überlegungen zur Arbeitsweise der Sozialen Arbeit, damit die zentralen Ziele des Wohlergehens, der Selbstbestimmung, der Teilhabe usw. realisiert werden können.
Die Soziale Arbeit hat sich schon immer auf neue Herausforderungen eingelassen und sie muss auch heute weiterentwickeln und den digitalen Wandel in die konzeptionellen und methodischen Überlegungen einbeziehen. Als Beispiel mag etwa die Frage dienen, ob die Soziale Arbeit mit Jugendlichen auch im digitalen Raum noch aktiver werden soll oder nicht und wenn ja, wie das konkret zu geschehen hat.
In den Diskussionen im Modul und in den Reflexionstexten, die als Leistungsnachweise im Modul eingereicht worden sind, zeigten sich unterschiedliche Positionen und Argumente, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Dabei zeigt sich, dass die Einschätzung der Risken und Chancen der digitalen Veränderungen einen gewichtigen Einfluss auf die Einschätzung der Rolle der Sozialen Arbeit hat. Wer in der Digitalisierung der Lebenswelt mehr Risiken als Chancen sieht, wird anders mit diesen digitalen Entwicklungen umgehen, als jene, die mehr Chancen als Risken sieht.
Daher wird es für die Soziale Arbeit von grosser Wichtigkeit sein, sich fundiert über Chancen und Risiken auszutauschen, damit ein verantwortungsvoller Umgang mit diesen Entwicklungen möglich ist
Prof. Dr. Peter A. Schmid