Der Film Perfect Days des deutschen Filmemachers Wim Wenders (1945), einem der wichtigsten Vertreter und Wegbereiter des Neuen Deutschen Films, kam im Mai in die Kinos.
Der Film ist eine deutsch-japanische Koproduktion, die 2023 bei den Filmfestspielen von Cannes im Wettbewerb stand und dort den Preis der Ökumenischen Jury und den Preis für den besten Schauspieler gewann. Bei der Oscar-Verleihung 2024 wurde er als japanischer Beitrag für den besten internationalen Film ausgewählt. Es ist ein Juwel von einem Film und derjenige, der mich in den letzten Jahren am tiefsten berührt hat.
Anlässlich der Olympischen Spiele 2021 hat Japans grösste Wohltätigkeitsorganisation, die Nippon Foundation, im Stadtteil Shibuya das Tokyo Toilet Project ins Leben gerufen. Dabei ging es um den Bau von 16 öffentlichen Toiletten als Symbol für die berühmte Gastfreundschaft in der japanischen Kultur. Der Auftrag wurde an 16 internationale Architekten und Künstler vergeben, die Gebäude mit einer einzigartigen Ästhetik errichten sollten, die sowohl Kunst als auch öffentlicher Nutzen sein sollten. Um das Projekt zu fördern, wurde Wim Wenders angeboten, einen Dokumentar oder Spielfilm zu drehen, je nach seiner Inspiration. Wenders, der sich für die japanische Kultur begeistert, sagte ohne zu zögern zu. Dies ist die Entstehungsgeschichte des Films.
Wenders schrieb das Drehbuch zusammen mit dem japanischen Schriftsteller und Dichter Takuma Takasaki, der ihn auch während des gesamten Prozesses begleitete und als Brücke zur japanischen Kultur fungierte. Die Arbeit am Drehbuch dauerte drei Wochen und wurde geschrieben mit Blick auf den japanischen Schauspieler und Protagonisten Köji Yakusho in der Rolle des Hirayama.
Die Handlung des Films dreht sich um den Alltag von Hirayama, einem öffentlichen Toilettenreiniger in der Millionenmetropole Tokio. Es gibt kaum Dialoge – der Protagonist öffnet seinen Mund erst in der 12. Minute – aber er vermittelt ständig Emotionen durch seine körperliche Präsenz. In ihm sehen wir einen zufriedenen Mann, der seinen Job mit grosser Würde ausübt, weil er sich bewusst ist, seinen Beitrag zum „Gemeinwohl“ der Gemeinschaft zu leisten. Ein Mensch, der seine Aufgabe in der Welt verstanden und akzeptiert hat, indem er eine Routine lebt, die nie gleich ist, was uns dem japanischen Konzept des KAIZEN oder der „kontinuierlichen Verbesserung“ und der AKTIVEN MEDITATION näher bringt. Das heisst, wenn wir unsere täglichen Aufgaben mit Freude und Vergnügen immer und immer wieder erledigen, mit einem Blick, der kleine Veränderungen und Verbesserungen erwartet, verschwindet die Routine und „es ist nie dasselbe“.
Ursprünglich sollte der Film den Titel Komorebi tragen. KOMOREBI ist ein einzigartiger japanischer Begriff, der das menschliche Vergnügen beschreibt, die Sonne und den Wind zu beobachten, wie sie durch die Blätter eines Baumes durchschimmern und Schattenspiele modellieren. Im Film versucht Hirayama immer wieder, den Komorebi mit seiner analogen Kamera einzufangen, aber es gelingt ihm nicht. Nur sein Blick ist in der Lage, ihn diese Emotion spüren zu lassen. Der Blick, der den Augenblick schafft und Kunst erzeugt. Das ist der eigentliche Protagonist des Films: das tausendjährige Konzept des Lebens als tägliche Wiederholung, die immer gleich zu sein scheint, aber nie gleich ist. Und angesichts der Vergänglichkeit des Augenblicks das Bedürfnis des Menschen, sich selbst zu transzendieren und nicht nur „homo faber“, sondern auch „homo poeticus“ zu sein.
Der Film wurde komplett in Tokio gedreht, in der Rekordzeit von 17 Tagen und im digitalen Format. Und wie Wenders selbst sagt: «Obwohl es eine fiktive Geschichte war, hatten wir eine dokumentarischen Ansatz. Die Kamera war immer auf der Schulter meines Kamaramanns Franz Lustig – nie auf einem Stativ, nie auf Schienen, nie auf einem Kardangelenk, einer Steadicam oder einem Kran. Der fiktive Film mit der frei erfundenen Figur Hirayama wurde wie ein Dokumentarfilm gedreht». Und es könnte hinzugefügt werden, dass dies es ihnen erleichterte, in dem engen Raum einer öffentlichen Toilette zu drehen. Die verwendete Kamera, eine Sony Benis mit hoher Farbempfindlichkeit ermöglichte ihnen, überall zu drehen ohne zusätzliches Scheinwerferlicht zu benötigten.
