Der Jakobsweg mit dem Velo

Der Jakobsweg, spanisch ‘Camino Santiago’, erfreut sich seit dem 11. Jahrhundert einer grossen Anziehungskraft für gläubige und suchende Pilger. Wer kennt nicht jemanden, der diese Reise auf die eine oder andere Art schon einmal unter die Füsse genommen hat?
Ziel ist immer der heilige Ort ‘Santiago de Compostela’, im Nordosten von Spanien, wo sich bei der eindrücklichen Kathedrale die Gebeine des Apostels Jakobus befinden sollen. Zu diesem magischen Ziel führen die verschiedensten Wege aus ganz Europa. Die bekanntesten davon führen von Frankreich her durch Spanien.

Viele liebäugeln zuerst mit dem Ziel, die Pilgerreise ab der eigenen Türschwelle zu starten. Für die meisten ist dies aber eine äusserst anstrengende und lange Tour. In diesem Bericht wollen wir eine Reise auf dem finalen spanischen Teil beschreiben. Hierzu gibt es insbesondere zwei bekannte Routen des Weges: Der meist begangene, der ‘Camino Francés’, führt durch die Hochebenen von  Kastilien und Leon, bevor man zum Schluss in das grüne Galizien gelangt. Eine weitere Route mit anderem Charakter ist der  ‘Camino del Norte’ entlang der Atlantikküste.

Noch wenig bekannt ist, den Weg per Fahrrad zu unternehmen. Diese Variante ist für viele Interessierte eine Überlegung wert, z.B. wenn nicht so viel Zeit zur Verfügung steht. Insbesondere mittels E-Bike wird die Reise angenehm. Zu angenehm? Der Einwand ist berechtigt, ob es sich so noch um eine an sich gesuchte beschwerliche Pilgerreise handelt. Das darf individuell beantwortet werden, je nach körperlicher Konstitution ist es vielleicht die einzige Möglichkeit. Die Fortbewegung per Velo ist grundsätzlich akzeptiert auf den Wegen und Unterkünften und es erschliessen sich gleichwohl die bekannten Erlebnisse und Erfahrungen am Wegesrand, an den unzähligen historischen Bauten und die unvergleichlich vielfältigen Landschaften zwischen dem Osten und Westen Spaniens.

Ein typischer Reisetag könnte so beschrieben werden: Frühmorgens mit den ersten Sonnenstrahlen im Pilger-Albergo aufstehen, dann durch die Frische des spanischen Hochlands zu radeln, an schönen Dörfern, Denkmälern und Kirchen vorbei, Bewohnende von Dörfern grüssend. Dann mit einem Cafe con Leche, Churros und Tortilla ganz wach werden und mit der Fahrradhilfe rasch weiter zu kommen. Eine verlockende, erlebnisreiche Tour, auch dies kann meditativ sein.

Wem diese Idee gefällt, sollte sich gut vorbereiten. Es ist wichtig, schon früh wichtige Erwägungen und Abklärungen zu treffen, vor allem auch zu An- und Rückreise mit dem Fahrrad. Sowohl in Frankreich, wie auch in Spanien ist ein Velotransport per ÖV am Einfachsten in einem Transport-Beutel. Aber Achtung, das gibt Gewicht! Für eine Pilgerroute ab der französischen Grenze im Baskenland sind zwei bis drei Wochen zu einzurechnen. Für die Rückreise per Velo nochmals so viel.

Zum Start in Irún sollte man sich vorsichtshalber zwei kürzere Tagesetappen vornehmen und das mit Übernachtung in den typischen Camino-Alberges so einplanen. Man merkt rasch, dass man mit dem Velo schnell vorwärts kommt, meist sind es asphaltierte wenig befahrene malerische Wege. Aber nicht nur, manchmal sind stark befahrene Strassen unumgänglich. Die Velorouten folgen grundsätzlich nahe denjenigen der Fuss-Pilgernden, ohne dass man sich all zu viel in die Quere kommt.

