Das Kapuzinerkloster befindet sich in Sion, der Hauptstadt des Kanton Wallis. Das Wallis liegt im Süden der Schweiz, inmitten der Alpen. Sion erstreckt sich am Fusse der beiden Felsen Valere und Tourbillon, wo Schloss und Ruine über der Stadt thronen. Gleich darunter befindet sich die mittelalterliche Altstadt, welche in den vergangenen Jahren sanft renoviert worden ist.
Die Klosteranlage befindet sich im Norden von Sion. Der Bahnhof,
das Zentrum und die Altstadt erstrecken sich südlich des Kapuzinerklosters. Nördlich des Klosters, befinden sich einzelne Wohngebäude und anschliessend grenzt das Gebiet an die Weinberge.
Daher rückt der städtische Kontext in den Hintergrund.
Das Kapuzinerkloster wurde im 17 Jahrhundert erbaut. Hier ein Aquarell Gemälde ausgeführt vom Kapuziner Meinrad Hug im 19. Jahrhundert. Es zeigt die damaligen, vorhandenen Bauten mit dem Klostergarten.
Oben: Die Südfassade des Kapuziner Klosters um ca. 1920.
Unten: Südansicht nach 1930, es gab nach Westen eine Erweiterung, sowie die Aufstockung des Refektoriums Flügel im Süden durch den Architekten Alphonse de Kalbermatten. Dabei versuchte Kalbermatten den Charakter des alten Klosterbaus aus dem 17. Jahrhundert zu bewahren.
Luftaufnahme des Klosters im Jahr 1935. Das Kloster steht noch frei von jeglichen Bauten in der Nachbarschaft. Einzig der Stadtfriedhof auf der Westseite ist schon zu sehen.
1948 wurde die Klosterkirche durch ein Erdbeben beschädigt und anschliessend durch Fernand Dumas (einer der Erbauer der Universität Fribourg) umfassend renoviert. Bereits zu dieser Zeit war das Kloster Schauplatz einer, in kirchlichen Kreisen umstrittenen, Erneuerung gewesen. Es sollte Kunst von europäischen Künstlern in den Umbau integriert werden. So erhielt Gino Severini, der Meister des italienischen Futurismus, den Auftrag, das grosse Wandbild über dem Hauptaltar zu gestalten, welches auch heute noch sichtbar ist. Es ist in einem dekorativen und expressionistisch durchwühlten Trecento Stil ausgeführt.
Der Architekt Mirco Ravanne (im Vordergrund), aus Venedig, lebte 15 Jahre lang im Wallis. Im Gegensatz zu Kalbermatten entwarf er einen säubernden Eingriff in das Bestehende mit einer zeitgemässen Lösung. Er wollte dabei nicht den Gesamtcharakter des Klosters bewahren. Mirco Ravanne war in der glücklichen Lage, dass er die Unterstützung des Guardian des Klosters Père Damien (im Hintergrund) erhielt. So realisierte er den Umbau des Kapuzinerklosters in den Jahren 1964-1968.
Anordnung der Klosteranlage im Grundriss:
1. Klosterkirche
2. Mönchschor mit Zellenaufbau
3. Erweiterung des Mönchschors (1968)
4. Sakristei
5. Kreuzgang
6. Bibliotheksflügel
7. Südflügel mit Refektorium
8. Ostflügel
9. Kapuzinerfriedhof
Um auf die gestalterischen Absichten des Architekten eingehen zu können, mussten Kirche und Klosterbauten zuallererst in ihrem architektonischen Charakter neu definiert werden. Die Klosteranlage, d.h. deren bestehenden (vor 1930 vorhandenen) Teile, werden als Rohmaterial der neuen Anlage deklariert. Daher wurde der Verputz entfernt, damit das rohe Bruchsteinmauerwerk zum Vorschein kam.
Nur an einer Stelle der Anlage, im Kreuzgang, ist der Verputz noch geduldet, sogar noch durch rote Färbung hervorgehoben. Allerdings an einem anscheinend zufällig gewählten Bauteil. Es dient als Erinnerung an die ehemals vollständig verputzten Klosterbauten und überlebt so als Zitat innerhalb der neu definierten historischen Baumasse.
Die An- und Aufbauten, werden dominiert durch zwei Geometrien, welche eng miteinander verschränkt sind. Diese verleihen dem Eingriff seinen architektonischen Ausdruck. An den Süd- und Ostfronten des Baus, tritt vor allem ein orthogonales Skelett in Erscheinung. Ringsum überstülpt dieses Baukastensystem den Altbau und dient ihm als eine Art Krone. Die Umrisse des alten Klosters sind an der Mauerstruktur des Erd- und ersten Obergeschosses der Südfassade ablesbar.
Die paarweise gruppierten Zellen, sind das Grundmodul des Skelettrahmens. Das Aufriss System wird durch die Brise-Soleil festgelegt. Die Brüstungen der äusserst knappen Balkone gegen Süden, sind als Betontafeln ausgebildet, diese definieren im Wechsel mit den kleinen Blenden oberhalb der Balkontüren den geschmeidigen artikulierenden Rhythmus der Fassade.
