Für das Industriegebäude «Bau 90» von 1956 in Basel benutzten die Architekten Suter und Suter das Vokabular der klassischen Moderne, sowohl in Materialisierung als auch in der Gestaltung. Als Materialien kamen unter anderem Stahl, Glas und bewehrter Beton zum Einsatz, die Gestaltung ist rational, reduziert und funktional. Dennoch orientierten sich Suter und Suter in Volumen, Konstruktionsweise und teilweise auch in der Materialisierung massgeblich an der Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts.
Bei den Industriebauten des 19. Jahrhunderts handelte es sich oft um Stahlskelettbauten, die mit Backsteinen ausgemauert wurden. Öffnungen wurden zunächst noch als Perforationen in Flächen oder Feldern ausgebildet, was die Baukörper als massiv und monolithisch erscheinen liess, Schlossanlagen gleich.
Suter und Suter setzten ebenfalls einen Stahlskelettbau um, allerdings mit einbetonierten Stützen. Zudem verwendeten sie Kalksandsteine anstelle von Backsteinen. Durch die hauptsächliche Verwendung von strukturellen Öffnungen wirkt das Gebäude im Vergleich zu den Referenzen zwar ebenfalls massiv, aber weit weniger monolithisch. Man könnte also sagen, dass die Architekten in ihrem Vorgehen ein Prinzip der Auflösung verfolgten.
Auffallend ist, dass Suter und Suter tendenziell in den Ecken des Gebäudes vor dieser Auflösung haltmachten und die Flächigkeit gezielt einsetzten, um die Ecken optisch zu verstärken und das Gebäude sozusagen zusammenzuhalten. Zudem verwendeten sie für die strukturellen Öffnungen Fenstertafeln aus Beton. Diese wurden als engmaschige Gitter ausgebildet, was ein insgesamt flächiges Bild der Fassade ermöglichte, ohne gleichzeitig monolithisch zu wirken.
Zudem verwendeten die Architekten Themen aus der traditionellen Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts. So könnte zum Beispiel argumentiert werden, dass der schmale, im Süden liegende Nebentrakt in der Ostfassade wie ein Turm wirkt, und aufstrebende Elemente wie Kamine und Türme gehörten zum Bild vieler Fabriken aus dem 19. Jahrhundert. Ein weiteres Attribut von Industrieanlagen aus dem 19. Jahrhundert war, dass sie oft schnell wuchsen und nach und nach ein Ensemble aus zahlreichen einfachen Baukörpern bildeten. Den gleichen Effekt der Addition erzielten Suter und Suter, indem sie mit einem Quader als einfaches Bauvolumen arbeiteten, der mit seinen rund 80 mal 40 Metern doppelt so lang wie breit ist; die Höhe entspricht mit 40 Metern ebenfalls der Breite. Aus diesem Körper modulierten sie ihr Gebäude, das ähnlich wie ein gewachsenes Ensemble wirkt.
1.1 Der Stadtteil Klybeck
Das Industriegebäude «Bau 90» steht an der Kreuzung von Klybeck-, Gärtner- und Mauerstrasse in Basel. Der Stadtteil Klybeck ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts von der chemischen Industrie geprägt. Dazu beigetragen hat die Lage in der Nähe des Rheinhafens und auch das «weiche und klare Wasser» der Wiese, die an dieser Stelle in den Rhein fliesst und sich «gut für die Färberei eignete»1.
1.2 Die Firma Ciba
Untrennbar mit der Geschichte des Werkareals verbunden ist diejenige der Firma Ciba, die ab 1864 in der neu errichteten Fabrik produzierte. 1970 fusionierten Ciba und die J.R. Geigy AG zur Firma Ciba-Geigy, 1996 entstand aus einer erneuten Fusion mit Sandoz die Firma Novartis.2 Der Bau 90 ist heute im Besitz der Firma Huntsman, einem U.S.-amerikanischen Chemieunternehmen3.
1.3 Industriearchitektur:
Für das Gebäude nutzten die Architekten das Vokabular der klassischen Moderne. Gleichzeitig orientierten sie sich in Volumen, Konstruktionsweise und teilweise auch in der Materialisierung an der traditionellen Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts – das Bild zeigt als Referenz die Hannoversche Gummiwerke Excelsior AG von 1912.
2.1 Erstellung Gebäude
Der Bau 90 wurde 1956 vom Basler Architekturbüro Suter und Suter erbaut.4 Es handelt sich um einen neungeschossigen Stahlskelettbau aus verschraubten Stützen und Trägern, der aus Brandschutzgründen mit Beton ummantelt wurde. In der Fassade wurde die Rahmenstruktur mit Mauerwerk und Fensterelementen ausgefacht.5
2.2 Neue Bauvorschriften
1986 führte ein Grossbrand bei Sandoz in Schweizerhalle zur Verseuchung des Rheins.6 Deswegen setzte die Stadt Basel 1991 die «Störfallverordnung» in Kraft, die besagt, dass Firmen mit vergleichbaren Anlagen künftig Schutzmassnahmen zu ergreifen hätten. In diesem Zusammenhang wurden auch die Gebäude auf dem Klybeck-Areal neu untersucht.7
2.3 Erdbebensicherheit
Aufgrund der Störfallverordnung wurde das Gebäude bezüglich Erdbebensicherheit verbessert. Um die Produktionsabläufe nicht zu stören, entschied sich die Bauherrschaft für eine Variante, in der das Gebäude in der Nord- und Ostfassade einen innenliegenden, in der Süd- und Westfassade einen aussenliegenden Stahlverband erhielt.8
3.1 Volumen
Das Basisvolumen des Gebäudes besteht aus einem Quader, der mit seinen rund 80 mal 40 Metern doppelt so lang wie breit ist; die Höhe entspricht mit 40 Metern ebenfalls der Breite. Die Längsachse ist Ost-West-, die Querachse Nord-Süd-orientiert.
