Soziokultur

Soziokulturelle Animation für Demokratie als Lebensform

Soziokulturelle Animation für Demokratie als Lebensform

Kurz vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen (vgl. zur Wahlanalyse den Blog von Rahel El-Maawi) wurde Austyn Crites mit seiner Aktion «Republicans Against Trump» an einer republikanischen Wahlveranstaltung nicht einfach zum Gegner, sondern zum Verräter und Feind im eigenen Lager: er wurde von den Trump-Anhängern beinahe gelyncht. Nachdem ihn Sicherheitskräfte gerettet hatten, wurde sein Name veröffentlicht und seine Familie mit dem Tod bedroht. Wie ist das möglich in einer Demokratie? Ein solch intolerantes, ja gewaltsames, Gebaren widerspricht unserem Verständnis von demokratischer Kultur in höchstem Mass. Ich beobachte mit Besorgnis eine Veränderung der demokratischen Kultur, auch in Europa und der Schweiz: auch bei uns wird der Umgangston – nicht allein im politischen Miteinander – schärfer, angriffiger, in den sozialen Medien auch offen abwertend. Intoleranz und Diffamierungen werden schleichend salonfähig. Inwiefern kann Soziokulturelle Animation hier mit ihrer Arbeit gegensteuern?

In seiner Demokratiekritik widmet sich Platon den Funktionsvoraussetzungen von Demokratie, die er in der «Tugendhaftigkeit» der einzelnen Bürger sieht. Er fomuliert die Idee, dass eine «gute» Gesellschaft im Individuum Voraussetzungen zu schaffen hat, die eben diese Gesellschaft zu reproduzieren bzw. in eine wünschenswerte Richtung zu transformieren vermögen. Dieser von Platon thematisierte Zusammenhang von Demokratie und Erziehung wird im ausgehenden 19. Jahrhundert vom amerikanischen Pragmatisten und Bildungsphilosophen John Dewey aufgenommen: Dewey geht der Frage nach, wie Bildung unter der Zielsetzung einer «Moralisierung für das Leben» in einer demokratischen Gemeinschaft gestaltet werden kann. Er kommt zum Schluss, dass Schulen als «embryonale Gesellschaften» die Idee einer sozialen Lebensgemeinschaft verwirklichen können: Heranwachsende wachsen durch ihre Partizipation an einer modellhaft konzipierten Kommunikationsgemeinschaft und sensibilisieren sich dabei auch für Ansprüche von Benachteiligten und für eine gerechtere Ordnung. Dewey versteht Demokratie also vorrangig als Lebensform, als Form des Zusammenlebens und als gemeinsam kommunizierte Erfahrung. Diese ist wiederum Voraussetzung für die Selbstentfaltung im Sinne von Entfaltung der sozialen Intelligenz des Menschen. Dewey verfolgte mit seiner Bildungs- und Schultheorie das Ziel, mit Hilfe von Erziehung demokratisches Zusammenleben durchzusetzen; denn Demokratie als Staatsform war erst im Aufbau begriffen, vielen Menschen fehlten die Teilhabe- und Teilnahmevoraussetzungen; sie mussten erst geschaffen werden. Hier zeigt sich, dass Deweys Demokratievorstellung im Grunde ein Bildungskonzept darstellt.  Seine Ideen werden heute in sogenannten Labor- oder demokratischen Schulen in die Praxis umgesetzt. Diese verfolgen das Ziel junge Menschen über gemeinsam erfahrene Partizipation zu selbstbestimmten und zugleich verantwortungsvollen Citoyens zu erziehen.

Zeitgenössische Demokratietheorien halten es i.d.R. nicht mehr für nötig, den kulturellen Voraussetzungen für Demokratie Aufmerksamkeit zu schenken. Da frage ich mich, wäre dies in Anbetracht des beobachteten Wandels der politischen Kultur und zum aufkommenden Rechtspopulismus, durchaus verstanden als Indikatoren für tieferliegende Probleme, nicht dringend vonnöten? Könnte Dewey – nicht nur für aktuelle Überlegungen zur Revitalisierung von Demokratie – sondern auch für die Soziokulturelle Animation (SKA) eine Bezugsgrösse sein? Schweizer SKA sieht sich ja seit ihrer Begründung in den 1980er Jahren als Promotorin von Demokratie als Lebensform. Schon in der Definition der schweizerischen Schulen für soziokulturelle Animation (1989) heisst es: «Animation ist nur mit dem Ziel einer demokratisch verfassten Gesellschaft und in sich selbst als Verwirklichung von sozialer und kultureller Demokratie zu verstehen». Heinz Wettstein, Autor im Standardwerk Soziokulturelle Animation. Professionelles Handeln zur Förderung von Zivilgesellschaft, Partizipation und Kohäsion formuliert: «Soziokulturelle Animation ist (…) eine demokratiefördernde Methode, die versucht, über die formale Partizipation hinaus (…) Partizipation in allen Lebenszusammenhängen zu fördern (…). Animation will dabei selber Demokratie vorleben, indem sie transparent agiert, von den Bedürfnissen der Betroffenen ausgeht, echte Kommunikation und faire Konfliktaustragung fördert, damit das Zusammenleben im Gemeinwesen an Qualität gewinnt». Hier wird Partizipation bzw. Beteiligung an sozialer Kooperation ein Wert an sich zugesprochen; damit verbunden ist auch die Befähigung zur Beteiligung – wie bei Dewey.

In Zeiten, in denen die Krisen des Neoliberalismus die sozialen Grundlagen der Demokratie erschüttern und der moderne Rechtspopulismus vielen als Heilsbringer erscheinen mag, ist auch der politischen Kultur und zugehöriger politischer Tugenden der Bürger/innen und Citoyens als Voraussetzung einer menschengerechten Demokratie genügend Aufmerksamkeit zu schenken. SKA kann hier durch ihren Ansatz der Befähigung zur Beteiligung an sozialer Kooperation einen wichtigen Beitrag zur Stärkung einer menschengerechten Demokratie leisten: sie kann Menschen in ihren Angeboten  und Projekten konkret dabei unterstützen,  Demokratieideale wie Toleranz, Gewaltfreiheit und Geschwisterlichkeit in gemeinsamer Erfahrung bewusst zu machen und Austauschbeziehungen und Konfliktaustragungen danach zu gestalten. Indem sie in ihren Settings gemeinsam mit den Adressaten/innen Demokratie als Lebensform  praktiziert, trägt sie aktiv zu einer zivilen demokratischen Kultur als eine der fundamentalen Voraussetzungen für Demokratie bei. Diese Aufgaben der Soziokulturellen Animation scheinen mir mit Blick auf die Verschärfung des Umgangstons im täglichen Miteinander aktueller denn je.

Weitere Informationen:

Wettstein, Heinz (2010). Hinweise zu Geschichte, Definitionen, Funktionen. In: Bernard Wandeler (Hrsg.). Soziokulturelle Animation. Professionelles Handeln zur Förderung von Zivilgesellschaft, Partizipation und Kohäsion (S. 15-60).


von: Anita Glatt

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