25. Januar 2021

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Best Practice in Hypothekarprozessen 2020

Von Dr. Urs Blattmann, Marc Leuenberger und Anja Leutenegger

Mit Unterstützung von AEK Bank 1826, BancaStato, der Basler Kantonalbank sowie der Berner Kantonalbank hat das Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ auch im vergangenen Jahr Hypothekarprozesse bei Schweizer Banken analysiert und Optimierungsmöglichkeiten aufgezeigt. Im heutigen Blog zeigen wir die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie.

Der Schweizer Hypothekarmarkt erreichte Ende 2019 ein Volumen von über CHF 1’100 Milliarden, wovon die Banken einen Marktanteil von rund 95 Prozent auf sich vereinen. Vor allem für Retail Banken ist das Hypothekargeschäft oft die wichtigste Einnahmequelle. Das seit Jahren sinkende Zinsniveau führt jedoch dazu, dass die Zinsmargen und damit die Einnahmen aus dem Zinsdifferenzgeschäft zunehmend unter Druck geraten. Es erstaunt deshalb nicht, dass viele Banken nach Möglichkeiten suchen, ihre Kostenbasis zu reduzieren und somit auch die Hypothekarprozesse effizienter zu gestalten. Viele Banken befinden sich aktuell in konkreten Projekten zur Optimierung ihrer Hypothekarprozesse.
Grundlage unserer Studie bildeten zum einen strukturierte Daten verschiedener Schweizer Retailbanken, zum anderen Inputs von ausgewählten, im Untersuchungsbereich hocheffizienten, Finanzinstituten und Sourcinganbietern.

Aufteilung Prozess- und Risikooptik

Aufgrund der Erkenntnisse aus früheren Analysen ist bekannt, dass bei Banken Risiko- und Prozesssicht nicht immer kongruent sind. Deshalb wurden die Geschäftsfälle Neugeschäft und Verlängerungen zunächst aus Risiko- und Prozessoptik betrachtet. Die Geschäftsfälle wurden dabei aus Prozesssicht in die Kategorien Standard, Standard+ und Komplex unterteilt und aus Risikosicht den Kategorien grün, orange und rot zugeordnet.
Fälle mit der Risikokategorie «grün» wurden als praktisch risikolos definiert, orange Geschäftsfälle als Fälle bei denen Risiken vorhanden sind – z.B. durch eine problematische Tragbarkeit – und rote Fälle als Geschäftsfälle mit zu hohen Risiken (ausserhalb der FINMA-Richtlinien).
Zur Kategorisierung aus Prozesssicht wurden Kompetenzreglement, Zusatzsicherheiten, Schätzmethodik, sowie die Transaktionsart (Kauf, Ablösung, Neubau, etc.) herangezogen. Als Standardfälle wurden beispielsweise einfache Transaktionen (Kauf, Ablösung) definiert, die hedonisch geschätzt werden können und deren Bewilligungen innerhalb der Eigenkompetenz des Beraters liegen.
Die Analyse der Neugeschäfte ergab bei den teilnehmenden Banken im Mittel die Verteilung gemäss Abbildung 1.

Abbildung 1: Verteilung aus Risiko- und Prozesssicht im Neugeschäft

Die Betrachtung der Mengenverteilung ist aus zwei Gründen interessant. Erstens zeigt sie, wie die Mehrzahl der Fälle gelagert ist und somit bei welchen Fällen sich eine Kostenreduktion am meisten auszahlt. Zweitens wird aus der Betrachtung der Verteilung ersichtlich, ob Prozess- und Risikosicht kongruent sind.
Als Erfahrungswert sind rund 2/3 der Falle grün, d.h. weitestgehend risikolos. Diese Geschäfte sollten denn auch als Standardfälle abgewickelt werden können, so dass uns ein «Best Practice» Wert von etwa 2/3 Standardfällen als realistisch und umsetzbar erscheint. Die beobachtete Verteilung gemäss Abbildung 1 erreicht zwar nicht ganz diesen Wert, ist aber nicht allzu weit davon entfernt. Unsere Erfahrungen zeigen, dass ein hoher Anteil Standardfälle Prozessoptimierungen vereinfacht, da diese Fälle ein höheres Automatisierungspotenzial aufweisen als die übrigen Geschäftsfälle.

