von Friedrich Fissler und Friedrich Hirsbrunner
Die Riedtlisiedlung in Zürich wird von der Winterthurer-, Götz-, Schenker- und Riedtlistrasse umschlossen. Vor dem Zusammenschluss mit der Stadt, gehörte sie der Gemeinde Oberstrass an. Im Jahr 1901 wurde hier der Beschluss für eine Vorschrift zur offenen Bebauung gefällt. Durch die Stolzestrasse und die Kinkelstrasse wird das Riedtliareal geviertelt. Die Riedtlisiedlung ist eine Gartenstadt nach dem Vorbild der englischen Gartenstädte, wobei jedoch nicht alle Kriterien erfüllt werden konnten. Darunter zum Beispiel der hohe Grundstückspreis.
Die beiden Architekten Friedrich Fissler (Stadtbaumeister) und Friedrich Hirsbrunner (Assistent) planten verschiedene Gruppen und setzten die Gebäude nicht direkt auf die Baulinien, um viel Aussenraum zu erhalten. Dreiviertel des Grundstücks sind als solcher umgesetzt worden. Im Inneren der Siedlung öffnen sich Strassen und Wege auf kleinere Plätze, die mit Brunnen, Bäumen und Spielplätzen gestaltet sind. 1981 wurde die Siedlung unter Denkmalschutz gestellt.
Erste Priorität der Überbauung war es, das Land gut auszunutzen, aber trotzdem keine zu starke Bebauung, um den Häusern weder Luft noch Sonne vorzuenthalten. Von 1907 bis 1919 wurden die Gebäude in fünf Etappen errichtet. In der halboffenen Siedlung findet man sowohl isolierte, aber auch aneinandergereihte Häuser. Das Areal sollte nicht ausschliesslich als Arbeiterviertel fungieren. Verschiedene Bevölkerungsgruppen der Mittelschicht, wie Beamte, Arbeiter und Angestellte fanden in der Überbauung ein Zuhause. Die Anlage hat 73 Häuser verteilt auf 28 Baugruppen mit ca. 300 Wohnungen, die unterschiedliche Grundrisstypen aufweisen. Diese werden durch die Stellung des Gebäudes und der Wohnungsgrösse gerichtet.
Skizzen aus der Siedlung
Das Gebäude an der Stolzestrasse ist in fünf Abschnitte geteilt – nämlich in die Stolzestrasse 22, 24, 26, 28 und 30. Das Gebäude, wie auch die gesamte Siedlung, ist im Heimatstil errichtet worden. Man erkennt, wie der Historismus durch die verschiedenen Architekturelemente des Heimatstils basierend auf lokalen Traditionen verdrängt wird. Eine gewaltige Variation der Elemente, zu denen zum Beispiel Erker, Loggias und Dachgauben gehören, sind in der gesamten Siedlung vertreten.
Diese Schnittpläne stammen aus dem Jahr 1983. Die verschiedenen Aussenwandstärken sind hier gut ersichtlich. Nach oben hin werden diese nämlich dünner. Dies ist auf die Konstruktionsweise in Stein und Holz zurückzuführen. Die Vordächer sind in Holz an die Fassade addiert.
Der kleinen Vorgärten laden ein das Haus zu betreten. Sie verleihen dem Gebäude Freundlichkeit und Charme.
Auf der Rückseite des Gebäudes sind die unterschiedlichen Fensterformen gut ersichtlich. Die Elemente kommen immer wieder vor, jedoch in unterschiedlichen Kombinationen. Die Fensterläden sind in einem einheitlichen Grünton gehalten.
Eine grosse Spielwiese gibt dem Gebäude die nötige Luft.
Unmittelbar neben dem Gebäude befindet sich ein Spielplatz mit Beschäftigungsmöglichkeiten für Gross und Klein.
Das Gebäude beinhaltet 4 ½– und 5 ½–Zimmerwohnungen. Damit gehört das Gebäude zu jenen mit den eher grösseren Wohnungen der Siedlung. Die Wohndielen waren besonders wichtig. Sie stehen häufig im Zentrum der Räume. (Nordost ausgerichtet)
Referenzkonstruktion: «Chinderhuis Sarnen» ehem. Ökonomiegebäude Kantonsspital, Spitalstrasse 4, Sarnen – Baujahr 1930. Der Architekt war Robert Omlin, der einer der bekanntesten Heimatstilarchitekten der Zentralschweiz war. Der Wandaufbau in Zement- und Backstein ist hier gut ersichtlich.
Referenzkonstruktion: «Villa Landegg» Wohnhaus Kirchstrasse 3, Sarnen – Baujahr 1923, Architekt Robert Omlin. Hier erkennt man gut, dass der Backstein die tragende Schicht ausmacht.
An der Hauptfassade der Stolzestrasse 22 und 24 fallen besonders die detaillierten Heimatstilelemente ins Auge. Das Gebäude ist klar in Stockwerke gegliedert. (selbst interpretierte Pläne, Stand 2. ZK)
Vor dem zentralen Gebäude ist ein Parkplatz angeordnet, an diesen wiederum grenzt die Stolzestrasse, die mit Bäumen an den Rändern zu einer Alle wird. Seitlich des Gebäudes, leicht versetzt befinden sich weitere Gebäude.
Hier ist diese Dachgaube, im Unterschied zu den unteren Geschossen, mit Schindeln verkleidet, diese sind jedoch im selben gelblichen Ton gehalten. Ein Ochsenauge markiert den Abschluss der Gaube.