Das Skelett an der Fassade ist, der Herkunft und der Dimension nach, corbusianisch und erinnert an sein Werk La Tourette.
Diese Betonelemente an der Fassade präsentieren sich, als Licht- und Sonnenfilter. Sie sind an der Stirnseite, gegen Süden, relativ offen und nach Norden und Osten hin relativ geschlossen. Dort, wo Korridore liegen, begnügt sich die Architektur damit, ins Land hinauszublinzeln.
Das Kloster Sainte-Marie de La Tourette in Éveux bei Lyon wurde 1956 bis 1960 von dem Architekten Le Corbusier entworfen. Es gilt als einer der zentralen Bauten des Brutalismus.
Der neue Ostflügel, erhebt sich ohne massiven Sockel, über den Klostergarten. Hier wird das Baukastensystem als offenes Stützensystem herausgelöst. Man denkt an La Tourette, wonach es sich dabei um eine geländebedingt „von oben nach unten“ gebaute Architektur handelt. Hier, wie auch in La Tourette, ist die Stützenlandschaft zuallererst architektonische Demonstration, auch wenn ihr Ravanne eine praktische Funktion als mehrgeschossiges System vom Ambulatorien zu geben versuchte.
Aufriss der Südfassade, Architekt Mirco Ravanne, Mailand/Venedig.
Detailaufnahme der Fassadenelemente aus Sichtbeton.
Detail Boden/Decke mit Befestigung der Betonelemente an der Aussenfassade.
Ein konstruktives Beton-Faltenwerk, wurde für die Dachaufbauten entwickelt, welches auch in anderen Partien des Baus eingesetzt wurde, wie z.B. in den „Passarellen“ des Kreuzgangs oder in dem neuen Chorabschluss, und zu einer räumlich eindrucksvollen Ausformulierung gelangt.
Das Faltwerk Dach als oberer Abschluss des Südtracks.
Mönchschor. Blick in die Erweiterung von 1968 mit rautenförmigem transparentem Bild vom Künstler Alberto Buri.
Kreuzgang: Links überhöhter Chor mit Anbau in rotem Putz und im Hintergrund der Bibliotheksflügel.
Antoni Tapiè: Fensterbild in der Sakristei.
Klosterkirche mit Zellenaufbau und Dachreiter. Im Vordergrund die Sakristei.
Oben: Das Refektorium (Speisesaal) des Klosters im Jahr 1935.
Unten: Der Speisesaal Heute. Die Holzbalken an der Decken sind noch Original und ca. 400 Jahre alt, allerdings dienen sie heute nur noch zur Dekoration, die Lasten werden durch die Betondecke, welche beim Umbau 1966 eingebaut wurde, getragen.
Die zwingende tektonische Rationalität der Intervention allein genügt nicht, um den Charakter dieses Bauwerks festzulegen. Seine Qualitäten liegen im Detail. In der Dimensionierung, Proportionierung und im farbigen Spiel der Wohn- und Arbeitsräume, kurz, in der Innenarchitektur.
Mirco Ravanne kümmerte sich selbst um das Design der Profile, Geländer, Bilderrahmen und der genialen Schiebevorrichtung der Bücherregale in der Bibliothek bis hin zur kostbaren Gestaltung des Mobiliars.
In der Schweiz gibt es kaum Vergleichbares. Schon gar nicht innerhalb der corbusianischen Tradition, wo die Innenarchitektur vor lauter Sichtbeton im Allgemeinen eine untergeordnete Rolle einnahm.
Auch die Bänke in dem Mönchschor wurden vom Architekten Ravanne entworfen.
Der Bauplan aus dem Jahr 1964 zeigt das 3.Obergeschoss mit den Zimmern für die Kapuziner. Damals wurden noch 65 Zellen für die Kapuziner geplant und umgesetzt, von denen sind allerdings heute nur noch 5 in Gebrauch, da die Anzahl Kapuziner in den letzten Jahren massiv zurückgegangen ist.
Beispiel einer ursprünglichen Zelle mit Waschbecken, Bett, Pult und Regalen. Die Stühle und das Regalsystem sind auch von Ravanne entworfen worden.
1990 wurde der Ostflügel und das 3./4./5.Obergeschoss des Südflügels umgebaut, heute beherbergen diese Teile eine Stiftung, die mit psychisch Kranken arbeitet. Die fünf verbliebenen Kapuziner haben ihre Zimmer im 2.Obergeschosses des Südtrakts. Zwei kleine Zellen, wurden immer zusammengenommen und an die heutigen Bedürfnisse angepasst. Pascal Varone, Architekt aus Sion, hat sich dieser Aufgabe angenommen. Die Burgerschaft Sitten (jetzigen Besitzer) planen das Gebäude weiter für die Öffentlichkeit zu öffnen.
Es war und ist ein umstrittenes Bauwerk aber trotzdem ein Denkmal der damaligen Zeit. Es ist ein Versuch, Le Corbusier, allgemeiner: die moderne Bewegung zu Ende zu denken und im Kontext einer historischen Bauaufgabe und Bausubstanz zu verankern.
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