20. April 2015

Allgemein

Das Filialsterben beginnt – Zeit für das digitale Servicecenter!

Von Prof. Dr. Nils Hafner

So langsam zeigen sich Spuren der Digitalisierung. Menschen kommen nicht mehr so oft in die Bankfiliale. Ist ja auch unbequem. Dass sich leere Bankfilialen aber nicht rentieren, muss jetzt auch die Zürcher Kantonalbank eingestehen und überlegt die Schliessung einiger „Transaktionsfilialen“ ohne Beratungsleistungen. Dass Banking aber nicht nur aus Transaktionen und Beratung besteht, dürfte jedoch genauso klar sein. Bleibt der „Service“: Terminvereinbarungen, Verständnisfragen, Adressänderungen, Einrichtung der digitalen Produkte etc. Dabei handelt es sich vielmals um Standardgeschäftsvorgänge, die jedoch unabhängig von Transaktionen und Beratungen anfallen und deren Gelingen aus Sicht des Kunden häufig auch für das gute Dienstleistungsimage einer Bank verantwortlich ist.

Doch wer erledigt diese Fragen und kommt den Ansprüchen der Kundschaft nach, wenn vor Ort kein Ansprechpartner dafür zur Verfügung steht, im e-Banking aber auch nicht auf den ersten Blick die Funktion ins Auge sticht, mit der man „es selbst erledigen könnte“? Bleibt das gute alte Telefon. Muss das Contact Center also mehr Arbeit übernehmen. Doch was heisst Digitalisierung im Kontext Contact Center eigentlich?

Erfreulicherweise haben Kunden und Unternehmen im Kundenservice meist die gleiche Zielsetzung: Der Kunde soll möglichst schnell die richtige Antwort auf seine Frage erhalten, so dass er einerseits zufrieden ist, andererseits aber auch keine zusätzlichen Kosten generiert, wenn er zum selben Sachverhalt noch einmal anrufen muss. Digitalisierung gibt im Kontext des Contact Centers die Antwort auf drei Fragen:

  1. Wie kann ich mehr über die Anliegen meiner Kunden wissen?
  2. Wie kann ich besser auf die Anliegen meiner Kunden reagieren, so dass diese die richtige Antwort im ersten Anlauf erhalten?
  3. Wie kann ich diese Lösung dann gesamthaft schneller liefern?

Die Antwort auf die erste Frage der Digitalisierung beginnt im Kundenservice mit der Frage: „Worüber wird eigentlich zur Zeit gerade gesprochen? Welche Themen bewegen meine Kunden jetzt? Was ist aus Sicht meiner Kunden das grösste Problem unserer Firma?“ Was früher allein anhand von manuellen Klassifikationen der Mitarbeiter eingegeben und später mühsam statistisch ausgewertet werden musste, kann heute in Echtzeit beantwortet werden. Intelligente Programme nehmen das gesprochene Wort auf und – anstatt es lediglich „zur Qualitätssicherung und für Schulungszwecke“ zu speichern – wandeln es in Text um.

Text ist seit mehreren Jahren kontextsensitiv auswertbar. Nur so ist es möglich die Social Media Touchpoints zu monitoren und zur Informationsgewinnung zu nutzen. Die gleiche Technologie, die in den letzten Jahren mehr und mehr auch für KMU bezahlbar geworden ist, findet nun in der Analyse des gesprochenen Worts Anwendung. Nimmt man alle schriftlichen digitalen Quellen für Kundenäusserungen aus (gescannten) Briefen und Faxen, E-Mails, Chats, Social Media und der allfälligen Self Service Plattform im Internet zusammen mit dem in Text umgewandelten gesprochenen Wort, so ergibt sich ein realistisches Bild über die momentan wichtigsten Fragestellungen der Kunden an das Unternehmen.

Eine solche Auswertung liefert die Grundlage für die Beantwortung der zweiten Frage: Wie kann ich besser auf die Anliegen meiner Kunden reagieren, so dass diese die richtige Antwort im ersten Anlauf erhalten?

Insbesondere die Aufbau- und Ablauf-Organisation kann vom Informationsvorsprung profitieren. In einem modernen Call Center gliedert man den Einsatz der generalistisch ausgebildeten First Level Mitarbeiter und der Spezialisten in den Levels 2 und höher nach der Komplexität der Kundenanfrage. Um eine zeit- und damit kosteneffiziente Verteilung der Anfragen zu erhalten, ist es als Manager natürlich wichtig, jederzeit einen Überblick über das Mengengerüst der einfachen und der komplexen Anfragen zu haben. Dass sich diese, je nach Situation und ggf. auch Wissensstand der Kunden verändern, leuchtet ein. Neu ist, dass man durch ein schnelleres Erkennen auch schneller reagieren kann, wenn es um die Ausbildung und die operative Ressourcenbereitstellung im Call Center geht. Es geht also darum, mit Hilfe digitaler Informationen die richtigen Dinge zu tun. Einen Hinweis dazu, wie sich ein Unternehmen über eine geschickte Contact Center Organisation am Markt profilieren kann, findet sich in einer lesenswerten Studie von Deloitte Consulting:

(c) Deloitte Consulting 2014
(c) Deloitte Consulting 2014

Man erkennt in dieser Darstellung, dass die Identifikation des Kunden und der Self-Service gleichberechtigt als „Level 0“ dargestellt wird. Na klar, denn hier ist vor allem die Geschwindigkeit wichtig, in denen der Kunde 100% richtig identifiziert an die richtige Antwort der Bank gerät.