Abwicklungszeiten variieren stark

Ein Grossteil der Initialkosten für eine Neufinanzierung fallen durch Personalkosten an und stehen somit in engem Zusammenhang mit den Bearbeitungszeiten für eine Neufinanzierung.
Abbildung 2 zeigt, dass die reinen Bearbeitungszeiten (ohne Zeitaufwand für Kundengespräche) zwischen den Banken stark variieren: Die Bearbeitungszeit der Bank 1 beträgt weniger als die Hälfte der Bearbeitungszeit von Bank 4. Die Unterschiede beim Zeitbedarf für den Kreditantrag sind sogar noch grösser: Während Bank 2 etwa doppelt so viel Zeit wie Bank 1 benötigt, beansprucht dieser Prozessschritt bei Bank 3 gar dreimal so lange. An dieser Stelle muss jedoch erwähnt werden, dass die Erhebung der Zeiten durch die Banken selbst erfolgte und diese somit trotz klarer Vorgaben nicht eine absolut homogene Datengrundlage bilden; an den generellen Aussagen oben ändert dies jedoch nichts.
Die Graphik zeigt zudem auf, dass bei allen Instituten noch Optimierungspotenzial vorhanden ist. So benötigt etwa Bank 1, welche insgesamt die kürzeste Bearbeitungszeit im Vergleichsset aufweist deutlich länger für die Schlusskontrolle, die Auszahlung und das Scanning der Dokumente.

Abbildung 2: Bearbeitungszeiten eines Neugeschäftes in Minuten (Standard-Fall, ohne Gesprächszeiten)

Gesamthaft erachten wir es als realistisch, ein einfaches Standardgeschäft in einer Zeit von 1.5 bis 3 Stunden abwickeln zu können. Zusätzlich sollte mit Gesprächszeiten von 1.5 bis 2 Stunden gerechnet werden. Wie der Abbildung 1 zu entnehmen ist, kommt die Bank 1 diesem Ideal schon recht nahe.

Potenzial bei Kreditantrag, Medienbrüchen und Kontrollen

Die Kreditbeurteilung und -bewilligung von grünen Standardfällen sollten unseres Erachtens anhand von «hard facts» weitgehend automatisiert vorgenommen werden können. Ein Kreditantrag an einen Kompetenzträger und der zugehörige Bewilligungsprozess würden dadurch entfallen. Dies funktioniert jedoch nur, wenn durch Kontrollen sichergestellt wird, dass die im System eigegebenen und für den Kreditentscheid relevanten Daten (z.B. Einkommen) korrekt erfasst wurden. Bei komplexeren Geschäften, die durch ein Credit-Office oder andere Kompetenzträger bewilligt werden müssen, sollte die Bewilligung auf elektronischem Weg angestrebt werden, um Durchlaufzeiten reduzieren zu können.
Weiteres Optimierungspotenzial heutiger Kreditprozesse sehen wir bei Kontrollen und Medienbrüchen. Heute sind oft verschiedene Tools für Dossierführung, Kreditantrag, Ratingerstellung, Pricing etc. im Einsatz. Dies führt einerseits zu zeitaufwändigen Doppelerfassungen und andererseits erhöhtem Kontrollaufwand, da die doppelt erfassten Daten oft auch doppelt kontrolliert werden müssen.
Wir sind zudem der Meinung, dass der Kontrollaufwand stärker mit der Risikosicht in Übereinstimmung gebracht werden sollte. Werden die Risiken eines Prozessschrittes als tief erachtet, sollte auch der Kontrollaufwand entsprechend niedrig sein.