Der Bezug zum Aussenraum ist bei allen Gebäuden enorm. Häufig kann man auf mehreren Seiten aus dem Gebäude hinaus. Hier ist die etwas privatere Rückseite zu sehen. Die Bewohner nutzen diese Möglichkeit rege und individualisieren diese Aussenräume nach ihren Wünschen und Bedürfnissen.
Einen Teil der Gliederung des Hauses macht der Steinsockel aus. Dieser springt minimal von der Fassade hervor.
Auch vor dem Haus ist mit der Präzision nicht Schluss. Übergänge sind ganz genau gestaltet.
Die Eingänge sind unterschiedlich gestaltet, um noch mehr Individualität in die Siedlung Riedtli zu bringen. Ein Sichtfenster in der Holztür ermöglicht Einblick aus oder in die andere Welt. Hier ist der Eingang mit einem Vordach geschützt, um zusätzlich vor Witterung zu schützen.
Der Putz ist in Gelb gehalten und mit einer Kellenwurftechnik ausgeführt. Der Zementstein, der Fenster und Türen umrahmt, ist farblich passend dazu gestaltet.
Die Fenster sind alle mit Sprossen im selben weiss, wie die Fensterrahmen, ausgestattet. Auch hier sieht man wieder die Umrahmung in Zementstein. Die grünen Fensterläden sind einheitlich.
Die Elemente nehmen Rücksicht aufeinander. So sind in diesem Fall die Fenster tiefer. Hier ist nämlich der Erker an der Wand befestigt. Bei diesem Fenster sind keine Fensterläden, sondern Storen anzutreffen.
Auch simple Elemente wie Fenstersimse sind sehr detailliert ausgestaltet. Diese Elemente werden von den Bewohnern, wie in diesem Fall, mit Pflanzen bespielt.
Auch Seitenfassaden sind in der Planung nicht vernachlässigt worden. Wie auch an der Südwestfassade ist hier eine Dachgaube vorzufinden. Auffällig ist jedoch, dass diese Schindeln eine etwas hellere Farbe haben, als jene an der Hauptfassade.
Die Dächer sind mit Bieberschwanzziegeln bedeckt. Die Vordächer sind unten geschwungen und mit Gips bedeckt. Die Dachränder werden mit einem roten Gesims umrahmt und betont.
Die sorgfältige Rundung unter dem Vordach fällt einem besonders auf, wenn man direkt unter dem Gebäude steht. Ab diesem Vordach findet auch ein Materialwechsel in der Konstruktion von Stein zu Holz statt.
Referenzkonstruktion: Gesimskonstruktion mit Vordach, Gründerzeitbauten 1870-1920, Sanierungsatlas. Hier erkennt man gut, wie die Balken ineinander verkeilt wurden.
Das Treppenhaus ist sehr repräsentativ gestaltet. Von diesem Standpunkt erkennt man auch den zweiten Eingang von der Rückseite des Hauses, der Zugang zum etwas privateren Aussenraum ermöglicht. Die Treppen im Sockelbereich sind in Beton ausgeführt.
Kellergeschoss mit verschiedenen Bodenbelägen
Die Holztreppe wird mit einem sehr filigranen Geländer geziert. Dieses glänzt im Licht des Treppenhauses. Statische Elemente, wie hier der aus der Wand ragende Balken, sind stets geschwungen und gestaltet.
Besondere und gutgeplante Ausblicke werden auch im Treppenhaus ermöglicht. Die Häuser interagieren miteinander. Nicht alle Kanten sind komplett gerade, daran erkennt man die Handarbeit. Auch das Treppenhaus wird von den Bewohnern reichlich gestaltet und individualisiert.
Auch das Treppenhaus ist, wie die Aussenfassade, in gelblichen Tönen gehalten. Durch das Treppenauge sieht man über alle Stockwerke hinweg.
Durch das nicht transparente Glas in den Eingangstüren im Treppenhaus erkennt man, zwar nicht was im Inneren vor sich geht. Leichte Schatten, welche erscheinen, bevor die Tür aufgeht, kann man jedoch wahrnehmen.
In die Wohnungen tut sich nochmals eine neue Welt auf. Gelb wird zu weiss. In den Wohnungen gibt es viele Einbauschränke. Bodenleisten sind aus ästhetischen Gründen doppelt geführt.
Hier ein Blick aus dem Erker. Oben ist der zusätzliche Querbalken zusehen, der eine so weite Holzspannweite ermöglicht. An der Aussenwand sind Radiatoren angebracht. Die Sprossen in den Fenstern geben diesen eine gewisse Kleinteiligkeit.
Der Boden in den Dielen ist mit Tropenholz mit einem Blindbodenaufbau erbaut worden.
Referenzkonstruktion: Verschiedene Arten von Blindbodenaufbauten, Gründerzeitbauten 1870-1920, Sanierungsatlas. Hier erkennt man, welche Aufbauten möglich waren.
Der Fensterbank ist als Holz sichtbar gelassen worden. Die restliche Umrandung ist weiss gestrichen.
Der Boden ist bei der Sanierung nicht verändert worden. Dieser besteht noch immer aus dem Tropenholz, in dem er damals verlegt wurde.
Im vierten Stock hat man aus der Dachgaube eine eindrückliche Aussicht. An der Aussenwand ist hier eine Eckbank integriert.
Die Riedtlisiedlung ist in eine sehr städtische Umgebung eingebettet. Trotzdem dingt man in eine Art eigenen Kosmos ein, wenn man sie betritt. Kosmos ein. Hier erlebt der Nachwuchs eine unbeschwerte Kindheit, und es scheint, als wären alle glücklich.