Soziokultur

Stimmen der Flucht – Lampedusa

Stimmen der Flucht – Lampedusa

Kurz nach dem Studium an der Hochschule Luzern –Soziale Arbeit habe ich mich Ende 2015 mit meiner Familie auf eine neunmonatige Italienreise begeben. Selber mit einem Migrationshintergrund in der Schweiz aufgewachsen, interessierte mich die Situation der Menschen auf Lampedusa, sowohl der Einheimischen, als auch der flüchtenden Menschen, die für kurze oder längere Zeit da landen. Noch in der Schweiz bin ich durch die Recherche im Internet auf das politische Kollektiv Askavusa gestossen. Für mich ein guter Kontakt und Einstieg in das Leben auf dieser Insel, die für viele Menschen ein Tor zur Festung Europa darstellt.

Februar 2016 auf Lampedusa – Mit Freiwilligen gehe ich zu einer Ankunft von Flüchtlingen, um den Ankömmlingen warmen Tee zu geben. Das Absetzen der Flüchtlinge am Ufer wurde auf 3 Uhr nachts angekündigt. So wird niemand unnötig vom bequemen Leben gestört. Es regnet und das Landen verzögert sich. Zuerst muss der Mann vom Fernsehen mit seinem Kameramann an der Landungsstelle eintreffen und raus aufs Meer gebracht werden. Aufnahmen nach Script. Das sei nicht jeden Tag so. Scheinbar. Es regnet. Ca. 100 Menschen warten auf 87 Menschen. Bestimmt 90 von den 100 sind bezahlt und tun ihren Job. Die 87 hätten gerne mal einen. Wenn sie das aber sagen, bekommen sie gleich den Stempel Wirtschaftsflüchtling. Es ist arschkalt.

Ein paar der Erwerbstätigen ziehen Plastikhandschuhe an, es muss wohl losgehen. Die Zufluchtsuchenden werden von der Küstenwache gebracht. Auf dem Bug Männer in voller Schutzmontur. Junge Flüchtlinge sitzen auf Deck im Regen. Alle ohne Schuhe und mit den gleichen grauen Socken und einer Wolldecke. Die Polizei koordiniert den Ausstieg. Die Ankömmlinge wirken erschöpft, verängstigt und beeindruckt ob all dem Aufwand und Material. Einige Wenige strahlend, dem Tod davon gekommen. Willkommen im gelobten Europa. Die Wolldecken werden abgenommen und kommen in den Abfall, kontaminiert.

Der Touristenort erstrahlt am Tage wieder in angenehmen Frühlingstemperaturen.

Weil es Nebensaison ist, sind viele Flüchtlinge ausserhalb des Hotspot  in den Strassen von Lampedusa anzutreffen. In mir entsteht die Idee musikalische Interviews in unserem kleinen Bus zu realisieren. Aus Interesse an der persönlichen und musikalischen Begegnung und um Menschen auf der Flucht eine Stimme zu geben.

Spontane Erstgespräche auf der Strasse führen weiter in den Bus. Ein staubiger Parkplatz zwischen Häuser, mal mit Einzelnen, mal in einer kleinen Gruppe. 30-40minütige halbstrukturierte Interviews und das animieren mit Gitarre brechen das Eis um die Stimmen einiger Menschen erklingen zu lassen. Entstanden sind persönliche Zeitzeugnisse und improvisierte Songs von Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer.

Libyen und das Meer haben sie überlebt. Die Strassen von Europa haben sie noch vor sich. Mögen sie ihre Stimmen behalten.


von: Diego Stanca

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