Laufende Optimierungen

Bei fast allen Banken in der Schweiz, welche im Hypothekargeschäft tätig sind, laufen derzeit Projekte zur Optimierung der entsprechenden Prozesse. So hat uns beispielsweise die BKB darauf hingewiesen, dass sie mitten in der Umsetzung von Optimierungsmassnahmen stecken, die bereits im kommenden Jahr zu einer signifikanten Verbesserung bei den Bearbeitungszeiten führen werden. Unter anderem wird die Bank die Wiedervorlagen in rund 80% der Fälle vollständig automatisieren, was im Schweizer Markt einen Spitzenwert darstellen wird. Im Neugeschäft wird eine intelligente Checkliste, welche je nach Geschäftsfall variiert, einerseits den Berater auf fehlende Elemente hinweisen, andererseits die Vollständigkeitskontrolle durch einen Automatismus ersetzen. Weitere Verbesserungen umfassen eine automatische Schnittstelle zu ZEK sowie zu Wüest Partner. Andere Institute beabsichtigen ebenfalls deutliche Verbesserungen ihrer Prozesseffizienz. So plant eine Bank mit einem neuen, weitestgehend automatisierten End-to-end Prozess die Bearbeitungszeiten im Neugeschäft mehr als zu halbieren. Allerdings wird erwartet, dass diese Prozesse erst in etwa drei Jahren in Betrieb sein werden. Diese Beispiele zeigen, dass die Hypothekarprozesse der Zukunft wesentlich digitaler ablaufen werden und dass die Banken bereit sind, die nötigen Investitionen zu tätigen.

Fazit

Aufgrund der durchgeführten Analyse und der genannten sowie weiterer Ergebnisse haben wir die folgenden «Best practice»-Grundsätze hergeleitet, welche auch zur Überprüfung des eigenen Hypothekarprozesses herangezogen werden können:

  1. Anteil Standardgeschäfte: 2/3 der Geschäftsfälle sollten in einem Standardprozess abgewickelt werden können.
  2. Konversionsrate: Bei Neugeschäften sollte eine Konversionsrate von 60-70% angestrebt werden (Verlängerungen 85-90%).
  3. Abgebrochene Prozesse: Ein Grossteil der Abbrüche erfolgt erst beim Zweitkontakt oder in der Nachbearbeitung des Zweitkontaktes. Eine indikative Preisangabe bereits im Erstgespräch kann den Anteil «früher» Prozessabbrüche erhöhen.
  4. Exception to Policy (ETP): Bei Neugeschäften sollte durch Anpassung der Policy ein ETP-Anteil von 5% als Zielwert-Obergrenze angestrebt werden.
  5. Bearbeitungszeiten: Bei einem Neugeschäft Standard ist eine Bearbeitungszeit inkl. Gesprächszeit von 3-4h oder von netto 1.5–3h (ohne Gesprächszeit) realistisch.
  6. Kreditantrag: Bei einem grünen Standardfall soll die Beurteilung und Bewilligung automatisch erfolgen können. Das Kreditantragstool sollte im Kernbankensystem eingebunden sein und bestimmte Daten automatisch übernehmen resp. übergeben. Generell ist die Bewilligung von Anträgen auf dem elektronischen Weg anzustreben.
  7. Dossierführung: Generell ist eine möglichst hohe Einbindung des elektronischen Dossiers in die Prozesssoftware anzustreben. Relevante Daten aus gescannten Dokumenten sollten zukünftig automatisch in die Prozesssoftware übernommen werden können.
  8. Medienbrüche: Ein digitaler End-to-End Prozess eliminiert Medienbrüche beinahe komplett. Insbesondere soll auch das Ausdrucken und Wiedereinscannen des unterzeichneten Vertrages eliminiert werden.
  9. Tools: Die Einbindung von separaten Tools in die Prozesssoftware (via Schnittstellen) oder die Zusammenfassung von verschiedenen Funktionalitäten in wenigen Tools ist zielführend.
  10. Kontrollen: Bei Kontrollen ist stets darauf zu achten, dass mit den Kontrollen relevante Risiken adressiert werden. Zudem soll eine weitgehende Automatisierung oder zumindest Teilautomatisierung der Kontrollen geprüft und realisiert werden.
  11. Sourcing-Option: Vor jeder Investition in den Hypothekarprozess sollte die Sourcing-Option geprüft werden.

Sie möchten mehr über die Studie erfahren? Oder selber am nächsten Benchmarking-Vergleich teilnehmen? Bitte melden Sie sich doch bei Urs Blattmann (urs.blattmann@hslu.ch). Er wird sich gerne Zeit für Sie nehmen.

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