Schliesslich ist es wichtig, zwei wesentliche nicht-menschliche Akteure in dem Film zu erwähnen. Der eine ist der urbane Raum der Stadt Tokio mit den Toiletten des Shibuya-Viertels, die den Schauplatz und die Kulisse bilden, vor der sich die Handlung entfaltet (wir haben bereits darüber gesprochen). Das andere ist das musikalische Konzept, das Wenders entwickelt hat und das von Takuma Takasaki, dem Co-Drehbuchautor, getragen wird. Es besteht darin, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler während der Dreharbeiten Musik hören, Wenders Lieblingsmusik aus seiner Jugend (Patty Schmith, Nina Simone, The Velvet Underground, Van Morrison, The Animals, The Rolling Stones und einige andere aus den 1970er Jahren), so dass sie danach handeln, was diese Lieder für sie emotional und geistig bedeuten. Jeden Tag, wenn Hirayama in den Van steigt, um zur Arbeit zu fahren, legt er eine der Kassetten aus seiner riesigen Sammlung in den Player. So sind die Songs nicht nur Hintergrundmusik (wie in Filmen üblich), sondern bringen Worte in die Stille und interagieren mit dem Schauspieler. In diesem Moment fängt der Schauspieler an, mit der Musik zu fühlen und lässt uns, die Zuschauer, diese Emotionen ebenfalls spüren.
Wenders hat den Titel des Films dem Song „Perfect Day“ von Lou Reed entnommen, der uns dazu auffordert, zu lernen, glücklich zu sein und die einfachen Dinge des Lebens zu feiern. Wie in der apotheotischen und kathartischen Schlussszene, in der Hirayama drei Minuten lang in Grossaufnahme mit seinem Van durch die Strassen von Tokio fährt und dabei Nina Simones „Feeling Good“ hört. Der Songtext erinnert uns daran, dass es trotz Traurigkeit und Leid Freude und Hoffnung in der Welt gibt, weil wir jeden Tag neu beginnen und ein besseres Leben schaffen können.
Perfect Days ist ein wunderbarer, scheinbar einfacher und tiefgründiger Film, der uns die Schönheit der alltäglichen, flüchtigen Momente, der einfachen Freuden und der Natur vor Augen führt. Ein Film, der uns die Komplexität menschlicher Emotionen zeigt, wie Glück und Traurigkeit in unserem täglichen Leben nebeneinander bestehen. Und nicht zu vergessen, Hirayamas Worte „Jetzt ist Jetzt“ und „Das nächste Mal ist das nächste Mal“.
Zusammengefasst ein Plädoyer für Hoffnung, Optimismus und Frieden, die in der heutigen Zeit so notwendig sind. Wenn Sie den Film noch nicht gesehen haben, sollten Sie die nächste Gelegenheit dazu nicht verpassen.
Weiter Links:
- Perfect Days – Press Conference – Cannes 2023: https://www.youtube.com/watch?v=UWudH_9tLhE
- NZZ, „Perfect Days“: Geld wird überschätz; (21.12.2023); https://www.nzz.ch/feuilleton/perfect-days-reichtum-hat-nichts-mit-geld-zu-tun-ld.1782158
- Tages Anzeiger, Architektur von öffentlichen WCs: Stille Örtchen zum Verlieben; (15.10.2023); https://www.tagesanzeiger.ch/architektur-von-oeffentlichen-wcs-stille-oertchen-zum-verlieben-883336588952
Quelle:
- Wikipedia; (24.06.2024); https://es.wikipedia.org/wiki/Perfect_Days
- Página 12; (24.06.2024); https://www.pagina12.com.ar/708647-dias-perfectos-una-fabula-de-wim-wenders-filmada-integrament
- Análisis exaustivo de la película germanojaponesa Perfect Days, de Wim Wenders; Jack Babiloni; (27.06.2024); https://www.youtube.com/watch?v=3eLhjnU4Hpw
- Titelbild: Perfect Days – Filmplakat mit Canvas manipuliert und geschnitten; Copyright by Filmverleih DCM, Fr. Elâ Tahmaz.
- Bildquelle: Die Verwendung aller Fotos wurde mit freundlicher Genehmigung von Filmverleih DCM, Fr. Elâ Tahmaz (Copyright).