3.2 Gliederung im Grundriss
Konstruktiv wurde das Volumen analog zur Nutzung in Längsrichtung in zwei Gebäudeteile gegliedert. Im Norden liegt der Haupttrakt für die Fabrikation, ein voll einbetonierter Stahlskelettbau, mit Kalksandsteinen ausgemauert. An ihn schliesst im Süden der Nebentrakt mit Labors, Büros, Garderoben und Duschen an, ein Eisenbetonbau, ebenfalls mit Kalksandsteinen ausgemauert.
3.3 Gliederung Ostfassade
Zwischen dem Nebentrakt und der eigentlichen Fabrikationsnutzung liegt eine knapp vier Meter breite Verkehrszone, die sich durch das gesamte Gebäude zieht und sich in der Ost- und Westfassade als dritter Gebäudeteil abzeichnet. Die Nutzung des Gebäudes wird also optisch in die Fassade getragen.
3.4 Gliederung im Schnitt
Die Trennung der Gebäudeteile ist in den Schnittplänen durch die doppelte Trennwand besonders gut ersichtlich und hat praktische Gründe: im Katastrophenfall in der Fabrikation könnte der Haupttrakt vom Nebentrakt abgekoppelt werden.
4.1 Zwei Konstruktionen
Im gesamten Gebäude wurde mit Fenstertafeln gearbeitet – das Bild zeigt ein Beispiel aus der Literatur. Die Fenstertafeln unterscheiden sich in den beiden Trakten. Im Haupttrakt handelt es sich um Betongitter, in die Verglasungen eingelassen sind und nur einzelne Scheiben geöffnet werden können. Im Nebentrat handelt es sich mehrheitlich um Holzflügelfenster.9
4.2 Drei Gestaltungsweisen
Die Architekten verwendeten zur Gestaltung des Gebäudes erstens Perforationen in Flächen, (Stirnseiten des Nebentrakts), zweitens Betongitterstrukturen mit dazwischenliegenden strukturellen Öffnungen und Ausfachungen (Ostfassade des Fabrikationsgebäudes) und drittens horizontal betonte Fensterbänder mit Brüstungsbändern (Eckrisalit in der Südwestecke des Gebäudes).
BILDNACHWEIS
1.1 – Karte von Klybeck (Wikicommons. Foto: Tschubby).
1.2 – Das Klybeckareal, 1939 (viavia.ch. Foto: keine Angabe).
1.3 – Firmengelände «Hannoversche Gummiwerke Excelsior AG», 1912 (lebensraum-linden.de. Foto: Sammlung Bernd Sperlich).
2.1 – Bau des Gebäudes K90, 1956 (viavia.ch. Foto: keine Angabe).
2.2 – Chemiekatastrophe Schweizerhalle, 1986 (aargauerzeitung.ch. Foto: AZ).
2.3 – links: Isometrische Darstellung der Ertüchtigungsstruktur an der Südfassade (steeldoc 03+04/11, S. 42–45. Isometrie: Flubacher–Nyfeler + Partner Architekten / Gruner AG)
2.3 – rechts: Ansicht Südfassade mit Ertüchtigungsstruktur (Plan: zVg durch Gruner AG).
3.1 bis 3.4 – eigene Skizzen der Autoren.
4.1 – Fenstertafeln (Buchtitel – zu ergänzen).
4.2 bis 4.4 – Ausschnitte aus den Fassadenplänen von 1952 (Staatsarchiv Basel. Pläne: Suter und Suter Architekten SIA BSA).
QUELLEN
1 – Rundgang im Klybeck. Verfügbar unter http://www.statistik.bs.ch/haeufig-gefragt/wohnviertel/18klybeck/rundgang.html (10.10.2015).
2 – Wikipedia. Novartis. Verfügbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Novartis (10.10.2015).
3 – Wikipedia. Huntsman. Verfügbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Huntsman (10.10.2015).
4 – Bau 90 und weitere Bauten im Klybeck. Verfügbar unter http://www.viavia.ch/industrie/pmwiki.php/Fotos/Bau90 (01.11..2015).
5 – Vogt, Christa: Brücke im Fassadenbild. In: steeldoc 03+04/11, S. 42–45.
6 – Wikipedia. Schweizerhalle. Verfügbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Schweizerhalle (10.10.2015).
7 – Vogt, Christa: Brücke im Fassadenbild. In: steeldoc 03+04/11, S. 42–45.
8 – Vogt, Christa: Brücke im Fassadenbild. In: steeldoc 03+04/11, S. 42–45.
9 – Baubegehren an die Stadt Basel. Planungsamt der Stadt Basel, 1952.