28. September 2012

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Neue Liquiditätsvorschriften von Basel III unterschätzt?

Von Prof. Dr. Andreas Dietrich

Die neue Bankenregulierung rund um Basel III beruht auf drei Säulen: strengere Eigenkapitalbestimmungen, schärfere Liquiditätsvorgaben sowie zusätzliche Anforderungen für systemrelevante Banken. Besonders die neuen Liquiditätsvorgaben dürften für viele Banken in der Schweiz eine Herausforderung darstellen.

International bestand bis anhin noch kein geltendes Regelwerk, welches sich mit der Behandlung von Liquiditätsrisiken befasste. Nationale Aufsichtsbehörden haben oftmals nur sehr einfache Vorgaben für das Liquiditätsmanagement der Banken gemacht. Das neue Basler Regelwerk zieht nun entsprechende Lehren aus den Liquiditätsengpässen von Banken während der Finanzkrise und formuliert deshalb neu auch Liquiditätsvorschriften. Die neuen Vorschriften nach Basel III sollen sicherstellen, dass Banken auch während eines Stressszenarios ausreichend liquide sind. Es wurden hierfür zwei Kennzahlen definiert, welche Banken zukünftig einhalten müssen.

a)      Einerseits wird eine kurzfristig orientierte Mindestliquiditätsquote (Liquidity Coverage Ratio, LCR) eingeführt. Die LCR definiert das Verhältnis von erstklassigen liquiden Vermögenswerten gegenüber den Nettomittelabflüssen in einem Zeitraum von 30 Tagen. Mit der LCR soll sichergestellt werden, dass eine Bank in einem Notfallszenario ihren Liquiditätsbedarf 30 Tage lang decken kann (Richtzahl: 100%).

b)      Anderseits wird eine mittelfristig ausgerichtete strukturelle Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio, NSFR) implementiert. Die Liquiditätsquote NSFR hat einen einjährigen Zeithorizont und soll zu einer tragfähigen Fristenstruktur von Aktiva und Passiva führen. Die NSFR zielt dadurch auf die Fristenkongruenz von Finanzierung und Anlagen ab (Richtzahl: 100%). Die NSFR soll Banken dazu anregen, stabile(re) Quellen wie z.B. Kundeneinlagen für eine fristenkongruente Finanzierung ihrer Ausleihungsaktivitäten zu nutzen und Abhängigkeiten von kurzfristiger Refinanzierung (Interbankenmarkt) zu reduzieren. Die nachfolgende Abbildung illustriert vereinfacht die Berechnung der NSFR.

Abbildung: Vereinfachte Berechnung der NSFR (Quelle: parkIT)

Unterstützung für neue Liquiditätsvorgaben lässt nach

Die verschärften Regeln zur Liquidität schienen auf globaler Ebene («Basel III») seit Ende 2010 im Grundsatz beschlossen, mit schrittweiser Umsetzung bis 2015 (LCR) respektive bis 2018 (NSFR). Doch nun erwächst ihnen plötzlich Widerstand. So erklärte der britische Notenbankchef Mervyn King jüngst, dass die Notwendigkeit für Banken zum Halten grosser Liquiditätspuffer angesichts der Liquiditätsschwemmen der Zentralbanken derzeit „stark geschwunden“ sei. Der französische Notenbankchef Noyer meinte sogar, dass die Mindestliquiditätsquoten von „Basel III“ wegen der negativen Folgen für Banken und Finanzmärkte nicht umsetzbar seien. Auch aus der Europäischen Zentralbank oder von US-Behörden sind kritische Töne zu vernehmen (vgl. auch NZZ-Artikel).

Die Kritiker äussern vor allem zwei Argumente:

a)      Bei einer Liquiditätskrise sind ja die Notenbanken da

b)      Angesichts der derzeitigen Kapitalknappheit bei vielen Banken verschärfen die Liquiditätsvorgaben die Kredittätigkeit und belasten damit die Konjunktur noch zusätzlich.

Im Gegensatz zu anderen Ländern, aber ähnlich wie die Niederlande, Belgien oder Hongkong hat die Schweiz ihre Haltung (noch) nicht aufgeweicht. Es ist zu erwarten, dass die neuen Liquiditätsvorschriften hier durchgesetzt werden. Gut vorstellbar ist allerdings, dass durch die Veränderung von technischen Details (insbesondere Anpassung der Gewichtungsfaktoren) die Regeln etwas aufgeweicht werden. Nicht zuletzt haben die ernüchternden Ergebnisse in Bezug auf die LCR der im Frühjahr getesteten Banken (ein Viertel der getesteten Banken in der Schweiz hat nicht einmal eine Liquiditätsquote von 50%, statt der geforderten 100%) gewisse Kreise aufgeschreckt.

Einschätzung der Situation

Obwohl die meisten Diskussionen sich stets um die Eigenmittelunterlegung drehen, sollen und dürfen die neuen Liquiditätsvorschriften nicht in Vergessenheit geraten. Es ist zu erwarten, dass sie einen grossen Einfluss auf die Banken ausüben werden und möglicherweise sogar bedeutender sind für die Schweizer Retail Banken als die neuen Eigenmittelbestimmungen.

a)      Die Beschränkung der Fristentransformation durch die strukturelle Liquiditätsquote (NSFR) wird die Erträge der Banken schmälern. Der Ertrag, welchen die Banken aus der Fristentransformation erzielen ist teilweise substanziell.

b)      Die neuen Liquiditätsvorschriften werden einen bedeutenden Einfluss auf die relative Vorteilhaftigkeit der verschiedenen Refinanzierungsinstrumente ausüben: Die Attraktivität von Interbankeneinlagen wird nachhaltig beeinträchtigt, da Gelder, die von Banken hereingenommen werden, als nicht stabil gelten. Damit dürfte sich auch der seit Mitte der 90er Jahre beobachtbare Trend einer Zunahme der Interbankenverbindlichkeiten eher umkehren. Betroffen dürften hiervon vor allem die grösseren Universalbanken sein. Auf der anderen Seite werden Kundengelder (Sicht-, Spar- und Termineinlagen) deutlich vorteilhafter, da diese als stabil gelten. Es ist entsprechend zu erwarten, dass der Wettbewerb der Banken um Kundeneinlagen und damit die Zinssätze zunehmen resp. die Passivmargen tendenziell sinken werden.

c)       Es ist zu erwarten, dass sich die Kreditkosten infolge der Verteuerung der Refinanzierung erhöhen. Schätzungen von McKinsey und BCG kommen zu dem Ergebnis, dass die Kosten sich um ca. 20-30 Basispunkte erhöhen werden.

Ob die neuen Liquiditätsvorschriften aber überhaupt sinnvoll sind, ist in der akademischen Literatur umstritten. Eine Studie des IMF (2011) beschäftigte sich beispielsweise mit der Frage, ob die neuen Liquiditätsvorschriften wirklich das systemische Risiko des Finanzsektors mindern. Sie kommt zum Fazit, dass die NSFR ein unzuverlässiger Indikator ist, um zukünftige Liquiditätsprobleme einer Bank vorherzusagen. Klar ist auch, dass die oben erwähnten Einwände von Kritikern (bei Liquiditätsengpässen hilft die Zentralbank; verschärfte Liquditätsvorschriften schaden der Konjunktur) auf einem ganz wesentlichem Denkfehler beruhen. Denn erstens darf das Einschreiten der Nationalbanken in Krisenzeiten als Lender of Last Resort und Liquiditätsbeschaffer nicht einfach zu einer Selbstverständlichkeit werden. Und zweitens dürften sicherere Banken in der langen Frist der Konjunktur eher förderlich sein.

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