30. April 2018

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Bankregulierung

Modellrisiken in der «Ausreisser-Bank»

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Die PostFinance hat seit 2013 eine Banklizenz, ist von der Bankenaufsicht überwacht und nimmt im Schweizer Zahlungsverkehr eine prominente Stellung ein. Es war darum 2015 keine Überraschung, dass die SNB sie offiziell als systemrelevant einstufte. Dass die PostFinance keine «normale Bank» ist, weil sie keine Hypotheken vergeben kann, war bisher bekannt. Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 2018 wissen wir aber, dass sie noch aus einem andern Grund etwas anders ist. Streitpunkt ist das Ausmass ihrer Zinsrisiken und vor allem die Methode der Berechnung dieser Risiken.

Worüber wurde gestritten? Der Regulator (FINMA) verlangt, dass Banken ihre Zinsrisiken messen, den Behörden melden und natürlich angemessen (sprich: vorsichtig) bewirtschaften. Die Messung dieser Risiken ist schwierig. Dabei liegt die Schwierigkeit für einmal auf der Passivseite. Diese besteht bei der PostFinance hauptsächlich aus Sichtgeldguthaben auf Zahlungsverkehrskonten. In einem normalen Zinsumfeld bezahlt die PostFinance Kunden mit einem Guthaben einen Zins. Im Nullzinsumfeld hat sie diese Zinszahlungen zwar eingestellt. Aber sollten die Marktzinsen wieder ansteigen, dann wird die PostFinance ihren Kunden erneut einen Zinssatz entrichten. Die Krux liegt nun darin, dass nicht bekannt ist, wie schnell diese Zinsanpassung kommen wird und wie hoch sie ausfallen wird.

Die Banken und auch die PostFinance behelfen sich darum mit Erfahrungswerten. Sie verwenden Modelle. In den letzten Jahren wurden die Kundenzinsen jeweils erst nach längeren Zeitabständen (nach unten) angepasst. Also geht die Risikoabteilung davon aus, dass die Zinssätze auch weiterhin stabil bleiben werden, zum Beispiel noch mehrere Jahre lang. Das ist praktisch, denn auf der Grundlage dieser Annahme lassen sich mit diesen Kundengeldern langfristige Anlagen finanzieren. Weil unter dieser Annahme Anlagen und Finanzierungen fristengleich sind, besteht kein oder lediglich ein geringes Zinsänderungsrisiko.

Nur: Stimmt die Annahme? Die Daten der Vergangenheit bestätigen die Annahme, dass Kundensichtgelder wirklich wie langfristige Mittel verzinst sind. Aber trifft das auch bei einem Zinsanstieg zu? Teurere Sichtgelder sind für jede Bank eine gewisse Gefahr. Die Bank gerät dabei schnell unter Zugzwang. Denn passt sie die Zinsen nicht ausreichend nach oben an, können unzufriedene Kunden ihre Gelder jederzeit abziehen und bei einer grosszügigeren Bank platzieren. Es spielt hier also der Wettbewerb.

Allzu lang dürfen also diese Annahmen nicht sein. Im erwähnten Fall vertrat die PostFinance die Meinung, die Zinsbindung sei relativ langfristig. Zudem liege es in ihrer Kompetenz, diese festzulegen. Die FINMA hingegen fand, die PostFinance betrachte ihre Sichtgelder als zu lange fixiert, nämlich länger als zwei Jahre. Bei einer Annahme von zwei Jahren (oder kürzer) wäre das Zinsrisiko erheblich grösser. Die FINMA korrigierte in der Folge die Modellannahme der PostFinance und verlangte, dass die resultierenden zusätzlichen Zinsrisiken mit zusätzlichen Eigenmitteln abgedeckt werden. Das Bundesverwaltungsgericht gab am 14. März 2018 der FINMA recht.

Zurück zur Frage: Wer hat die Modellhoheit? In einer staatlichen Ordnung würde wohl ein verbindlicher behördlicher Benchmark festgelegt. Auch wenn sich natürlich auch der Staat irren kann, haben so zumindest alle gleich lange Spiesse. In einer freiheitlichen Ordnung bleibt die Ausgestaltung des Modells aber ein unternehmerischer Entscheid. Sollte dieser sich als falsch herausstellen, muss die Bankführung die Verantwortung übernehmen und ihre Bank die Konsequenz tragen. Und damit sind auch die Sparer herausgefordert, sich zu fragen, wie sicher «ihre» Bank die ihr anvertrauten Gelder verwaltet.

Seit 2008 ist jedoch auch folgendes bewusstgeworden: Hat eine Bank volkswirtschaftlich eine bestimmte Bedeutung, so wird der Bund sie gegebenenfalls retten. Denn solche Banken sind «too big to fail» (TBTF). Seit 2016 gehört auch die PostFinance zu dieser Kategorie. Der Bund und die Allgemeinheit tragen also einen Teil des Risikos mit. Und sie wollen mitreden.

Welche Schlüsse ziehen wir aus dieser Geschichte?

  1. Die FINMA hat ein Recht, sich in die Modellrisiken einzumischen, wenn sie findet, sie seien zu gross. Bei TBTF-Banken ist es gar ihre Pflicht. Denn die Allgemeinheit hängt im Risiko mit drin.
  2. Kleinere Banken, die nicht TBTF sind, geniessen grössere Freiheiten darin, wie sie ihre Risiken beurteilen und messen. Sie müssen aber auch die Konsequenzen selber tragen!
  3. Letztlich wäre es wünschenswert, wenn sich auch die Sparer ein Bild über das Zinsänderungsrisiko ihrer Bank machen könnten. Leider informieren jedoch die wenigsten Banken offen über die Modellrisiken hinter ihren Zinsrisiken. Die Banken rapportieren zwar, aber nur gegenüber den Behörden (SNB und FINMA). Mehr Offenheit für das Publikum wäre hier erwünscht.
  4. Alle Modelle werden unter bestimmten Annahmen und für einen bestimmten Zweck entwickelt. Selbst wenn die Modellannahmen nicht verletzt sind, oder das Modell nicht zweckentfremdet wird, besitzen Modelle Grenzen und Unschärfen. Denn jedes Modell ist lediglich eine Vereinfachung der Realität. Dies führt uns zu einer neuen Risikoklasse, dem sogenannten «Modellrisiko». Es verdient Beachtung.

Das Thema Zinsänderungsrisiken wird in der IFZ Retail Banking Studie 2018 näher beleuchtet werden. Die Studie wird am 15. November 2018 an der dazugehörigen IFZ Retail Banking Konferenz präsentiert werden.

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