Dabei helfen selbstverständlich erneut digitale Lösungen. Zur Bereitstellung von Wissen können beispielsweise die häufigsten Fragen und Antworten der Kunden den Mitarbeitern mitgeteilt werden – zum Teil in Echtzeit direkt aus der Auswertung. Wissen vermehrt sich halt, wenn man es teilt. Gleiches gilt für die Personalplanung. Wichtig dabei ist es, gerade im digitalen Call Center, Mitarbeiter flexibel einsetzen zu können. Dies hängt aber vor allem von ihren Fähigkeiten ab. Je mehr Mitarbeiter Skills an mehreren Touchpoints erwerben, bspw. in der Beantwortung von Kundenanfragen am Telefon und per Mail, desto flexibler kann die Organisation auch auf Spitzen am Telefon oder im Chat reagieren. Zwar wird der Arbeitsalltag für Call Center Agenten in einem digitalen Call Center anspruchsvoller, damit aber auch interessanter. Eine automatisierte Verteilung der Arbeitsvorgänge an den jeweils im Moment bestqualifizierten Mitarbeiter sorgt für Verteilungsgerechtigkeit und reduziert Reibung.

Jedoch darf – und das ist essentiell bei der Beantwortung der dritten Frage: Wie kann ich diese Lösung dann gesamthaft schneller liefern? – nicht vergessen werden, dass unterschiedliche Touchpoints unterschiedlich effizient genutzt werden können. Dies hängt sowohl von den Fähigkeiten des Unternehmens als auch von denen der Kunden ab. Die jüngsten Auswertungen des von der Hochschule Luzern mitentwickelten Service Excellence Cockpit zeigen auf, dass Chat und Telefon (also gerade die Echtzeit-Medien) eine wesentlich höhere tagesaktuelle Erstlösungsquote haben als (zeitversetzte) Medien wie Fax, Brief und überraschenderweise auch das E-Mail. Dies liegt vor allem daran, wie gut sich Kunde und Mitarbeiter schriftlich ausdrücken können und wie schnell Rückfragen gestellt und beantwortet werden. Dies gilt es im Sinne einer Prozesseffizienz zu messen.

Die Rückschlüsse aus dieser Messung geben dann Hinweise darauf, inwiefern ein anderer Touchpoint Kunden und Unternehmen vielleicht schneller zu Ziel bringen könnte. Wichtig dabei ist, dass der Kunde a) um alternative Touchpoints weiss sowie b) diese auch bedienen kann und damit c) den Wechsel des von ihm bisher präferierten Touchpoints akzeptiert.

Ein letzter Aspekt des digitalen Call Centers ist die Ausgestaltung von Prozessen und Hilfsmitteln. Diese sollten konsequent nach innen und aussen nach dem Prinzip des Human Centered Design gestaltet werden. Die Ansprüche des Kunden, die man beobachtet und verstanden hat, müssen dabei möglichst schnell und einfach umgesetzt werden. Die Unterscheidung interner (für den Mitarbeiter als Wissensmanagement gedachter) Tools und externer Plattformen (für den Self-Service) tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Entscheidend für den Erfolg wird vor allem die Nutzerfreundlichkeit der Instrumente.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein konsequent digital gedachtes Contact Center noch bei den allermeisten Banken fern der Realität ist. Noch werden an verschiedenen Stellen Insellösungen implementiert. Will man den „grossen Wurf“ wagen, sollte man die drei Leitfragen dieses Artikels konsequent und schlüssig aufeinander aufbauend beantworten können. Und dann kann man auch – wie bei der ZKB geplant – getrost eine Menge Filialen abbauen.

Kommentare

3 Kommentare

Das Filialsterben beginnt – Zeit für das digitale Servicecenter! | wisnet

22. April 2015

[…] …werden. Die Unterscheidung interner (für den Mitarbeiter als Wissensmanagement gedachter) Tools und externer Plattformen (für den Self-Service) tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Entscheidend für… Originalartikel lesen […]

Antworten

Regula Spottl

21. April 2015

Das ist die Antwort der Banken zu Aenderungen von Kundenverhalten. Die Banken werden jeoch oft als die Boesen angekreidet. It's similar with online education in the U.S. There's the sentiment that the interaction between students is important and gets lost in online classes, yet when graduate schools offer face-to-face classes, they don't fill up! Regula, Greensboro, USA

Antworten

Kälin Erika

20. April 2015

Gute Idee, mit der Aufnahme des gesprochenen Wortes - dies würde viel Schreibarbeit ersparen. Nur; kann so ein System "Schwyzerdüütsch" in allen Dialekten?

Antworten

Kommentar verfassen

Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.

Pin It on Pinterest