15. Juni 2020

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Verändert Corona auch die Strategie-Entwicklung?

Von Dr. Urs Blattmann

Vor einem Jahr haben wir im Rahmen der Sourcing Konferenz die Methode der agilen Strategieentwicklung vorgestellt. Was damals vermutlich noch eine Mehrheit der Teilnehmer als eher theoretischen Ansatz beurteilte, dürfte heute aufgrund der Veränderungen unseres Umfelds durch Corona vielfach als zielführend eingeschätzt werden.

Dass die Corona-Pandemie unser Umfeld und auch die Finanzindustrie stark verändert, steht ausser Frage. Interessant dürfte hingegen zu beobachten sein, inwiefern der dramatische Wandel, der ohne Vorankündigung über uns und unser Wirtschaftssystem hereingebrochen ist, auch Auswirkungen auf die Strategien und den Prozess der Strategieentwicklung in den Unternehmen haben wird. Denn bisher sind wir stets davon ausgegangen, dass die Zukunft zumindest in einem gewissen Rahmen prognostizierbar ist. Jetzt wo wir erkennen müssen, dass sich das Umfeld in vielen Bereichen rasch und grundlegend verändern kann, stellt sich die Frage, ob diesem Umstand bei der Entwicklung von Strategien nicht besser Rechnung zu tragen wäre und wir einen flexibleren Prozess benötigen.
In der Informatik hat diese Suche nach einer Flexibilisierung der Entwicklungsprozesse bereits vor rund zwanzig Jahren eingesetzt. Davor wurden über viele Jahrzehnte IT-Projekte nach der sogenannten ‘Wasserfall-Methodik’, bei der die Ergebnisse der vorausgehenden Phase kaskadenartig als bindende Vorgaben in die nächstfolgende Phase eingehen, abgewickelt. Nun wurden Methoden mit dem Ziel erarbeitet, den Software-Entwicklungsprozess transparenter und flexibler zu gestalten und die entwickelte Lösung rascher zum Einsatz zu bringen. In der Folge verfeinerte man diese agilen Entwicklungsmethoden.
Wie diese Methodik aus der Software-Entwicklung in den Strategieprozess übernommen wurde, hat uns Andreas Mönch, CEO von Saxonia Systems, einem Technologie-Unternehmen in Deutschland mit knapp 300 Mitarbeitern (heute Carl Zeiss Digital Innovation AG) an der letztjährigen Sourcing-Konferenz berichtet: Als Folge der Finanzkrise brach 2009 der Umsatz des Unternehmens dramatisch ein, so dass rasches Handeln erforderlich war. In dieser Situation entschied die Unternehmensführung, die Methode der agilen Entwicklung, welche sie bei der Software-Entwicklung schon erfolgreich eingesetzt hatte, auch in der Entwicklung der Unternehmensstrategie zu verwenden. Der Turnaround wurde geschafft und seitdem hat das Unternehmen diese agile Strategieentwicklung kontinuierlich verbessert und schon eine Vielzahl von Unternehmen ermutigt, ihre eigene agile Strategieentwicklung zu realisieren. Denn ein Copy-Paste kommt nicht in Frage, da die Strategieentwicklung sehr viel mit Unternehmenskultur zu tun hat.

Merkmale des agilen Strategieentwicklungs-Prozesses

Als besondere Merkmale der agilen Strategieentwicklung sind im Wesentlichen die folgende drei Aspekte zu nennen:

  • Ein Strategiesprint dauert vier Monate. Dies bedeutet, dass sich das Strategie-Team, d.h. Vertreter aus dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung, drei Mal im Jahr zwei Tage Zeit nimmt, um zum einen über das Erreichte oder eben das Nichterreichte zu sprechen, die Gründe für Erfolg oder Misserfolg zu analysieren und die Lehren daraus zu ziehen sowie zum andern festzulegen, welche strategischen Initiativen in den nächsten vier Monaten mit welchen Ressourcen und Massnahmen zu verfolgen sind. Dies bedeutet nicht, dass man die langfristigen Ziele alle vier Monate ändert. Es kann aber bedeuten, dass man aufgrund des Nichterreichens von Teilzielen zum Schluss kommt, dass man zum Verfolgen einer strategischen Initiative im Moment noch nicht über die nötigen Voraussetzungen verfügt und deshalb die Verfolgung dieser Initiative vorläufig zurückstellen und die Schaffung der erforderlichen Voraussetzungen forcieren muss.
  • Alle 14 Tage ein Reporting an alle Mitarbeiter. Damit die Mitarbeiter wissen, welches die Strategie des Unternehmens ist und welche Projekte sich in welcher Phase der Realisierung befinden, rapportieren die Verantwortlichen der jeweiligen strategischen Initiativen über Mittag im Rahmen einer ‘Stehung’ – es wird bewusst auf eine Sitzung verzichtet – von 15 bis maximal 30 Minuten über den aktuellen Fortschritt respektive auch die Schwierigkeiten im Projekt. Mitarbeiter, die nicht vor Ort sind, können über elektronische Kanäle partizipieren. Damit werden gleich zwei wichtige Ziele erreicht: Zum einen wird ein Druck auf die Projekte erzeugt, so dass in der Regel rasch Fortschritte sichtbar werden, zum andern sind alle Mitarbeiter, die sich für die Strategie des Unternehmens interessieren, laufend informiert. Dass durch diese Transparenz auch die Unternehmenskultur positiv beeinflusst wird, ist ein weiterer, durchaus erwünschter Nebeneffekt.
  • Review und Adjustierung führen zu einer Lernkurve. Die oben angesprochenen Strategie-Meetings, bei denen jeweils ein Review und danach eine Adjustierung der strategischen Massnahmen erfolgt, führen beim Strategie-Team fast automatisch zu einer Lernkurve: Man realisiert schnell, was funktioniert und was nicht und kann im Hinblick auf die Zukunft die nötigen Lehren daraus ziehen.

Die wichtigsten Vorteile

Eine agile Strategieentwicklung, wie sie bei Carl Zeiss Digital Innovation AG seit Jahren erfolgreich gelebt wird, bietet gegenüber herkömmlichen Methoden einen substanziellen Mehrwert. Zunächst ist sicherlich der Umstand hervorzuheben, dass auf grundlegende Veränderungen im Umfeld, wie sie durch Corona, aber beispielsweise auch durch neue technologische Entwicklungen hervorgerufen werden können, sofort reagiert werden kann. Die Anpassung der Prioritäten an die neuen Rahmenbedingungen kann entsprechend rasch vorgenommen und so dem Unternehmen ein komparativer Vorteil verschafft werden. Im Weiteren ist die enge Verbindung zur Mitarbeiterbasis und die Verzahnung mit den operativen Aktivitäten der Unternehmung als weiterer Vorteil anzuführen. Damit wird praktisch das ganze Unternehmen auf die Erreichung der strategischen Zielsetzungen ausgerichtet, so dass die eingesetzten Ressourcen optimal genutzt werden können. Dies führt – wie die Erfahrung zeigt – dazu, dass die Quote der Misserfolge bei strategischen Projekten signifikant tiefer ist. Dies erstaunt nicht, denn nicht nur der fokussierte Ressourceneinsatz, sondern auch die kritische Überprüfung der Zielerreichung und der ergriffenen Massnahmen sowie das Einleiten entsprechender Korrekturmassnahmen alle vier Monate, stellen weitestgehend sicher, dass am Ende auch ein gutes oder zumindest zufriedenstellendes Ergebnis erreicht werden kann.

Fazit

Die grundlegenden Veränderungen, welche ausgelöst durch die aktuelle Corona-Pandemie respektive durch die von den Regierungen eingeleiteten Massnahmen auf uns zukommen, werden zweifellos zu Anpassungen in den Strategien von Banken führen. Ob dabei auch der Strategieentwicklungsprozess grundsätzlich in Frage gestellt wird, dürfte im Wesentlichen durch die Einschätzung der Lage durch die Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen bestimmt werden. Grundsätzlich erachten wir einen Strategieentwicklungsprozess, der vermehrt auf Flexibilität und Transparenz sowie eine rasche Umsetzung der strategischen Ziele und Massnahmen setzt, als Chance. Es bleibt abzuwarten, welche Institute diese Chance zu nutzen wissen.

Hinweis: Auch an der Sourcing-Konferenz 2020 werden wir wieder interessante Aspekte beleuchten. Neben der Vorstellung der aktuellen IFZ Sourcing Studie werden wir unter anderem auf internationale Sourcing-Erfahrungen, Chancen des Cloud Computing oder das Management der Sourcing Partner eingehen. Zum vollständigen Programm und zur Anmeldung geht’s hier.

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