Copyright by Ariana Temiño
Abb.1 – Wegweiser des Jakobswegs Pilger- Andenken. (Copyright by Ariana Temiño)

In den Unterkünften treffen am Abend beide Gruppen in Geselligkeit zusammen. Velo-Pilgernde überspringen jedoch meist eine oder zwei Stationen. Ein kleiner Nachteil: Hat man sich am Abend zuvor bei Essen und Wein mit Fuss-Pilgernden angefreundet, ist damit zu rechnen, dass man sich später vielleicht nicht mehr trifft. Auch sind die Velofahrenden eine eher kleine Gruppe.

Man darf es wieder betonen: das attraktive und geschichtlich interessante am Camino Santiago sind die uralten Pilgerwege, die unzählige historische Orte verbinden, immer wieder den berühmten Wegmarken in  Jakbosmuschel-Form begegnend. Kein Tag vergeht ohne eine bewunderte Kirche, einem kleinen Abstecher zu einem Kloster oder einer Rast auf einem malerischen Dorfplatz. Einkauf, Rast, ein Schwatz, Spanischkenntnisse ermöglichen Kontakte. Unterwegs überwiegt die Natur, oft grün mit Bächen, Bäumen, Biodiversität und auch genügend Schatten. In der Hochebene ändert die Landschaft je nach Jahreszeit zu ockerfarbig und goldenen Getreidefeldern, Hasen und andere Tiere anzutreffen ist keine Seltenheit. Manchmal ist hier aber wenig Schatten, hier lohnt es sich, früh aufzustehen und den kühlen Morgen zu nutzen.

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Abb.2 – Sensibilisierungskampagne für die Sicherheit von Frauen auf dem Camino.

Die Tage vergehen, der Kilometerzähler zeigt bald beachtliche Zahlen und irgendwann, nach viel Rauf und Runter, wenn der höchste Punkt mit der Wasserscheide zwischen Mittelmeer und Atlantik erreicht ist, kommt auch der ersehnte Kraftort in greifbare Nähe. Es geht nun öfters runter und doch sind es noch Tage bis Santiago.

Der Moment der Ankunft auf dem grossen Platz vor der Kathedrale soll nun inszeniert sein! Erhabene Gefühle, Zufriedenheit, Wiedersehen, Umarmen und viele Fotos gehören dazu, vielleicht sind sogar Freunde angereist als Begrüssungsüberraschung. Nun sollte auch noch Zeit bleiben für kontemplative Momente in der kühlen Kirche, einige geniessen Stunden oder Tage am heiligen Ort. Wer etwas Glück hat, kann auch den Spektakel des berühmten Weihrauch-Pendels ‘Botafumeiro’ erleben, einem beliebten Symbol  der Kathedrale.

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Abb.3 – Die glückliche Ankunft in der Kathedrale von Santiago de Compostela, Plaza del Obradoiro.

Als abschliessendes Schmankerl und falls man noch Puste hat, sollte man den Abstecher bis zum Meer nicht auslassen – ein weiteres erstrebenswertes Ziel: Finisterre (‘das Ende der Welt’), der westlichste Punkt vom Festland-Spanien.

An diesem Punkt ist für die meisten die Pilgerzeit beendet und es folgt die individuelle Rückreise. Wer noch mag und wem zwei Wochen Zeit verbleiben, dem steht die verlockende, malerische Alternative dem Atlantik entlang offen, zurück bis zur französischen Grenze. Der Weg ist coupierter als im Inland, lässt aber auch die Möglichkeit, zwischendurch von der Schmalspurbahn zu profitieren, die sich ab Asturien dem Meehr entlang schlängelt.

Zum passenden verdienten Abschluss? Ganz eindeutig ein Besuch der charmanten Altstadt von San Sebastian, mit einem Bad und Nachtessen am Strand der Concha, der berühmten Bucht in, ja, Jakobsmuschel-Form.

San Sebastian, playa de la Concha.
Abb.4 – San Sebastian, playa de la Concha. (Kostenlose Nutzung unter der Pixabay-Inhaltslizez)

 

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Quelle:
  1. Der Text basiert auf dem Erfahrungsbericht von Ariana Temiño, die im Frühjahr 2024 auf dem Jakobsweg unterwegs war.
  2. Titelbild: Wegweiser des Jokobsweg mit der Apostelmuschel; Copyright by Ariana Temiño
  3. Bildquelle: Abb.1-2-3 Copyright by Ariana Temiño / Abb.4, https://pixabay.com/de/photos/insel-meer-san-sebastian-donostia-6583891/

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